Derzeit beschäftigen wir uns hier auf dem Blog oft und gern mit Innovationen in vielen verschiedenen Bereichen. Die Kehrseite davon ist, dass wir uns auch damit auseinandersetzen müssen, wenn beim Thema Innovation mal ein bisschen Sand ins Getriebe gerät. Sprechen wir konkret über die deutsche Regierung, müssen wir das vermutlich sogar präzisieren und erklären, dass es nicht um ein bisschen Sand geht, sondern um eine Sandmenge irgendwo zwischen vier LKW-Ladungen und Copacabana-Strand.
Beim gestrigen Artikel, in dem es um Seilbahn und Hyperloop ging, forderte ich ein, dass wir nicht zu leicht und zu vehement Kritik üben und das gilt auch nach wie vor. Wenn man sich aber manche Äußerungen der letzten Tage anhört, kann man schon arg ins Staunen geraten — und ja: Auch in Wut.
Ja, Digitalisierung ist jetzt sicher nicht mein Spezialbereich, aber ein absolutes Zukunftsthema. Judith Gerlach, neue Digitalministerin in Bayern
Nein, Judith — Digitalisierung ist kein Zukunftsthema, eigentlich ist es sogar schon falsch, wenn man es ein Gegenwartsthema nennt, weil wir besser gestern als heute damit angefangen hätten, diesbezüglich die Ärmel hochzukrempeln. Aber ganz ehrlich: Ihr mache ich da den kleinsten Vorwurf, weil es für mich aussieht, dass man in München lediglich möglichst schnell zwei Fliegen mit einer Klappe erwischen wollte. So hat man jetzt ein brandneues Ministerium mit Prestige und Strahlkraft, welches symbolisieren soll, dass Bayern die deutsche Tech-Hochburg sein möchte. Gleichzeitig wehrt man sich durch Gerlachs Nominierung für dieses Amt auch gegen die zurecht wachsende Kritik daran, wie dominant alte Männer in der bayrischen Politik sind und wie wenig jüngere Menschen und speziell jüngere Frauen dort stattfinden.
Gut für die junge Ministerin, dass es auf Bundesebene PolitikerInnen gibt, die sich noch ungeschickter zu Wort melden. Neben den üblichen Verdächtigen wie Seehofer, Spahn, Merz und Co will sich da vor allem Anja Karliczek derzeit einen Namen machen, ihres Zeichens Bundesministerin für Bildung und Forschung.
Sie glänzt derzeit direkt doppelt in den Medien. So macht sie sich beispielsweise ihre Gedanken zur Ehe für alle und fordert, dass Langzeitstudien ermitteln sollen, ob Kinder in gleichgeschlechtlichen Ehen oder Partnerschaften größere Schwierigkeiten haben als in heterosexuellen Ehen und Partnerschaften. Unabhängig davon, dass Studien bereits das Gegenteil bewiesen haben, ist die ganze Denkweise so unglaublich hinterwäldlerisch, dass man durchaus Zweifel anmelden darf, ob sie das Ressort “Bildung” tatsächlich weit nach vorne bringen kann.
Für mich in meiner Tech-Bubble ist aber eine weitere Äußerung noch deutlich ärgerlicher, denn dort setzt sie sich mit der anstehenden 5G-Technologie auseinander. Gegenüber Reuters-TV sagte sie nämlich jüngst den bemerkenswerten Satz:
5G ist nicht an jeder Milchkanne notwendig. Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung
Für jeden Bürger dieses Landes, der dringend darauf hofft, dass in Deutschland endlich mal ein paar wichtige und überfällige Entwicklungen Richtung Digitalisierung angeschoben werden, ist so ein Satz ein saftige Ohrfeige. Berücksichtigt man dabei, dass ausgerechnet die Bundesministerin für FORSCHUNG sowas raushaut, ist es eigentlich sogar ein wuchtiger Tritt ins Gemächt. Aber hören wir ihr weiter zu:
Wenn wir 4G flächendeckend haben, sind wir schon sehr gut ausgestattet. Um in die Fläche zu gehen, können wir uns ein bisschen Zeit lassen. Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung
Wichtig sei ihrer Meinung nach, 5G-Einheiten “an zentralen Stellen” aufzubauen, damit man die Kommunikation steuern könne. Junge, Junge!! Frau Ministerin: Hören sie doch kurz in unseren Podcast rein zum Thema 5G. Dauert gerade einmal fünf Minuten, in denen sie feststellen können, dass es eben nicht nur darum geht, dass das mobile Internet noch ein klitzekleines bisschen flotter wird. Vielleicht nehmen sie sich auch noch ein bisschen mehr Zeit und lesen sich diesen Beitrag durch:
Die Technologie wird so unendlich wichtig, weil es eben nicht nur um schnelleres Internet auf dem Smartphone geht, sondern um autonome Autos, um Smart Cities, um berufliche Innovationen in Lagerhallen, in der Logistik, in den OP-Sälen und an unendlich viel mehr Einsatzorten. Wir fokussieren uns immer noch gerne darauf, dass die Autoindustrie allein Deutschland dazu verhelfen kann, auch weiterhin in der Wirtschaft eine führende Rolle in der Welt zu spielen.
Während in besagter Autoindustrie aber erfreulicherweise ein Umdenken stattgefunden hat und ich das Gefühl habe, dass man da weitestgehend auf Kurs ist (und nicht zu sehr auf verlorenem Posten), dürfen wir wohl Zweifel haben, ob die Regierung in der Lage ist, rechtzeitig die richtigen Weichen zu stellen, damit die Wirtschaft durchstarten kann.
Langsam frage ich mich, wie viele Ministerien sich mit der Digitalisierung befassen müssen, wie viele Digitalräte gebildet und wie viele externe Experten noch befragt werden müssen, damit davon dann auch mal was in den Köpfen der Bundespolitiker ankommt. Man sollte sich in Berlin vielleicht auch endlich mal davon verabschieden, den Begriff “Digitalisierung” nur als Buzzword vor sich her zu tragen, um sich die Hoffnung auf Wählerstimmen zu bewahren. Stattdessen sollte man den Begriff mit Leben füllen und das bitte, bitte schnell. Und ja: Schnell bedeutet in diesem Fall richtig schnell und vor allem tatsächlich an jeder Milchkanne. Wir werden nämlich feststellen, dass autonome Autos auch in ländlichen Gebieten fahren werden und nicht nur in Städten.
Quellen: Wirtschaftswoche, n-tv