Häusliche Gewalt ist ein Thema, welches wir auf unserem Tech-Blog wahrlich nicht oft auf dem Schirm haben. Das hat aber mehr mit unserer Ausrichtung zu tun und weniger damit, dass wir das Problem unterschätzen könnten. Wir möchten jetzt aber mit ein paar Artikeln darauf eingehen und das geht am einfachsten, wenn sich beides — das Thema häusliche Gewalt und das Thema Tech — bei einer Nachricht überschneiden.
Bei “Echo of Help” ist genau das der Fall: Wir reden hier von einem Projekt der unabhängigen Nichtregierungsorganisation “UN Women Nationales Komitee Deutschland e.V.”. Die beschäftigen sich ausgiebigst mit häuslicher Gewalt, haben aber auch andere relevante Themen im Fokus, wie ihr hier nachlesen könnt.
Eigentlich habe ich schreiben wollen, dass ich glücklicherweise niemanden in meinem Bekanntenkreis habe, der Opfer häuslicher Gewalt ist, aber das ist natürlich Quatsch. Quatsch deswegen, weil aus einer Vielzahl von Gründen — zum Beispiel Angst oder Scham – die Betroffenen so etwas nicht an die große Glocke hängen. In diesem Punkt haben wir es hier mit einem ähnlichen Tabuthema zu tun wie bei Depressionen (edit: oder Mobbing).
Vorab ein Hinweis:
Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und für jedermann 24/7 erreichbar unter den Telefonnummern sind 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222. Diese Telefonate tauchen übrigens weder im Einzelverbindungsnachweis noch auf der Telefonrechnung auf.
Echo of Help
Was ist Echo of Help? Ein smarter Assistent auf der Basis eines Amazon Echo. Genauer gesagt, ist es ein Prototyp, der grundsätzlich immer noch ein Echo ist, dem man aber eine entscheidende Funktion in Form eines stillen Alarms spendiert hat.
Dieser stille Alarm wird durch ein vorher definiertes Code-Wort ausgelöst und auf diesem Weg werden ebenfalls vorher ausgewählte Kontakte benachrichtigt. Sollte beispielsweise also eine Frau in eine bedrohliche Situation geraten, kann sie unauffällig Hilfe rufen.
UN Women stört sich daran, dass Echo von Haus aus nur auf bestimmte Wörter anspricht, obwohl es technisch ein leichtes wäre, einen solchen stillen Alarm zu integrieren. Im Grunde geht es aber gar nicht darum, jetzt alternativ selbst einen smarten Lautsprecher zu produzieren. Vielmehr möchte man a) das Thema aus der Tabu-Zone in die Öffentlichkeit zerren und Menschen dafür sensibilisieren und b) gleichzeitig anregen, dass Amazon reagiert und von sich aus die Funktion implementiert.
UN Women fordert in diesem Zusammenhang dazu auf, das Thema unter dem Hashtag #EchoOfHelp in die sozialen Medien zu tragen und damit in die Köpfe der Leute zu bringen. Auf der Seite Echo of Help bekommt ihr dazu auch weitere Informationen rund ums Thema, erfahrt dort zum Beispiel, dass allein im Jahr 2016 146 Frauen durch häusliche Gewalt ums Leben kamen.
Welche Schwierigkeiten kann es geben?
Bei einem so schwierigen Thema gibt es leider auch nicht die eine Patentlösung, die ein Problem im Handumdrehen beseitigt. Auch bei Echo of Help gibt es kritische Stimmen. Chip zitiert zum Beispiel Marina Mozny von der Polizei München:
Häusliche Gewalt sei nur selten ein einzelnes Ereignis, sondern oft ein dynamischer, lang andauernder Prozess. Es bedarf oftmals einer intensiven Beratung von außen, um den Opfern von Häuslicher Gewalt besondere Gefahrenmomente (zum Beispiel endgültige Trennung, Umzug, neuen Lebensgefährten, gewonnene Gerichtsverhandlungen) aufzuzeigen sowie entsprechende Handlungskompetenzen zu vermitteln. Marina Mozny, Polizei München
In der Tat ist es nicht so einfach, wie die Idee grundsätzlich erscheint. Es reicht nicht, den Betroffenen ein Instrument an die Hand zu geben, aus dem schlichten Grund, dass den Opfern oft die Kraft oder der Mut fehlt, sich zu überwinden und etwas gegen die Situation zu unternehmen.
UN Women stellt selbst auch klar, dass Echo of Help lediglich als Akuthilfe gedacht ist und unabhängig davon professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden sollte. Allerdings kann eine solche Funktion im Smart Speaker tatsächlich den Unterschied machen, wenn eine Situation eskaliert.
Sollte sich jemand nämlich in Todesangst befinden, überwindet man sich vermutlich eher dazu, einen stillen Alarm auszulösen, statt aus dem Haus zu rennen und dann die Polizei zu alarmieren. Allerdings sehe ich da schon den nächsten Haken: Natürlich müssen vorher erst Personen ausgewählt werden, die im Notfall per SMS eine Nachricht bekommen sollen und es muss ein Alarm-Wort konfiguriert werden. Dabei stellen sich gleich mehrere Fragen:
- Bei welchen Menschen traue ich mich zuzugeben, dass ich Opfer häuslicher Gewalt bin?
- Traue ich mich, im Vorfeld mit diesen Menschen über das Problem zu sprechen – schließlich sollen sie ja wissen, was zu tun ist, wenn tatsächlich eine Alarm-Nachricht kommt (…und sie sollen nicht denken, dass die Meldung nur ein Gag ist)
- Bin ich technisch bewandert genug, vorher Echo/Echo of Help entsprechend vorzubereiten und zu konfigurieren?
- Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Partner in den Einstellungen des Geräts feststellt, dass ein Alarm-Wort festgelegt wurde?
- Falls der Partner davon weiß, dass im Echo ein Alarm aktiviert werden kann, verbietet er vielleicht die Anschaffung eines solchen Geräts?
Das sind alles Punkte, die jeder für sich nicht zu unterschätzen sind. Aber trotz dieser Hürden kann Echo of Help dennoch ganz unabhängig davon sehr nützlich sein. Weil eben für Awareness gesorgt wird und weil durch so eine Technologie erreicht werden kann, dass sich ein Opfer tatsächlich der Situation bewusst wird, in der es sich befindet.
Denn es ist ja so: Wenn ich mich in einer stillen Minute hinsetze und herausfinde, wie ich ein Alarm-Wort einrichte für den Notfall, dann habe ich ja spätestens in dem Moment erkannt, dass ich mich wirklich in einer äußerst unschönen Lage befinde. Wenn man also den Mut hat, sich das einzugestehen, findet man vielleicht auch ebenso den Mut, sich professionelle Hilfe zu suchen.
So oder so: Man muss das alles sehr gut abwägen und durchdenken, aber das Wichtigste ist, dass eben überhaupt darüber nachgedacht wird. Je mehr Menschen sich dieser Probleme bewusst sind, desto mehr Lösungsansätze können gefunden werden und desto eher wird Betroffenen auch klar, dass sie mit dieser Situation nicht allein auf der Welt sind.
Wer weiß: Vielleicht müssen wir in ein paar Jahren gar nicht mehr darüber diskutieren, ob smarte Speaker mit diesen stillen Alarmen ausgestattet werden sollen, weil es bis dahin schon längst üblich ist. Und noch einen Schritt weiter gedacht: Vielleicht kann man die Menschen, die andere in einer Beziehung drangsalieren, ja allein schon dadurch zum Nach- und Umdenken bringen, dass sie ständig davon ausgehen müssen, dass Hilfe alarmiert wird. Klar, ganz so leicht lässt sich das Thema sicher nicht aus der Welt schaffen, aber Technik kann in diesem Fall zumindest unterstützen und sensibilisieren.