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Mercedes ESF 2019 – Zwischen Showcar und Entwicklungstool

Experimental-Sicherheits-Fahrzeug (ESF) 2019 – Kooperative Fahrzeugumfeld-Kommunikation: Das ESF 2019 nutzt Lichtsignale, um seine Absichten zu kommunizieren; es kann außerdem andere Verkehrsteilnehmer vor Gefahren warnen. So entsteht „informiertes Vertrauen“ zwischen einem automatisierten Fahrzeug und seinem Umfeld. // The Experimental Safety Vehicle (ESF) 2019 –Cooperative communication with the environment: The ESF 2019 uses light signals to communicate its intentions; it can also warn others of dangers it has detected. Both helps to created “informed trust” between an automated vehicle and its surroundings.
geschrieben von Mark Kreuzer

Bei Mercedes steht ESF für Experimentelles Sicherheitfahrzeug und hat eine lange Tradition. Zum ersten Mal wurde ein ESF-Fahrzeug in den 70er Jahren entwickelt. Schon damals war das Ziel, das Auto so sicher wie nur möglich zu machen. Nach fast 30 verschiedenen ESF-Modellen, wovon das letzte aus dem Jahr 2009 stammt, hat man länger keine ESF mehr gebaut. Das hat sich in diesem Jahr geändert und ich hatte die Möglichkeit, mir das aktuelle ESF-2019-Modell in Sindelfingen anzuschauen.

Das meiste von dem, was ich in dem Artikel zusammenfasse, könnt ihr euch oben im Video des Events auch in Bewegung anschauen.

Das Experimental-Sicherheits-Fahrzeug (ESF) 2019 fasst mehr als ein Dutzend wegweisende Innovationen auf dem Gebiet der Sicherheit anschaulich zusammen.

ESF 2019 – ein bunter Technologie-Mix

In dem ESF 2019 hat man bei Mercedes einen bunten Mix an Technologien, die sich in unterschiedlichen Stadien befinden. Dabei hat man einen — wie ich finde — sehr gelungen Drittel-Mix gewählt. Ein Drittel der gezeigten Technologien ist unmittelbar umsetzbar, das nächste Drittel ist denkbar und wird wohl noch ein wenig Zeit dauern und das letzte Drittel ist ein wenig Technologie-Träumerei.

Airbags für Autonomes Fahren

Eine Sache, über die ich persönlich nicht drüber nachgedacht habe ist, dass man bei autonomen Fahrzeugen auch ganz neu über die Airbags nachdenken muss.

In der Vergangenheit konnten die Sicherheitsingenieure immer davon ausgehen, dass der Fahrer direkt hinterm Lenkrad sitzt und bestenfalls beide Hände am Steuer hat.

Bei autonomen Fahrzeugen ist es aber denkbar, dass der Fahrer sich ein wenig zurückgelehnt hat und auf dem Infotainmentsystem gerade ein Video schaut.

Deshalb hat der ESF 2019 für den Fahrer einen Airbag vorgesehen, der technologisch ein wenig an den Beifahrerairbag erinnert. Er ist nicht mehr im Lenkrad verbaut, sondern in der Konsole. Dadurch, dass man bei dem Airbag nicht mehr an den Platz im Lenkrad gebunden ist, kann man ein deutlich raumfüllenderes Airbag-Konzept wählen, was deutlich mehr Schutz im Falle eines Crashs bietet.

Für den Fall, dass der Fahrer gerade selbst am Fahren ist, hat das neue Lenkrad eine zusätzliche Zündfunktion, die das Lenkrad 100 mm zurückzieht und dem Airbag den Platz zum Entfalten gibt.

Im Zusammenhang mit dem autonomen Fahren geht man bei Mercedes auch davon aus, dass der Gurt in Zukunft nicht mehr in der B-Säule befestigt ist, sondern direkt im Sitz. Dies bietet die Möglichkeit, dem Fahrer und Beifahrer über integrale Seiten-Airbags (Wing Airbags) auch dann noch einen Schutz zu bieten, wenn diese gerade den Sitz in einer liegenden Position hatten.

Falls ihr auch wie ich dachtet, dass mittlerweile alle Airbags in einem Auto eingebaut sind, die nur denkbar sind, hat Mercedes uns in diesem Fall eines Besseren belehrt. Denn Mercedes hat in dem ESF 2019 auch einen Frontairbag für die Passagiere auf der Rücksitzbank integriert. Dieser entfaltet sich anders als die Airbags im Frontbereich. Hinten wird eher ein Schlauchsystem entfaltet, das in der Mitte einen semipermeablen Luftsack aufspannt. Dieser soll den Passagieren dann hinten weiteren Schutz bieten. Der große Vorteil bei diesem System ist, dass falls die Passagiere hinten nicht optimal sitzen, oder zum Beispiel ein Kindersitz befestigt ist, von dem Airbag in diesen Fällen keine erhöhte Gefahr ausgeht.

ESF 2019 – Kommunikation mit der Umwelt

Neben Systemen wie Airbags hat man sich bei Mercedes auch einiges an Gedanken gemacht wie ein autonomes Fahrzeug mit der Umwelt kommunizieren kann und durch seine Sensoren auch noch aktiv eine höhere Sicherheit für andere Verkehrsteilnehmer bieten kann.

Kooperative Fahrzeugumfeld-Kommunikation ESF2019

Auf dem Event wurde die Art und Weise, wie das ESF 2019 mit der Umwelt kommunizieren könnte, sehr schön beschrieben. Anstatt blindes Vertrauen in die Technik zu haben, spricht man bei Mercedes von informiertem Vertrauen.

Im echten Straßenverkehr ist Blickkontakt ein wesentliches Element. Wir alle kennen das aus dem Alltag, wo wir Signale wie: „Ich habe Dich gesehen“, „Ich bleibe stehen“, „Vorsicht: Stauende“ oder
„Ich lasse Dir Platz“ immer wieder geben.

Mit deutlichen, türkisfarbenen Lichtzeichen kann dies auch das ESF 2019. So schafft das Fahrzeug informiertes Vertrauen. Die Kommunikation erfolgt vielfach, und zwar über:

  • das große Frontpanel
  • LEDs in der Sensoreinheit auf dem Dach, in den Blinkern der Außenspiegel und der dritten Bremsleuchte
  • Projektionen auf die Heckscheibe.

Besonders cool fand ich ja die Möglichkeit, das Kamerabild der Frontkamera auf die Rückscheibe projizieren zu lassen. Wer kennt diesen Moment nicht, wenn man sich fragt, warum hält der Wagen vor uns da gerade eigentlich an und was passiert da vor ihm?

Seine Sensoren haben nicht nur den Straßenverkehr im Blick, das System kommuniziert in alle Richtungen und kann auch andere Verkehrsteilnehmer warnen. So kann der Wagen zum Beispiel auch, wenn er gerade an der Straße zum Laden steht, ein ankommendes Fahrzeug warnen, dass ein Fußgänger unmittelbar vor ihm steht, der vielleicht die Straße überqueren will.

Mehrfacher Nutzen ESF 2019: Showcar und Entwicklungstool zugleich

Das ESF 2019 steht für das Ziel von Mercedes-Benz, die Verkehrssicherheit auch unter den Bedingungen künftiger Mobilität weiter zu erhöhen. Im Prozess der Gestaltung künftiger Vorschriften, Normen und Testverfahren kommt es regelmäßig zu Detailfragen. Das ESF bietet den Ingenieuren eine Diskussionsgrundlage und Plattform, indem es aufzeigt, wo die Probleme liegen könnten und worauf es bei der Lösung ankommt – auch, wenn zum Beispiel nicht alle Sensoren bereits ausentwickelt sind. In manchen der vom ESF 2019 adressierten Bereiche hat diese Diskussion gerade erst begonnen.

Daher finde ich es gut, dass man mit dem ESF 2019 ein Auto gebaut hat, das wie schon eingangs erwähnt drei Funktionen hat. Eine Vorschau auf Technik, die kurz vor der Einführung steht, teilweise Visionen und auch einen Diskussionsbeitrag, anhand dessen man Konzepte ausprobieren, testen und weiter verbessern kann.

Natürlich dürfen dann bei den Visionen auch etwas skurrilere Ideen nicht fehlen, wie der Roboter, der das Pannenschild automatisch aufstellt. Oder das Warndreieck im Dachträger.

Alles in allem finde ich das ESF 2019 Konzeptauto sehr charmant. Wie geht es euch dabei? Was ist eurer Lieblingsfeature /-gadget?

Über den Autor

Mark Kreuzer