Die EU ist meiner Meinung nach eine der besten Ideen, die jemals auf diesem Kontinent erdacht wurden. Klar, in der Umsetzung ist nicht immer alles perfekt, kann bei einem Projekt dieser Größe auch gar nicht, aber verglichen mit dem neuen Flughafen in Berlin, steht die EU gar nicht so schlecht da. Aber ein Mann ist scheinbar angetreten, der ganzen Welt zu beweisen, dass der falsche Mann an der richtigen Stelle es schaffen kann, ein politisches Großprojekt wie die EU zu Fall zu bringen: Günther H. Oettinger.
In seiner Position als EU-Kommissar für (so heißt es zumindest, so wie er agiert würde da ein „gegen“ wohl besser passen) Digitale Wirtschaft und Gesellschaft scheint er es als seine Aufgabe zu sehen, eben diese Wirtschaft und Gesellschaft in der EU zu beenden. Wir müssen wahrscheinlich froh sein, dass wir heute in der EU noch Strom haben, immerhin war er zuvor EU-Kommissar für Energie.
Der EU-Kommission wird regelmäßig vorgeworfen, Dinge zu regeln, die nicht geregelt werden müssen. Sei es die angebliche Verordnung zum Krümmungsgrad von Bananen (welcher aber gar nicht geregelt wurde) oder auch reale Regelungen, die zum Beispiel das Ende der Glühbirnen brachten oder Begrenzungen beim Energieverbrauch von Staubsaugern bedeuten. Wobei das eher schlechte Beispiele sind, denn wer vermisst angesichts von LED-Lampen noch die olle Glühbirne? Und Staubsauger, die bei gleicher Saugleistung weniger Energie verbrauchen sind auch keine schlechte Idee.
Aber es gibt natürlich auch Dinge, die einfach nur irrsinnig sind, wie die Verpflichtung für das Land Berlin, ein Seilbahngesetz zu haben. Man kann sicher lange und breit darüber diskutieren, welche Regelungen auf EU-Ebene überflüssig sind und welche schädlichen Nebenwirkungen die auf EU-Ebene angehäufte Bürokratie so alles hat. Aber Günther Oettinger möchte hier wohl noch eins drauf setzen und sich zum Helden aller EU-Skeptiker machen.
Gegenüber der FAZ verteidigt er (hinter einer Paywall) die Pläne eines EU-Leistungsschutzrechts für Verleger nicht nur, er bestätigt sogar noch, dass es wirklich so übel werden soll, wie gedacht. Und da ist es egal, zu welchem Teil er da seine Meinung sagt, man möchte einfach nur vor Schmerzen aufschreien. Zum Beispiel Überschriften von Presseartikeln. Die meisten Überschriften sind deutlich kürzer als ein Tweet und bei Tweets gab und gibt es lange Diskussionen darüber, ob so ein kurzer Text überhaupt urheberrechtlichen Schutz genießen kann. Tendenziell ist das eher selten der Fall:
Dies führt wohl zu dem Ergebnis, dass Tweets in aller Regel urheberrechtlich nicht geschützt sind, da bei 140 Zeichen nur in Ausnahmefällen eine hinreichende Schöpfungshöhe angenommen werden kann. Dr. Carsten Ulbricht
Nun sollte man meinen, dass noch kürzere Texte hier eher noch seltener Anspruch auf urheberrechtlichen Schutz hätten und das mag durchaus auch so sein, aber dafür hat man sich ja das Leistungsschutzrecht für Verleger ausgedacht. Geht es nach Günther Oettinger, dann werden auch Überschriften danach lizenzpflichtig, aber natürlich nicht jede:
Wobei wir dabei nicht von rein faktischen Überschriften wie ‚Flugzeugabsturz in Afrika’ reden. Es muss schon um eine eigene intellektuelle Leistung gehen. Günther Oettinger in der FAZ
Das wird ein Spaß, wenn in Zukunft dann Juristen darüber befinden müssen, ob einer Überschrift, die aus vielleicht fünf Wörtern besteht, eine „eigene intellektuelle Leistung“ zugrunde liegt. Nachdem das mit der juristischen Klärung „kleinster Textausschnitte“ im deutschen Leistungsschutzrecht für Verleger so gut geklappt hat, wird diese Klärung sicher auch nicht länger als ein paar Jahre dauern.
Und selbstverständlich hat unser EU-Digitalkommissar auch das „dann machen wir News halt zu“-Schlupfloch von Google im Blick bei diesen neuen Leistungsschutzrecht auf EU-Ebene. Nicht erst, wenn Suchmaschinen oder Newsdienste die Meldungen von Verlagen verwenden, um sie mit kurzen Texten versehen zu verlinken, sollen sie zur Kasse gebeten werden. Nein, das wäre ja zu einfach. Schon wenn ein Google-Bot eine Verlagswebsite besucht, die Texte dort einliest und in den Index der Suchmaschine aufnimmt, sollen es kosten.
Es wird also kein „dann zeigen wir nur noch die nackten Links an“-Schlupfloch geben für Google, der einzige Weg für Google, hier Zahlungen zu vermeiden, wäre dann wohl, die Verlage in Europa – zumindest diejenigen, die sich auf so ein Leistungsschutzrecht berufen – komplett aus seiner Suchmaschine zu schmeißen. Das wäre für die Verlage natürlich nicht schön, schließlich hat Google eine enorme Marktmacht und hier muss selbst Günther Oettinger zugeben, dass für dieses Problem sein Leistungsschutzrecht keine Lösung habe. Aber dafür gäbe es ja dann schließlich das Wettbewerbsrecht (an dieser Stelle des Textes meine ich fast so etwas wie ein fieses Lachen zu hören).
Aber nicht nur Google ist der Feind, da ist Günther Oettinger ganz ehrlich:
Wenn wir jetzt ≠ handeln, wird es immer weniger Zeitungsartikel zum Verlinken geben. FAZ: https://t.co/RcTMIedkLL pic.twitter.com/OjwucDHChv
— Günther H. Oettinger (@GOettingerEU) September 5, 2016
Also auch iPhone, Tablets und Facebook sind im Visier seines Leistungsschutzrechts, man kann davon ausgehen, dass er damit auch Android-Smartphones, Notebooks und Twitter meint, eben irgendwie das ganze neumodische Digitalzeug. Die Verlage sollen also gegen dieses ganze digitale Teufelszeug gestärkt werden…
Klar, noch ist nicht raus, ob sich die EU-Kommission mit ihren Plänen so durchsetzen kann, möglicherweise schafft es das EU-Parlament tatsächlich in den anstehenden Verhandlungen, entscheidende Teile der Verordnung zu korrigieren. Denn sollte das nicht gelingen, dann dürften wir uns darauf einstellen, dass diese ganzen modernen Angebote rund um den Konsum von News über das Netz, von denen Günther Oettinger so gerne spricht, in Zukunft überall verfügbar sein werden, nur nicht in Europa.
Ach so, warum mich Günther Oettinger ein wenig an Deadpool erinnert? Es gibt da diesen Comic-Vierteiler namens „Deadpool kills the Marvel Universe“. In diesem schafft es ein durchgeknallter Killer mit Selbstheilungskräften (eben Deadpool), alle Superhelden (und -schurken) des Marvel Universums zu killen. Nun ist Günther Oettinger kein Killer und auch wenn vieles, was er sagt, so wenig Sinn ergibt, wie die Sprüche von Deadpool, so will ich nicht über seinen Geisteszustand spekulieren, aber gewisse politische Selbstheilungskräfte scheint er ja zu besitzen, sonst wäre er längst nicht mehr in der Politik unterwegs. Und klar, er macht nicht Jagd auf Superhelden, sondern auf das ganze digitale Teufelszeug und er killt kein Universum, er scheint es nur auf die EU abgesehen zu haben, deren Teil er aber wiederum ist.