Es ist so schön einfach: Ihr wollt aufs Konzert gehen, habt eure Karte schon lange vorher offiziell gekauft und betretet die Konzert-Location dann einfach ohne Kartenkontrolle, marschiert dank Facial Recognition einfach durch und es kann losgehen.
Ist das wirklich so eine schöne Vorstellung? Wir haben uns letztes Jahr schon einmal darüber unterhalten, dass der Konzert-Riese Ticketmaster mit dem Gedanken spielt, künftig darauf zu verzichten, Karten kontrollieren zu lassen zugunsten von Gesichtserkennung. Kameras sollen also euer Gesicht möglichst schnell erkennen, so dass das Kontrollieren des eigentlichen Tickets obsolet wird.
Das ist natürlich sowohl technisch als auch moralisch mit einigen Hürden verbunden. Ist wirklich garantiert, dass ich das Gelände betreten kann? Was, wenn jemand, der mir wirklich sehr ähnlich sieht, als ich erkannt wird und mir dann der Zutritt verwehrt bleibt, weil ich offiziell ja schon drin bin? Was, wenn ich aufgrund von Hut, Sonnenbrille, Bart oder was auch immer nicht erkannt werden kann? Aber selbst, wenn es zuverlässig funktioniert: Was passiert mit den Daten? Welche Folgen kann es haben, wenn ich erfasst werde und somit dokumentiert Besucher einer Veranstaltung war?
Ihr seht, es gibt durchaus Fragen, die sich stellen — wie immer, wenn es darum geht, dass irgendwo im öffentlichen Raum Menschen getrackt werden. Einigen Künstlern um “Rage against the machine”-Legende Tom Morello passt das alles nicht, weshalb man unlängst seinen Protest gegen diese Gesichtserkennung organisiert hat.
Fans should feel safe & respected at shows, not subject to surveillance, harassment, deportation, or arrest. That's why we're joining in to call on @Ticketmaster & others not to use #FacialRecognition at festivals and concerts https://t.co/AvesV6eNiM #DontTrackFansAtShows pic.twitter.com/0BmQbT3YnN
— Thievery Corporation (@ThieveryCorpDC) September 10, 2019
Die Sorge der Künstler ist nicht unbegründet – nicht aus ethischer Sicht, aber eben auch nicht aus technologischer Sicht. Forscher am MIT und der Stanford University haben in einer Studie festgestellt, dass drei verschiedene Analyseprogramme, die auf Gesichtserkennung spezialisiert sind, große Schwierigkeiten haben, wenn die gescannten Gesichter nicht weiß oder männlich sind.
Im Normalfall arbeiten die Gesichtserkennungen sehr zuverlässig — 97 Prozent der Gesichter werden erkannt. Anders sieht es aus bei People of Color und bei Frauen. In der Studie hat sich herausgestellt, dass Frauen mit einer dunkleren Hautfarbe je nach Software zwischen 20 und 35 Prozent Fehlerquote unterliegen. Bei Frauen mit besonders dunkler Haut ist es noch schlimmer: Die Fehlerquote liegt hier bei etwas mehr als 46 Prozent — Engadget schließt daraus zu recht, dass man in dem Fall genau so gut raten könnte, ohne dass sich die Quote signifikant verschlechtert.
Die Künstler, die sich jetzt gegen diese Technologie stellen, führen an, dass es eine Vielzahl von Gründen gibt, die gegen eine solche Gesichtserkennung bei Konzerten und Festivals spricht. Im besten Fall hängt das nur mit kommerziellen Interessen des Veranstalters zusammen. Ticketmaster als Teil von Live Nation hat viele Millionen Kunden weltweit. Somit könnte euer Gesicht in eine Datenbank wandern, in der nicht nur erfasst wird, welche Konzerte ihr in welcher Location gerne besucht, sondern auch, wie früh ihr die Halle betretet, wie oft ihr pinkeln oder Bierholen geht. Creepy? Ja, eben!
Aber was, wenn das nicht alles ist? Wenn die Kameras auch dazu genutzt werden, damit die Polizei mögliche Alkohol- oder Drogenvergehen ermittelt oder sonstiges Fehlverhalten innerhalb der Menge? Was, wenn sich Strafverfolgungs- oder Einwanderungsbehörden einschalten und fordern, dass die sensiblen biometrischen Daten an sie weitergegeben werden? Wollen wir uns daran gewöhnen, dass in so einem Fall Leute aus der Menge holen, gegen die ein Haftbefehl aussteht oder sie abgeschoben werden sollen?
Selbst, wenn ihr das jetzt mit “Ja” beantwortet, weil es ja ein legitimes Anliegen ist, dass Straftäter ausgeliefert werden: Würdet ihr das immer noch gut finden mit Rücksicht auf die oben beschriebene Fehlerquote? Stellt euch vor, dass euch bewaffnete Polizisten vor einem Konzert aus der Menge holen, weil die Software schlicht versagt hat. Und stellt euch vor, was los ist, wenn das deutlich mehr Menschen mit dunkler Haut und Menschen weiblichen Geschlechts widerfährt.
Es gibt also durchaus gute Gründe, wieso man da jetzt versucht, entschieden einen Riegel vorzuschieben und die gute Nachricht für Musik-Fans: Viele große US-Festivals — bislang über 40 — haben schon zugesagt, auf die Technologie zu verzichten. Die Musiker um Tom Morello, die Teil der Organisation Fight for the future sind, haben die Kampagne Ban Facial Recognition at Festivals ins Leben gerufen und in der Tat sind schon ganz große Namen auf der Seite der Künstler: Sowohl beim Coachella Festival, beim SXSW-Festival oder auch beim Loolapalooza werden die Organisatoren auf die Technologie verzichten, beim obigen Link seht ihr die komplette Liste. Hinter den meisten der großen Festivals blinkt das grüne Icon als Beleg dafür, dass man ohne Facial Recognition auskommen wird. Bei einigen wenigen — inklusive Burning Man — sehen wir zumindest noch ein rotes Symbol.
Bei der Kampagne handelt es sich zudem um eine Petition gegen den Einsatz der Gesichtserkennung bei Festivals, die ihr auch unterzeichnen könnt. Enthalten ist dort ein Schreiben, welches in eurem Namen an die Organisatoren der Festivals weitergeleitet wird und in dem erklärt wird, dass man nicht an Events teilnehmen möchte, bei denen die Gesichter der Besucher getrackt werden.
In einem Beitrag bei BuzzFeed schreiben Tom Morello und Musikerkollege Evan Greer:
Dieser Sieg ist der erste große Schlag für die Verbreitung der kommerziellen Gesichtserkennung in den Vereinigten Staaten, und ihre Bedeutung kann nicht genug betont werden.
Ihr wisst, dass ich neuen Technologien gegenüber immer offen bin und nichts vorschnell verteufle. Aber in diesem Fall gibt es wirklich gute Gründe, die dagegen sprechen, dass man sich bewusst gegen die Gesichtserkennung bei Konzerten (oder auch Sport-Events) ausspricht. Lasst euch also nicht blenden dadurch, dass es so schön angenehm ist, ohne Kartenkontrolle das Stadion oder die Halle betreten zu dürfen. Wie ich auch schon letztes Jahr zum Thema schrieb: Um Personenkontrollen kommt man ja dennoch nicht herum, so dass im Endeffekt gar nicht wirklich viel Zeit eingespart wird. Also können wir uns überlegen, ob wir für eine Ersparnis einiger weniger Sekunden tatsächlich mit unserem Gesicht in einer Datenbank landen, von der wir nicht wissen, was dann weiter dort passiert. Ich finde es schwierig und befürworte daher die Kampagne, die aus den USA hoffentlich noch nach Europa herüberschwappen wird.
Quelle: Fight for the Future via Engadget