Wisst ihr, was in Deutschland im Jahr 2022 passieren soll? Kann ich euch sagen: Bis 2022 sollen alle Verwaltungsleistungen in Deutschland online angeboten werden, hat zumindest die große Koalition versprochen. Das ist grundsätzlich schon mal traurig, weil es bedeutet, dass es in einer der weltweit führenden Industrienationen noch drei Jahre dauert, bis wir Behördengänge digital erledigen können. Ich kann die Einwohner Estlands bis hier ins Ruhrgebiet lachen hören.
Aber es wird noch trauriger: Wie nämlich das Handelsblatt vor einigen Wochen berichtete, tun sich der Bund, aber auch Länder und Kommunen schwer mit diesem Zeitplan und so glauben Experten mittlerweile längst, dass er nicht eingehalten werden kann — wir dürfen uns also darauf einstellen, dass wir erst später in diesen Genuss kommen werden.
Es hakt allein schon daran, dass längst bewilligte Stellen, die die Digitalisierung auf den Weg bringen sollen, nicht besetzt werden können. Das Innenministerium hat grünes Licht für rund 40 entsprechende Stellen, knapp ein halbes Jahr hat man davon immerhin schon eine einzige besetzt. Übrigens zur Freude von externen Unternehmen wie McKinsey, die als Berater in die Bresche springen.
575 Verwaltungsdienstleistungen vor der Brust
In einen Büokratie-Land wie Deutschland ist es aber auch eine Menge Holz, die bewältigt werden muss: Insgesamt sind es 575 verschiedene Verwaltungsdienstleistungen, die angeboten werden und die man in die digitale Welt überführen möchte bzw. muss. Übrigens hat die letzte Koalition aus CDU/CSU und SPD bereits versprochen, 100 dieser Dienstleistungen zu digitalisieren. Am Ende der Legislaturperiode war davon leider weit und breit nichts zu sehen. Nicht eine war wirklich flächendeckend verfügbar, lediglich bei der Kfz-Anmeldung waren Fortschritte zu beobachten. Auch schon wieder typisch und vermutlich Kalkül, dass man zumindest für die Autofahrer ein wenig vorankommt — viele Autofahrer = viele Wählerstimmen.
Damit man mit dieser Mammutaufgabe der Digitalisierung von fast 600 Dienstleistungen vorankommt, hat man die Dienstleistungen in 14 Themenbereiche aufgesplittet und es sollten sich jeweils einzelne Bundesländer um einen dieser Themenkomplexe kümmern. Auch das klappt leider nur so mittel: So hat sich für den Bereich „Forschung und Förderung“ bislang noch kein Bundesland gefunden, welches die entsprechende Patenschaft übernimmt, Bayern hat wegen Ressourcenmangels direkt abgewunken.
Der Digital Economy and Society Index (DESI) der Europäischen Kommission
Kein Wunder also, dass Deutschland digital noch so vor sich hin dümpelt und wir mehr und mehr Ländern den Vortritt lassen müssen bei der Digitalisierung in Europa. Nur für den Fall, dass unsere Regierung abstreiten möchte, dass wir innerhalb der EU weit von einem Spitzenplatz entfernt sind, können wir glücklicherweise einen Blick auf den neusten Digital Economy and Society Index (DESI) der Europäischen Kommission werfen. Der liegt nämlich jetzt vor und bröselt fein säuberlich nach verschiedenen Bereichen auf, wo die EU-Nationen digital vorankommen und wo eher nicht bzw. wo man im Vergleich steht.
Grafik: Statista
Sieht doch gar nicht so schlecht aus, wenn man auf die Statista-Grafik blickt. Solides Mittelfeld — immerhin liegen wir nicht am Ende des Feldes. Finnland, Schweden, die Niederlande und Dänemark führen die Wertung an, Deutschland belegt den 12. von 28 Plätzen, knapp vor Österreich auf Platz 13. Ja, man könnte meinen, dass so ein Mittelfeldplatz irgendwie okay ist. Aber dabei müssen wir eben berücksichtigen, wie dieser Digitalisierungsgrad gemessen wird. Fünf verschiedene Bereiche finden sich in diesem Index, die in die Gesamtbewertung einfließen:
- Konnektivität
- Humankapital/Digitale Kompetenzen
- Nutzung von Internet-Diensten durch Bürgerinnen und Bürger
- Integration der Digitaltechnik durch Unternehmen
- Digitale öffentliche Dienste

Wieso das interessant ist? Weil wir Deutschen zum Beispiel überdurchschnittlich bei der Nutzung von Online-Diensten sind — immerhin EU-weit Platz 9. Das, was in der Industrie in Sachen Digitalisierung und E-Commerce passiert und was wir uns privat an Skills draufpacken, ermöglicht also erst diesen schmeichelhaften 12. Platz.
Würden wir nur darauf schauen, was der Bund und die Behörden in Sachen Digitalisierung auf die Kette bekommen, sähe es deutlich bedenklicher aus. Exemplarisch sind die oben beschriebenen digitalen Dienstleistungen im Bereich der Verwaltung. Gerade einmal knapp jeder zweite deutsche Internetnutzer (genauer gesagt 43 Prozent) greifen auf solche Dienstleistungen zurück. Das liegt deutlich unter dem EU-Schnitt von 64 Prozent und beschert uns den drittletzten Platz in diesem Ranking — lediglich Italien und Griechenland liegen noch dahinter.
Das ist dramatisch, gerade weil — wie oben beschrieben — auch keine schnelle Besserung in Sicht ist. Bei der Konnektivität, wo wir immerhin schon mal die 5G-Frequenzen versteigert haben (yay!), macht Deutschland zwar leichte Fortschritte, aber nicht so flott wie andere Nationen. Bedeutet, dass wir auch hier von einem 9. Platz auf den 11. Platz zurückfallen. Wenn wir sehen, dass in der EU auch andere Nationen flotter sind, sich auf die 5G-Technologie einzulassen, bin ich skeptisch, dass wir diesen 11. Platz bei der nächsten Bewertung halten können.
Ich möchte kein zu düsteres Bild zeichnen und ganz sicher will ich auch nicht die Regierung eines Landes pauschal bashen, in welchem sich ja nach wie vor hervorragend leben lässt. Aber sagen wir, wie es ist: In den letzten ein, zwei Jahrzehnten haben wir in Deutschland die Digitalisierung so was von verpennt und das müssen wir alle auch ein bisschen auf unsere Kappe nehmen, weil wir uns mit ähnlichen Durchhalteparolen hinhalten ließen, wie sie die Regierung beim Thema Klimaschutz formuliert.
Aktuell wirkt die Regierung seltsam bemüht, nach dem EU-Wahl- und Rezo-Debakel so was ähnliches wie Betriebsamkeit und Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Aber ich fürchte, so richtig voran werden wir erst kommen, wenn wir diese große Koalition hinter uns gelassen haben — und Politiker erkennen, dass es darum geht, die richtigen Dinge anzupacken, weil sie anzupacken sind und nicht, weil sie Wählerstimmen versprechen.
Quellen: Spiegel, Handelsblatt