Es ist ein heikles Thema, bei dem ich mir hier ein schönes Eigentor schießen könnte. Schließlich freuen sich Tech-Schreiberlinge wie ich immer riesig über besondere Veranstaltungen wie die CES in Las Vegas oder den Mobile World Congress in Barcelona. Man trifft Kollegen, die oftmals über die Jahre zu Freunden geworden sind, kommt mal aus dem Home-Office-Einerlei raus, besucht besondere Events und last but not least kann man die nagelneuste Technik mit als erstes in Händen halten.
Da ist es natürlich ein wenig schräg, wenn man die Frage in den Raum stellt, wie zeitgemäß das alles noch ist. Aber erst mal der Reihe nach, wieso ich überhaupt diese These in den Raum werfe: Kürzlich sprachen wir darüber, dass mit LG der erste große Hersteller seine Teilnahme am MWC absagte. Es folgten weitere Namen wie Nvidia, Sony, ZTE — und Samsung, die eh ihr Galaxy-Unpacked-Event separat veranstalten und nicht mit kompletter Truppe beim MWC anreisen.
Der Grund ist das Coronavirus, welches Asien derzeit nicht nur gesundheitlich, sondern auch wirtschaftlich durcheinanderwirbelt. Vielen ist da der Aufwand und eben auch das Risiko zu groß, dick in Barcelona aufzufahren. Gerade bei diesen Tech-Events spielen Unternehmen aus Fernost eine große Rolle und das stellt die Anbieter allein schon logistisch vor eine Mammutaufgabe.
Es gibt also einen triftigen Grund, wieso Unternehmen dieses Jahr dem Mobile World Congress fernbleiben und der hat weder mit der Branche an sich, noch mit der Messe oder mit Barcelona bzw. Spanien zu tun. Ich glaube deswegen noch lange nicht, ob der Veranstalter in letzter Minute das ganze Event canceln wird, aber der MWC wird dieses Jahr definitiv ein anderes Gesicht haben, als wir das gewohnt sind.
Wie relevant sind Fachmessen?
Ja, vermutlich klingt es ein bisschen nach Blasphemie, aber ich stelle trotzdem die Relevanz-Frage bei Tech-Messen und auch bei Fachmessen generell. Das Coronavirus ist jetzt ein Faktor, der gegen die Teilnahme spricht. Aber ich will auf einen anderen Punkt hinaus: Gerade in Zeiten, in denen sich jeder von uns zumindest vor sich selbst dafür rechtfertigen muss, ob er einen Flieger besteigt (Stichwort: Flugscham), stelle ich mir die Frage, ob der Nutzen dieser Veranstaltungen größer ist als der Aufwand, den wir betreiben.
Blogs wie Engadget oder The Verge sind bei solchen Events oft mal allein mit 30, 40 Leuten unterwegs. Produktpräsentationen und Keynotes (gerade bei Autoherstellern) werden immer größer und pompöser, die Messestände großer Unternehmen wie Samsung nehmen auf Events wie der IFA oder der CES gerne mal komplette Hallen ein. Darf man hier vor einer tech-affinen Leserschaft die Frage stellen, ob das noch zeitgemäß ist?
Ich bin mir ja durchaus dessen bewusst, wie wichtig das persönliche Treffen von Ansprechpartnern und das erstmalige Antesten von Devices für die Branche ist. Desweiteren gibt es jenseits von Samsung, Sony und Co natürlich auch etliche sehr kleine Unternehmen, die für uns Fachbesucher nur auf solchen Events überhaupt wirklich sichtbar werden und von denen wir sonst nicht viel hören und sehen.
Aber vielleicht bedeutet das Abwägen von Nutzen und Aufwand ja nur, dass wir generell diese Events abspecken müssen. Weniger Glamour, mehr Fokussierung. Wenn ich mir jetzt eine solche Messe vorstelle, werden bei mir selbst gruselige CeBIT-Erinnerungen wach mit meist unschönem Wetter draußen und faden Messeständen drinnen. Aber vielleicht muss man sich manchmal auch ein wenig bewegen, selbst wenn einem aus dem persönlichen Blickwinkel die Entwicklung nicht gefällt.
Es geht mir auch gar nicht um die Tech-Events allein. Es gilt gleichermaßen für alle möglichen Fachmessen und vielleicht in noch größerem Maße für politische Veranstaltungen. Persönlicher Kontakt ist wichtiger, als man das irgendwie in Kennzahlen ausdrücken kann, dessen bin ich mir bewusst. Dennoch glaube ich nicht, dass politische Gipfel notwendig sind, bei denen einzelne Länder mit eigenem Fuhrpark und einer dreiköpfigen Entourage anreisen. Mir kommt direkt das Treffen in Davos in den Sinn, wo alljährlich Schwärme von Privatjets die Größe aus Politik und Wirtschaft in die Schweiz bringen.
Vermutlich interessiert sich bei den Events des Jahres 2021 längst kein Mensch mehr für das Coronavirus und vermutlich werden auch in zehn Jahren noch Events wie CES, MWC, IFA usw noch so aussehen wie heute. Aber wenn wir aktuell wirklich viele Aspekte unseres Lebens auf ihre Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit abklopfen, dann gehören für mich irgendwann eben auch Veranstaltungen auf den Prüfstand, die mehr und mehr zu riesigen Materialschlachten werden.
Wir werden auch in Zukunft immer noch persönlich sprechen und Produkte unter die Lupe nehmen müssen. Aber man kann zumindest ein bisschen vom Gas gehen, Veranstaltungen und Messestände abspecken und einiges mehr. Viele Briefings können per Videokonferenz stattfinden, was ja zum Teil auch schon passiert. Und nochmal: Ich will hier keine Revolution anzetteln, sondern nur diesen Gedanken durchspielen. Sagt mir gerne, wie eure Meinung dazu ist. Denkt ihr auch, dass sich diesbezüglich was tun muss oder denkt ihr eher: „Man kann’s auch übertreiben“?