Liebe Star-Trek-und-Picard-Fans: Selbst schuld, wenn ihr die ersten beiden Folgen des Amazon Originals “Picard” noch nicht gesehen habt und jetzt weiter lest. Ich möchte zwar nicht zwingend spoilern, der ein oder andere kann mir aber sicher rausrutschen. Also wäre JETZT der beste Zeitpunkt, schnell das Smartphone oder Notebook in die Ecke zu feuern, bevor ihr versehentlich eine Info zu viel bekommt — sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt!
So, jetzt aber wirklich los: Auf Amazon Prime können Science-Fiction-Fans das vielleicht wundervollste Comeback des Genres feiern: Jean-Luc Picard ist wieder da und will es in der gleichnamigen Serie noch einmal wissen. Es ist eine wirklich wundervolle Serie, soweit man das nach bislang zwei Folgen beurteilen kann: Es tut einfach gut, Patrick Stewart wieder in dieser Paraderolle zu sehen, die Bilder aus den “unendlichen Weiten” des Weltraums, die Musik, das Wiedersehen mit Data — all das bewegt mich schon wirklich und erwärmt mein fettes Herz.
Es gibt nur einen Makel an dieser bislang so grandiosen Serie: Ich kann sie nicht so schauen, wie ich möchte. In diesem Fall ist also weder Picard Schuld, auch nicht die Sternenflotte oder Hanelle M. Culpepper, welcher in beiden Folgen Regie führte. Nach der ersten Folge war da erst dieses Glücksgefühl: Hurra, sie haben es nicht verbockt und eine Serie produziert, die dem ersten Eindruck nach als gelungen bezeichnet werden darf.
Die große Leere
Nach diesem Glücksgefühl kam dann aber die große Leere. Nach etwa 90-maligem Drücken auf die entsprechende Taste meiner Fernbedienung akzeptierte ich schließlich, was ich schon längst vorher eigentlich wusste: Da kommt nichts mehr — nach der einen Folge ist tatsächlich Schluss! Damit hieß es: Warten auf nächsten Freitag und auf die zweite Folge. Ihr könnt euch denken, dass dieses Gefühl der Leere auch nach der zweiten Folge wieder anklopfte.
Ich hab Berichte über Studien gelesen, die mir erklären, das Binge Watching irgendwie nicht so toll ist, wie man es vielleicht gerne hätte. Unser Gehirn kann neue Informationen besser abspeichern, wenn man sie in Häppchen serviert bekommt. Sehe ich ein, interessiert mich aber nicht. Denn es geht hier um meine Freizeitgestaltung und nicht darum, für eine anstehende Picard-Prüfung präpariert zu sein.
Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass die Menschheit durch Binge Watching verblöden wird. Vielmehr glaube ich, dass sich das menschliche Gehirn seit Tausenden von Jahren immer wieder mit neuen Situationen arrangieren muss und entsprechend drauf reagiert. Aber jenseits dieses wissenschaftlichen Ansatzes ist es mir schlicht egal, ob ich nach einem halben Jahr alle Informationen zur Serie auswendig herunterbeten kann oder nicht. Mir geht es darum, dass ich mich gerne samstags auf die Couch schwinge und zwei bis acht Folgen einer geschätzten Serie glotze — oder nachts unter der Woche, wenn ich mal wieder nicht pennen kann.
Ich weiß ja auch, dass es nicht gesund ist, sich drei Tage hintereinander zu betrinken — dennoch verkauft mir Kronen nicht nur ein Bier pro Tag. Okay, der Vergleich hinkt, aber ihr wisst, worauf ich hinaus will, denke ich. Wenn ich das Gefühl habe, dass das für mein Hirn nicht so super ist, wenn ich Serien binge, dann lass ich es bleiben. Hänge ich aber gelangweilt in der Sitzecke rum und sehe, dass Amazon, Netflix oder sonst wer eine sensationell gute Serie anbietet, mit der ich meiner Langeweile aber mal so richtig in den Allerwertesten treten könnte — dann ziehe ich mir diese Serie rein.
Die technischen Möglichkeiten machen den Genuss von Serien, Filmen, Dokumentationen und Shows oder auch Sport-Events so viel angenehmer. Der Hauptvorteil ist wirklich, dass ich dann schauen kann, wenn es mir in den Kram passt. Klar, die Zeiten sind vorbei, in denen man montags auf der Arbeit oder in der Schule angeregt über die Samstagabend-Show diskutiert. Manchmal ist es schade, dass es diese wirklichen TV-Events nur noch ganz vereinzelt gibt.
Dennoch überwiegt aber die Freude über die neuen Möglichkeiten: Keine Folge mehr verpassen, weil man gerade im Stau steht oder im Büro rumhängt. Im Urlaub dieses nervöse Zucken verspüren, weil man genau weiß, dass im heimischen TV GENAU JETZT meine Lieblings-Show läuft? Wir sind erfreulicherweise schrecklich unabhängig geworden, was unsere Sehgewohnheiten angeht. Wir schauen unsere Serien WANN wir wollen und WO wir wollen. Dazu reicht längst schon ein Smartphone und eine okaye Internetverbindung.
Wenn mir dann eine ARD vorschreiben will, dass ich den letzten Tatort nicht sehen darf, weil es erst 17 und nicht 20 Uhr ist ,nervt mich das genau so, als wenn man mir eine Serie serviert, bei der nicht ich entscheiden kann, ob ich noch eine Folge sehe oder nicht. Ich verstehe Amazon und jeden anderen Dienst, der eine Menge Kohle für Exklusivität raushaut und diese Exklusivität dann auch länger auskosten möchte.
Aber dieses wöchentlich-eine-Folge-Schema ist komplett aus der Zeit gefallen, wenn ihr mich fragt. Wer so eine Show in kleinen Dosen genießen will, darf das ja gerne so tun. Aber wenn ich das Gefühl habe, mir zehn Folgen Picard am Stück reinschrauben zu müssen, dann sollte das ebenfalls machbar sein.
Derzeit bringen sich gleich mehrere neue Konkurrenten für Amazon und Netflix in Stellung und wir können davon ausgehen, dass es zu einer Konsolidierung des Marktes kommen wird, bei der nicht jeder Streaming-Dienst überleben wird. Mit Sicherheit werden auch exklusive Inhalte darüber entscheiden, wer das Rennen macht. Aber ich glaube auch, dass es sich negativ auf die Nutzerzahlen auswirken könnte, wenn Hürden zu nehmen sind, damit man seine Lieblingsserie verfolgen kann. Eine Folge pro Woche ist für mich in der Tat eine solche Hürde und ein Anbieter wie Amazon würde bei mir noch mehr punkten, ließe er mir allein die Entscheidung, wann ich eine Serie wie lange schaue.
Lasst mich gerne wissen, wenn ihr anderer Meinung seid, oder ob ihr es ähnlich seht wie ich. Und klar — auch eure Meinung zur Serie “Picard” an sich interessiert mich ;-)