“Weniger ist manchmal mehr” ist eine Redensart. Beim Klimaschutzpaket der Bundesregierung scheint es eher umgekehrt zu sein, also mehr ist in diesem Fall weniger. Soll heißen: Das knappe und eh schon bescheidene Eckpunktepapier sah besser aus als der jetzt deutlich ausführlichere Entwurf, der in ein Klimaschutzgesetz gegossen werden soll.
Ich sage das mal unter Vorbehalt, denn ob das Papier, dass dem Spiegel vorliegt, tatsächlich das sein wird, was die Regierung Mittwoch vorlegt, wissen aktuell vermutlich die wenigsten mit Sicherheit. Sollte das tatsächlich der finale Entwurf sein, haben wir hier in Deutschland tatsächlich ein Problem und ich prophezeie der Bundesregierung, dass sie die Klimaschützer und -Aktivisten noch deutlich mehr gegen sich aufbringt als bislang.
Zusammenfassend können wir sagen, dass das neulich in einer langen Nachtsitzung von der Regierung beschlossene Eckpunktepapier bereits enttäuschend wirkte, verglichen mit den auch nicht sonderlich ambitionierten Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens. Dieser finale Entwurf toppt das jetzt nochmal, indem er hinter diesem Eckpunktepapier entschieden zurückbleibt. Nicht nur ich frage mich da, wie man auch nur eine theoretische Möglichkeit haben möchte, das in Paris Verhandelte auch nur im Ansatz erreichen zu können.
Das, was die Regierung kürzlich noch am stärksten feierte, war die Idee, das Vorankommen der Regierung beim Thema Klima regelmäßig streng kontrollieren zu lassen. Als Kontrollgremium sollte eigentlich der Klimarat fungieren und zwar auf zweierlei Art: Einmal sollte dieses Gremium aus Klima-Experten alljährlich ein Gutachten erstellen, aus dem sich ablesen lässt, wie weit die staatlichen Maßnahmen tatsächlich greifen. Damit soll gewährleistet sein, dass man die Maßnahmen neu justieren kann, um tatsächlich die Ziele erreichen zu können. Der zweite Punkt, bei dem der Klimarat hätte tätig werden können: Drohen CO2-Ziele verpasst zu werden, kann dieser Rat Vorschläge machen, wie man den Klima-Zug wieder auf Kurs bringt.
Beides spielt jedoch im finalen Entwurf nun keine Rolle mehr! Keine jährlichen Hauptgutachten mehr, keine Vorschläge zur Einhaltung der Einsparziele beim CO2. Darüber hinaus scheint es sich abzuzeichnen, dass die verschiedenen Ministerien bei den jeweiligen CO2-Einsparungen nicht so stark unter Druck geraten können wie bislang geplant. Bei den für 2030 angedachten Gesamteinsparungen bleibt zwar alles beim alten, jedoch können die Mengen unter den verschiedenen Sektoren verschoben werden. Der Deutsche Naturschutzring vermutet, dass die Ministerien so verfahren könnten, beispielsweise also der Kohleausstieg forciert werden muss, wenn der Sektor “Verkehr” seine Ziele nicht einhalten kann.
Im Eckpunktepapier war zudem die Rede davon, dass Deutschland bis zum Jahr 2050 Treibhausneutralität erreicht. Im finalen Entwurf soll nun stehen, dass die deutsche Regierung “das Ziel verfolgt”, diese Treibhausneutralität zu erreichen. Ich muss euch nicht erklären, was das im Klartext heißt: “Wir wollen das zwar irgendwie hinkriegen, können aber nichts versprechen.” Unabhängig davon gab es schon im Eckpunktepapier kein Wort darüber, wie es denn geahndet wird, wenn die Regierung ihre Ziele verpasst. Mit dieser zusätzlichen Aufweichung stellt sich die Frage nun überhaupt gar nicht mehr, weil gar nicht mehr zwingend davon ausgegangen wird, dass man bis 2050 klimaneutral wird.
Kanzleramtschef Helge Braun hat heute im Morgenmagazin versucht ,das Angepeilte zu verteidigen und erklärt, dass der Einstiegspreis bei der Bepreisung des Ausstoßes von klimaschädlichem Kohlendioxid (CO2) in den nächsten Jahren von zehn Euro pro Tonne CO2 möglicherweise auf 60 Euro pro Tonne steigen könnte.
Dieses Programm ist weiter besser als das, was heute bekannt ist. Also da ist eine Dynamik drin. Und die ist den Klimaschützern nicht genug, aber für den normalen Bürger ist das bei Weitem ehrgeizig genug. Kanzleramtschef Helge Braun
Auch hier lese ich im Subtext wieder was anderes heraus: “Wir kümmern uns zunächst mal nicht darum, was angesichts der kritischen Situation angemessen ist, sondern machen exakt so viel, dass der normale Bürger nicht auf die Barrikaden geht.”
Mich nervt das gerade sehr hart — wie gesagt: Vorausgesetzt, dass das vom Spiegel kolportierte tatsächlich dem entspricht, was dann Mittwoch auch durchgeboxt werden soll. Für mein Empfinden wäre hier von einem Klimapaket nicht mal mehr ein Klimapäckchen übrig geblieben. Eher ein Klima-Faltblättchen, welches im Wesentlichen ein Ziel verfolgt: Exakt so viel Interesse am Klimaschutz zu heucheln, damit nicht noch mehr Wählerstimmen verloren gehen. Man versucht also einen Kompromiss: Diejenigen, die weniger am Thema interessiert sind, sollen nicht zu stark zur Kasse gebeten werden, gleichzeitig will man sich aber das Etikett “Klimaschutz” ans Revers heften, um auch die Klimaschützer irgendwie ins Boot zu holen bzw. dort zu behalten.
So notwendig, wie Kompromisse in der Politik natürlich sind, haben wir es hier mit einem wirklich faulen Kompromiss zu tun. Das wird dazu führen, dass wir sehenden Auges in eine Katastrophe marschieren. Diese Katastrophe wird — so fürchte ich — nicht ein zerstörter Planet sein. Viel mehr denke ich, dass die Auswirkungen des menschgemachten Klimawandels in den nächsten Jahren sich so dramatisch zeigen werden, dass man auch in der Politik einsehen muss, dass man nicht länger auf Hinhaltespielchen setzen darf, sondern tatsächlich aktiv werden muss. Das wird uns so unendlich viel mehr Geld kosten, je länger wir warten. Man wird also bestimmt irgendwann handeln, aber zu einem Preis, der dann ganz sicher niemandem mehr schmecken wird.
Extinction Rebellion machen heute nicht nur in Deutschland von sich reden. Während #FridaysForFuture einen sehr friedlichen Arm der Klimaschützer darstellt, ist Extinction Rebellion deutlich radikaler. Diese Demonstranten setzen bewusst auf zivilen Ungehorsam und ich denke, dass viele Bürger in unserem Land das Gefühl haben, dass es die Klimaschützer nun tatsächlich übertreiben. Das Land ist eh schon gespalten in zwei Lager mit nur relativ wenig neutralen Teilen der Bevölkerung in der Mitte. Wenn die Regierung nun mit seinem Klimaschutzgesetz signalisiert, dass man es doch nicht ganz so ernst nimmt mit dem Schutz des Klimas und der Umwelt, wird man weiter einen Keil zwischen die Lager treiben bzw. dafür sorgen, dass die Fronten sich weiter verhärten.
Ich halte das für einen fatalen Fehler, der auf der einen Seite den politischen Parteien so gar nicht hilft bei dem Versuch, Wähler zurückzugewinnen und auf der anderen Seite dem Klimaschutz allenfalls einen Bärendienst erweist. Persönlich glaube ich, dass sich die CDU/CSU-Fraktion in diesem Klimaschutzpäckchen deutlich besser wiederfindet als die SPD. Wenn man bei den Sozialdemokraten noch einen Rest Anstand und Mut im Leib hat, dann wäre jetzt der Zeitpunkt, an dem man sich aus der großen Koalition verabschiedet und damit verdeutlicht, dass man diesen Weg der Konservativen so nicht länger mitgeht.