Der Abschlussbericht der CDU steht unter dem Motto „Arbeit der Zukunft – Zukunft der Arbeit“ und soll einen Überblick über die momentane Situation und zukünftig geplante Entwicklungen im Bereich der fortschreitenden Digitalisierung geben. In weiten Teilen geht es um die Chancen und Risiken der Digitalisierung für Unternehmen, sowie um die sich daraus ergebenden Konsequenzen für den Staat und die Bevölkerung.
Mal abgesehen davon, dass die Digitalisierung als dritte industrielle Revolution mit dreijährigen Kindern im Internet bereits weitestgehend abgeschlossen ist und wir uns längst mitten in der vierten industriellen Revolution befinden, werden in dem Bericht tatsächlich Themen angeschnitten, die in solcher Deutlichkeit vielen Menschen noch gar nicht bewusst sind. In Deutschland lebt im Zuge des demographischen Wandels mittlerweile die älteste Bevölkerung Europas – wie vereinbart man das mit einer fortschreitenden Digitalisierung und Vernetzung? Lassen sich neue Arbeitsplätze durch neue, digital unterstützte Arbeitsstrukturen und Organisationsformen wie „Heimarbeitsplätze“ schaffen – und wie macht man den Unternehmen klar, dass auch sie von dieser „Freiheit“ der Arbeitnehmer profitieren könnten? Was muss evtl. an bestehenden Berufsbildern geändert werden, wenn man dem digitalen Wandel gerecht werden will?
Viele dieser Fragen sollen die Beteiligten – also de facto Arbeitgeber und Arbeitnehmer, aber auch Netzbetreiber und Kunden – unter sich ausmachen. Der Abschlussbericht will hier nur Empfehlungen aufstellen und mögliche Rahmenbedingungen skizzieren. Aber beim Thema Internetzugänge lehnt sich die Partei nun tatsächlich selbst sehr weit aus dem Fenster, gemessen am bisherigen Versagen der Politik in diesem Bereich.
Recht auf schnelles Internet – und dann?
Man wolle flächendeckend eine moderne funk- und festnetzbasierte Breitbandinfrastruktur in Deutschland erreichen. Dies bedeute: mindestens 50 Megabit pro Sekunde im Download sollen schon bis 2018 bundesweit möglich werden. Das entspräche, siehe die u. stehende Grafik, dann mal locker einer Verfünffachung des momentanen Durchschnitts – mutig, mutig. Auch die Upload-Geschwindigkeiten wolle man verbessern, ohne hier Werte zu nennen. Das grundsätzliche Recht auf einen „schnellen Internetzugang“ – ohne eine genaue Spezifizierung der Geschwindigkeit – solle sogar über einen Rechtsanspruch gewährleistet werden. Das könnte die für den Netzausbau zuständigen Unternehmen zumindest ein wenig unter Druck setzen.
Wann dieser Rechtsanspruch in Kraft treten soll, verrät das Papier ebenso wenig wie die drohenden Konsequenzen für einen Provider, falls dieser nicht „liefern“ kann. Wenn sich diese Konsequenzen auf ein Sonderkündigungsrecht des Kunden beschränken, ist wohl nur den wenigsten geholfen, denn dann steht man im schlimmsten Fall ganz einfach ohne Internetzugang da, auch ohne einen langsamen. Über die Kosten für einen schnellen Internetzugang sagt dieser Rechtsanspruch ebenfalls nichts aus: in einem quasi-monopolisierten Telekommunikationsmarkt bringt einem ein rechtlich zugesicherter schneller Internetzugang ziemlich wenig, wenn er für einen Großteil der Bevölkerung unerschwinglich ist.
Denn, machen wir uns nichts vor: theoretisch und praktisch ist die avisierte Geschwindigkeit von 50 MBit/s vielerorts längst erreichbar. Sie ist nur, auch im direkten europäischen Vergleich, für viele Menschen ganz einfach unbezahlbar oder wird durch lächerlich niedrige Volumenbegrenzungen in den marktüblichen Pseudo-Flatrates auf wenige Stunden tatsächlicher Nutzung beschränkt.
„Die CDU will, dass auch in Deutschland WLAN überall eine Selbstverständlichkeit ist. Wir wollen die gesetzlichen Grundlagen für die Nutzung dieser offenen Netze und deren Anbieter schaffen. Denn Rechtssicherheit für WLAN-Betreiber ist dringend geboten.“ Abschlussbericht der CDU-Programmkommission, 07/2015
Wer soll das bezahlen?
Die CDU meint, besonders Unternehmen seien auf eine schnelle Internetverbindung angewiesen, wenn bestehende Arbeitsprozesse, Handels- und Entscheidungswege immer mehr digitalisiert und vernetzt würden. Das Ziel sei „ambitioniert“ und – hier folgt schon die erste Einschränkung – von der Politik massgeblich durch das Festlegen der Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Finanzierung dieses Projekts obliege in weiten Teilen den Unternehmen der Informations- und Kommunikationstechnologie, also den grossen Festnetz- und Mobilfunknetzbetreibern.
Die wiederum suchen sich, wie die Vergangenheit zeigt, für den Breitbandausbau leider meistens die Filetstücke heraus: dicht besiedelte, durch wenige Funkmasten oder kurze Kabelstrecken zu versorgende Gebiete. Hier könne der Staat regulierend eingreifen, z.B. über Bundes- oder Landesbürgschaften oder über technologische Vorgaben, die schon während der Bauplanung eines Öffentlichen Auftraggebers gesetzt würden. Auch Einnahmen in Höhe von 1,1 Milliarden Euro aus der erneuten Versteigerung von Funkfrequenzen sollen ab 2016 in den Breitbandausbau fliessen und dort z.B. in Förderprogramme investiert werden.
Die Abschaffung der EU-Roaming-Gebühren ab 2017 ist eine Mogelpackung
So schön das klingt, nur zur Erinnerung: die durch die Versteigerung der UMTS-Lizenzen eingenommen Milliarden bezahlen wir heute noch, und zawar über unsere Mobilfunkverträge. Wenn der Staat dieses Geld schon damals vollständig in den Ausbau einer funktionierenden Infrastruktur reinvestiert hätte, wären wir heute schon eine ganze Ecke weiter.
Ganz provokativ: wir reden hier über das vom Staat eingeräumte „Recht“, Daten durch die Luft zu senden – und die gehört ja immer noch uns allen, oder? Wenn so ein Recht verscherbelt wird, dann sollte es auch „allen“ in möglichst zweckgebundener Weise nutzen. Wenn man stattdessen im Nachhinein von den Mobilfunkbetreibern für die Nutzung dieses „Gemeinguts“ zur Kasse gebeten wird, hat da jemand in der Politik einfach nicht zu Ende gedacht.
Mit 5G wird nicht nur das Internet nochmals deutlich schneller gegenüber 4G/LTE. Wir konnten zu dem Thema Prof. Dr. Frank Fitzek von der TU Dresden befragen.
Netzneutralität? Ja, aber …
Das gerade erst in Brüssel abgehandelte Thema Netzneutralität wird in dem Abschlussbericht ebenfalls erwähnt. Während sogenannten Spezialdiensten logisch abgetrennt vom „offenen Internet“ bei ausreichend vorhandener Netzkapazität eine „Überholspur“ eingeräumt werden soll, sollen normale Datenpakete zwischen Sender und Empfänger nicht gedrosselt oder bevorzugt werden. Unklar bleibt der Bericht bei der Definition dieser Spezialdienste, auch wenn von nicht näher benannten „Dienstklassen“ die Rede ist.
Datenschutz und Überwachung
Wer – was ja naheliegend wäre – in einem solchen Bericht eine Reaktion auf die Überwachungsskandale der letzten Jahre erwartet hat, wird übrigens enttäuscht. Zwar werden ausführlich der Schutz personenbezogener Daten und die Notwendigkeit einheitlicher Regelungen in diesem Bereich erwähnt, aber einen auch selbstreflektierenden Umgang der Politik mit diesem Thema vor dem Hintergrund der NSA-Affäre sucht man in dem Bericht vergeblich.
NSA Skandal: Herr Innenminister, bitte nehmen sie ihren Hut!
Das ist besonders erschreckend, weil bei allem Tamtam um die Chancen und Risiken der Digitalisierung das Thema digitale Industrie- und Wirtschaftsspionage – auch durch Geheimdienste „befreundeter“ Staaten – bei vielen Unternehmen ja längst auf dem Tisch liegt. Hier vergibt der Abschlussbericht eine riesige Chance und rettet sich in allgemein gehaltenes Geschwurbel über Datentransparenz, Daten als Geschäftsmodell oder Bewegungsprofile, um abschliessend Deutschlands IT-Schutz als „internationalen Vorreiter“ zu bezeichnen.
Wohlgemerkt: wir sind die Nation, die gerade erst staunend einen der grössten Hacker-Angriffe auf das Netzwerksystem des Bundestags bewundern durfte, inklusive infiziertem Kanzlerinnen-Rechner. Die Aussage, dass „der Staat nicht die komplette Verantwortung für die Sicherheit im Cyberspace übernehmen“ könne klingt vor diesem Hintergrund schon ein wenig nach Bankrotterklärung.
Wenn ihr euch für diese Themen interessiert oder vielleicht sogar selbst beruflich im IT-Bereich unterwegs seid, dann lest euch den kompletten Bericht ruhig einmal durch. Er ist in weiten Teilen sehr verständlich geschrieben und gibt bei aller Zuversicht über evtl. anstehende Entwicklungen auch einen Überblick über die Dinge, die hierzulande seit gefühlten Ewigkeiten nicht angegangen wurden – weder von der Politik, noch von der Wirtschaft.
Bild: © Robin Krahl, CC-by-sa 4.0. Source: Wikimedia Commons