Seit Jahren, eigentlich schon seit Jahrzehnten (was mich wieder mal daran erinnert, wie alt ich eigentlich bin), wird gepredigt, dass wir unseren Nachwuchs fit machen müssen für die schöne neuen Medienwelt im Internet. Und genau so lange wird diese Herausforderung zur Seite geschoben und statt sich zu überlegen, wie man das Thema Medienkompetenz im Unterricht an deutschen Schulen unterbringen kann, kommt eine typische deutsche „Lösung“ nach der anderen: Verbote, Sendezeiten im Internet, Netzsperren, Filter… und jetzt sind kommen „Gütesiegel“.
Familienministerin Manuela Schwesig sieht dieses Gütesiegel als Teil der Modernisierung des Kinder- und Jugendschutzes, zu der auch der „Umbau“ der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien zu einer einer Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz gehören soll. Natürlich kann in einem Interview, wie sie es der Welt am Sonntag gegeben hat, nicht jedes Detail eines solchen Plans erörtert werden und wenn nicht schon so viele Jahre bei dem Thema vetrödelt worden wären, dann könnte man vielleicht auch mal abwarten, was da kommt. Ja wenn.
Tatsache ist aber dummerweise, dass hier schon so viel Zeit vergangen ist und einfach keine Zeit mehr ist für irgendwelche Experimente. Und was die Frau Ministerin da in dem Interview erzählt, klingt eher nach einem weiteren Experiment, welches vor allem mal den Vorteil hat, nicht so viel Geld zu kosten und weniger aufwändig zu sein, als die vernünftige Verankerung des Themas im Unterricht. Einfach ist das mit der Bildung in Deutschland nun mal nicht, da Bildung Ländersache ist. Da kann nicht einfach die Bundesregierung beschließen, dass das Thema nun in die Lehrpläne rein muss, das muss mit den Ländern ausgehandelt werden. Und es gibt Länder, die finanziell ziemlich beschissen da stehen, die haben aus diesem Grund kein gesteigertes Interesse daran, dass sie für Bildung noch mehr Geld ausgeben müssen. Aber anders geht es nicht, die Lehrer müssen entsprechend weitergebildet werden oder es müssten zumindest mal neue, junge Lehrer eingestellt werden, die selbst schon mit dem Thema aufgewachsen sind. Kostet alles Geld.
Also wird wahrscheinlich wieder mal Symbolpolitik betrieben, die am Ende sogar noch ein paar Euros in die Staatskasse tröpfeln lässt. Nur so eine Vermutung, wie das dann aussehen wird: Website-Betreiber können sich, gegen eine Gebühr natürlich, bei der neuen Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz um das Gütesiegel für ihr Angebot bewerben. Diese Zentrale wird dann prüfen und das Siegel vergeben oder auch nicht. Zusätzlich wird es Filterlisten geben, mit denen Eltern dann in der Fritz!Box schnell und einfach das Internet für ihre Kinder aussperren können, von den Seiten mit Gütesiegel abgesehen. Und das alles soll denn Eltern dann helfen, ihr Kinder so zu erziehen, dass sie „Medienkompetenz entwickeln“:
Wir wollen Eltern damit bei der Medienerziehung unterstützen. Es geht nicht darum, die Kinder und Jugendlichen zu überwachen. Es geht darum, dass sie Medienkompetenz entwickeln. Familienministerin Manuela Schwesig
Oh, diese Art der „Medienkompetenz“ also: „Da klebt ein Schwesigsiegel drauf, das ist also gut.“? Ernsthaft? Jugendliche, die vor der Kamera rumpoppen und das per Facebook Live in die Welt streamen, Gaffer, die bei einem Unfall für einen Schnappschuss vom Opfer die Rettungskräfte behindern, Menschen, die jede noch so dämliche Fake- und Hetzmeldung ernst nehmen, weil sie im Internet steht… die Liste der Auswirkungen fehlender Medienkompetenz könnte man sehr lange weiterführen. Denn was auch die Frau Schwesig offenbar noch nicht verstanden hat: Zur Medienkompetenz gehört inzwischen nicht mehr der Konsum von Medien – wir alle produzieren heute mit. Zur Medienkompetenz muss heute auch gehören, dass man bescheid weiß, was aus Inhalten wird und werden kann, die man selbst ins Netz bläst. Aber wahrscheinlich gibt es in ca. 20 Jahren dafür dann ein neues Gütesiegel… Ja, ich bin bei dem Thema inzwischen sehr pessimistisch.