Ihr habt es sicher mitbekommen: Unser Wirtschaftsminister Peter Altmaier hielt beim Digitalgipfel in Dortmund seine Eröffnungsrede und stürzte im Anschluss von der Bühne. Er war kurz bewusstlos und wurde unmittelbar nach der ersten Behandlung vor Ort in eine Dortmunder Klinik gebracht.
Bis dahin gab es wenig Berichterstattung über den Digitalgipfel, die Veranstaltung, bei der u.a. die Idee einer europäischen Cloud-Plattform namens Gaia X vorgestellt wurde, flog medial wohl unter dem Radar der entsprechenden Sender. Das änderte sich natürlich umgehend, nachdem Altmaier sein Unfall passierte. Ab da gab es Live-Schalten nach Dortmund, natürlich beschäftigten die sich lediglich damit, was dem Minister zugestoßen ist, wie es dazu kommen konnte und wie es ihm jetzt vermutlich gerade geht. Wie schon neulich beim Anschlag in Halle wurde eifrig gemutmaßt und Sendezeit mit so gut wie keinen Informationen gefüllt.
WELT stach hier wieder mal — natürlich negativ — hervor. Es gab die geheuchelte Ankündigung, dass man aus Gründen der Pietät den Sturz nicht zeigen würde. Wie Altmaier ins Taumeln gerät, wurde aber dennoch wieder und wieder gezeigt. Und danach? Wurde tatsächlich der Reporter vor Ort dazu gefragt, wie es wohl zu diesem Sturz gekommen sein könnte. Eine Frage, die natürlich nicht beantwortet werden konnte — schließlich haben alle das selbe gesehen: Ein Mann, der die Kontrolle über seinen Körper verliert und stürzt. Fast hat man ein wenig darauf gewartet, dass als nächstes Zeitlupen eingespielt würden zur Analyse — oder nach einem Video-Schiedsrichter gerufen wird. Ich verstehe, dass man berichtet, wenn ein Bundesminister einen Unfall hat. Aber muss man wirklich bei so einem Sturz in die Analyse gehen? Ich verstehe es nicht.
Die eine Sache ist also, wie man über diesen Vorfall berichtet. Die andere Sache ist jedoch, wie man über den Gipfel an sich nicht berichtet. Klar, aus meinem subjektiven Tech-interessierten Blickwinkel hätte ich mir von vornherein gewünscht, dass diese Veranstaltung prominenter im TV behandelt wird. Dass das Event aber in 30 Sekunden abgehandelt wird im Rahmen der Börsen-Nachrichten, während sich alle Live-Schalten nach wie vor um Altmaier drehen, zeigt mir wieder einmal, Dass es oft nur um die Befriedigung der Sensationsgier geht und weniger um seriöse Berichterstattung.
Mich macht das sauer, dass Sendezeit auf diese Art verschwendet wird. Wir leben in Zeiten, in denen viel zu viele Menschen Möchtegern-Politikern mit ganz einfachen Lösungen hinterherrennen und Zeiten, in denen nicht mehr vernünftig diskutiert wird. Letzteres hängt damit zusammen, dass sich Leute einfach viel zu selten für tatsächliche Argumente interessieren. Daher wäre es doch schön, wenn auch die privaten Nachrichtensender mehr Licht ins Dunkel brächten und mehr Themenkomplexe wirklich erklären würden, statt sich auf merkwürdige Mutmaßungs-Live-Schalten zu konzentrieren.
Das bringt mich direkt zum nächsten Ärgernis und auch darüber rege ich mich nicht zum ersten mal auf: Was ist so lustig, dass man auch die Meldung über einen verunfallten Politiker mit dem „Haha“-Emoji kommentiert? Auf dem Bild unten seht ihr einen Screenshot des Tagesschau-Postings zur Altmaier-Meldung. Es gibt knapp 900 Reactions und davon weit über 200 mal „Haha“! Was stimmt nicht mit den Leuten?
Das setzt sich selbstverständlich auch in den Kommentaren fort, wo unanständig viele Menschen blöde Witze über Peter Altmaier machen. Witze über den Zustand der deutschen Politik, über den Stand der Digitalisierung, vor allem aber auch über die Figur des Politikers. Das gleiche Spiel auf Twitter. Kein Spruch ist zu platt, keine Pointe zu schlecht, so scheint es.
Glücklicherweise sieht man sowohl auf Facebook als auch auf Twitter sehr, sehr viele angenehme Reaktionen. Menschen, die gute Besserung wünschen und gleichzeitig ebenso wie ich die ständigen Witzeleien verdammen. Dennoch raffe ich es nicht, wieso so viele Leute anscheinend völlig frei von Empathie, Mitgefühl und Anstand zu sein scheinen.
Ich weiß, dass ich mich hier wiederhole, wenn ich schon wieder gegen Häme, Hetze und Hass und für Empathie und Menschlichkeit kämpfe auf einem Blog, auf dem es doch eigentlich um Tech-Themen gehen sollte. Die Hoffnung sinkt zwar, aber noch gebe ich die Vorstellung nicht auf, dass solche Appelle irgendwann einmal unnötig werden und wir uns dann tatsächlich über einen Digitalgipfel und über eine europäische Cloud unterhalten können — und nicht darüber, wie daneben die Berichterstattung ist und wie viele Arschlöcher in den sozialen Medien über die falschen Dinge lachen.