Ich schreibe diesen Artikel gerade unter dem Eindruck, den die Äußerungen des Verkehrsministers Scheuer bei mir hinterlassen haben. Das erkläre ich deshalb, weil ich eigentlich darüber schreiben möchte, wie wir vor allem online miteinander kommunizieren und das an einem Beispiel, über das ich heute stolperte. Eigentlich, weil ich — bereits tippend — mit einem Auge das Geschehen um die geplatzte Maut im TV verfolgte und feststellen musste, mit welcher Arroganz da ein Minister auftritt, der mit besagter Maut sein Prestige-Vorhaben komplett und krachend in den Sand gesetzt hat.
Es ist anscheinend nicht mehr möglich, sowas zu sagen wie: „Ja, ich habe es komplett verbockt, Wir werden jetzt sehen müssen, wie man Folgeschäden vom Volk abwenden kann!“ Stattdessen sitzt er da selbstgefällig im Kreuzfeuer seiner Kritiker aus der Bundespolitik und lässt jegliche Kritik hämisch grinsend an sich abprallen.
Das bringt mich jetzt zu dem Beispiel, welches ich eigentlich ansprechen wollte in diesem Beitrag. Es geht dabei um die Werbekampagnen der Bundeswehr, die ja nicht erst seit heute vielfach kritisiert wurden. Hinter der Werbung steckt die Düsseldorfer Agentur Castenow und zuletzt geriet die Bundeswehr in die Kritik mit dem Claim:
Gas, Wasser, Schießen. Handwerker (M/W/D) gesucht. Mach, was wirklich zählt
Meistens denke ich mir, dass nicht jeder falsche Satz Berge von Empörung und massive Shitstorms nach sich ziehen muss. Es dürfte auch erkennbar sein, auf was dieses konkrete Beispiel abzielt. Dennoch kann man im Vorfeld auf die Idee kommen, dass Sprüche, die „Gas“ irgendwie in einen Kontext mit deutschen Soldaten setzen, nicht flächendeckend auf Beifall stoßen werden.
Heute bekam eine deutsche Journalistin, die ein anderes Plakat der Kampagne anprangerte, ihr eigenes kleines Shitstörmchen. Auf dem Plakat heißt es:
Holma, Lassma, Tuma? Unsere Azubis haben noch richtige Namen.
Auch hier gilt wieder: Man kann mit wenig Nachdenken die richtige Intention erahnen. Es geht darum, dass Auszubildende während ihrer Ausbildung zu besseren Hilfskräften degradiert werden, die im Grunde nur niedere Arbeiten zu erledigen haben und nur gesagt bekommen, was sie zu tun oder zu lassen haben. Der Transfer vom Namen „Holma“ zur Anweisung „Hol mal“ sollte eigentlich zu bewältigen sein.
Die Journalistin, um die es geht — Ruth Stellmann — ist bislang auf Twitter nicht sonderlich oft in Erscheinung getreten, in diesem Jahr hat sie vor dem heutigen Tag gerade einmal fünf Tweets veröffentlicht. Das macht die aktuelle Aktion noch ein wenig bemerkenswerter, denn sie schnappte sich den „Holma, Lassma, Tuma“-Claim und witterte angesichts der Namen Rassismus.
Frau Stellmann erkennt hier also eine rassistische Äußerung und ist deswegen fassungslos. Wie ihr euch denken könnt, ist der Rest des Internets auch fassungslos — aber aus einem anderen Grund. Ihr Fauxpas ist mehr als offensichtlich und das geht ihr später dann auch auf. In der Folge löscht sie dann den unsäglichen Tweet und thematisiert sie ihr Versehen in einem weiteren Tweet:
Esma wieder runterkommen, Leute. Hab den Stein des Anstoßes gelöscht. Bin um eine Erfahrung reicher. Häme ist berechtigt. Trotzdem halte ich manche Tweet Reflexe in eurem Shitstorm für absolut unangemessen. Glückwunsch, dass ihr keine Fehler macht #Bundeswehr
— Ruth Stellmann (@StellmannRuth) June 26, 2019
Ein bisschen tut mir Frau Stellmann jetzt leid, weil ich genau ihr Beispiel bemühe. Denn faktisch sehe ich das jeden Tag an jeder Ecke im Netz, dass Menschen sich über Dinge echauffieren, die sie nicht wissen, nicht verstehen oder nicht verstehen wollen (bzw. bewusst falsch verstehen wollen). Wir sind alle nicht unfehlbar und jeder von uns macht Fehler. Dennoch finde ich es nahezu beklemmend, dass es so vielfach keinerlei Einsicht oder ein irgendwie geartetes Unrechtsbewusstsein gibt, wenn Menschen so agieren.
Es wird eine krude These rausgehauen und wer dagegen argumentiert, selbst, wenn es fundiert ist, ist dann eben je nach Thema mal Rassist oder Anarchist, Linksgrünversifft, Kulturbereicherer oder sonstwas. Nicht erst seit dem Fall des Politikers Lübcke sprechen wir ja wieder alltäglich über die Verrohung der Gesellschaft und welche schlimmen Auswüchse das haben kann.
Damit verglichen ist das Beispiel der Frau Stellmann ja noch vergleichsweise harmlos. Dennoch wäre es hier doch das Mindeste gewesen, nicht nur den Fauxpas einzugestehen, sondern sich wenigstens mit einem Satz bei der Bundeswehr zu entschuldigen — oder sehe ich das falsch? Mittlerweile stelle ich mir echt die Frage, ob ich da einfach nur zu übertrieben reagiere, zu viel erwarte und/oder nicht mehr up to date bin, was allgemeine Verhaltensregeln angeht.
Anstelle einer Entschuldigung gibt es erst einmal den Appell, wieder „runterzukommen“ und die schnippische Bemerkung, dass „ihr“ ja keine Fehler macht. Das finde ich ebenso falsch wie auch bezeichnend für unsere Zeit und die Art, wie die Gesellschaft mittlerweile kommuniziert.
Es gibt einen haltlosen Vorwurf — in diesem Fall der des Rassismus. Das ist beileibe keine harmlose Nummer, erst recht nicht, wenn man bedenkt ,dass es um die Bundeswehr geht und wir sowieso schon eine Debatte darüber führen, ob und wie ausgeprägt Soldaten und Polizisten auf dem rechten Auge blind sein könnten.
Dann gibt es zwar ein Eingeständnis eines Fehlers, aber nicht die dazugehörige Entschuldigung. Stattdessen gibt es weitere gereizte Reaktionen der Frau.
Nicht zuletzt finde ich es hierbei interessant, dass es sich um eine Journalistin handelt. Gerade von diesem Berufsstand erhoffen wir uns ja alle, dass man besonnen vorgeht, keine Schnellschüsse raushaut, recherchiert usw. All das hat sie hier vermissen lassen und ich frage mich, wie eilig man diese Empörung in die Welt hineintragen musste, wenn man normalerweise wochenlang nicht twittert.
Was bis jetzt aussieht wie ein Rant, der sich gegen eine Einzelperson richtet, soll aber tatsächlich nur exemplarisch sein für die Art und Weise, wie wir oftmals miteinander umgehen und auch dieses konkrete Beispiel hat ebenso wie jede andere Medaille auch noch eine zweite Seite. Diese andere Seite hat damit zu tun, wie die Menschen nun auf Frau Stellmann reagieren.
Häme ist angebracht, findet sie ja selbst und ich glaube, man muss sich nicht darüber wundern, dass sich bei jedem Fehler, der irgendwem öffentlich unterläuft, auch immer Leute zur Stelle sein werden, die mit Häme reagieren. Ich persönlich hab versucht, mir diesen Impuls möglichst abzugewöhnen. Es ist eine der dümmsten Reaktionen, zu der wir imstande sind und in den allermeisten Fällen ist sie für mich auch nicht nachvollziehbar. Selbst ein Verkehrsminister, der mir politisch und auch menschlich zutiefst zuwider ist, entlockt mir keine Häme. Auch dieser Mann wollte seinen Job machen und hatte vermutlich nicht im Kopf, dass er mit einer riskanten Entscheidung den Steuerzahler mal so richtig f***en möchte.
Aber zurück zu Frau Stellmann. Ich möchte die Reaktionen, die ich auf Twitter gelesen habe, nicht wiedergeben, aber es ist ab einem gewissen Punkt einfach nicht mehr in Ordnung, Freunde. Man darf ihr das vorwerfen, dass sie einen Fehler gemacht hat — von mir aus auch tausend Mal hintereinander. Aber Beschimpfungen und Drohungen sind auch hier nicht angemessen, ein gewisser Rest Anstand sollte doch bitte gewahrt bleiben.
Immer wieder rede ich davon, wie man alles nur noch in Schwarz und Weiß einteilt und das Bewegen in den riesigen Grautönen dazwischen zunehmend öfter ausbleibt. Das beobachte ich auch hier wieder von beiden Seiten. Man fühlt sich im Recht und beschimpft eine komplette Institution als rassistisch. Das ist einfach drüber. Und im Gegenzug erkennt man, dass die Journalistin den Claim der Bundeswehr missverstanden hat und fühlt sich dadurch dazu berechtigt, sie nicht nur mit Häme, sondern auch mit wüsten Beleidigungen an einer Frau abzuarbeiten, die ihren Fehler längst eingestanden hat.
Ich blicke wieder und wieder auf meinen Werte-Kompass, klopfe immer mal wieder beunruhigt drauf, aber es tut sich nichts: Für mich wirkt so ein Vorgehen — von beiden Seiten — einfach immer noch falsch. Und ich würde mir wünschen, dass wir lernen, auch mal wieder ein wenig innezuhalten, bevor wir mit falschen und/oder verletzenden oder gar justiziablen Statements aufeinander losgehen. Oder wie es die Bundeswehr formulieren würde: Lassma lieber wieder mehr nachdenken, bevor wir uns äußern — und tuma lieber weniger mit dem Finger auf andere zeigen.
Politiker wie Lübcke stehen online auf Todeslisten und wie wir nun wissen, handelt es sich dabei nun wahrlich nicht mehr um leere Drohungen. Überall hauen sich die Leute an jeder Ecke im Netz die Köpfe ein, weil sie auf unterschiedlichen politischen Seiten stehen, ihr Gegenüber schlicht nicht richtig verstehen und was weiß ich. Wenn wir alle — also die vermeintlich Guten — nicht mehr in der Lage sind, ein bisschen mehr nachzudenken, bevor wir grundlos irgendjemanden grundlos öffentlich an einen Pranger zerren und glauben, dass das Stehen auf der vermeintlich richtigen Seite uns dazu berechtigt, das Gegenüber wie ein Arsch zu behandeln, dann haben wir wirklich ein Problem. Und ich bin nicht gewillt, das einfach so hinzunehmen — und ich hoffe, ihr seht das ähnlich!