2018: Kein Smartphone mehr wird vorgestellt, ohne dass das Thema AI in irgendeiner Weise eine gewichtige Rolle bei der Präsentation spielt. In Zeiten, in denen sich die Handsets optisch und auch vom Innenleben immer ähnlicher werden, muss man halt anders glänzen und künstliche Intelligenz ist dazu bestens geeignet.
Wir haben es hier nicht (nur) mit einem Buzzword zu tun, sondern mit Technologien, die den Smartphone-Nutzer tatsächlich weiter bringen: KI optimiert unsere Fotos, spart uns Energie, ahnt voraus, welche Apps wir demnächst nutzen werden und vieles mehr. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz in Smartphones ist aber nur eine winzige Facette eines Themenkomplexes, der gleichzeitig riesiger Hype ist als auch eine gewaltige Technik-Revolution.
Vielfach haben wir uns hier auf dem Blog auch schon damit beschäftigt, dass diese Entwicklung sowohl Segen als auch Fluch ist, denn sehr viele Menschen werden künftig dadurch ihren Job verlieren.
Wie die Digitale Disruption den Arbeitsmarkt in 20 Jahren zerlegt
Bereits vor zwei Jahren berichteten wir darüber, dass allein bis 2020 in Industrienationen etwa fünf Millionen Menschen ihre Jobs durch Digitalisierung und Automatisierung verlieren sollen. Mag im Vergleich zu den tatsächlich in Industrieländern verfügbaren Arbeitsplätzen erst mal mickrig klingen, ist aber auch nur der Anfang dieser Entwicklung.
Künstliche Intelligenz – ganz oben auf den Agenden der Regierungen
So langsam sprechen wir auch nicht mehr nur in unserer Tech-Blase über künstliche Intelligenz. Selbst aus Regierungskreisen ist zu vernehmen, dass wir in Deutschland schwer auf die Tube drücken müssen, damit uns nicht andere Nationen die Innovations-Butter vom Brot klauen.
Ich mag das Bestreben der deutschen Regierung gar nicht groß bewerten in diesem Beitrag, aber es fällt schon auf, dass “künstliche Intelligenz” bislang nur ziemlich schüchtern angesprochen wird, während in Kanada der Premierminister Justin Trudeau einem Reporter sogar auf einer Pressekonferenz (zugegebenermaßen vereinfacht) erklärt, was ein Quantencomputer ist.
Unsere Kanzlerin ist mit ihrem Doktortitel in Physik wahrlich auch nicht unbedarft, was ihre wissenschaftlichen Wurzeln angeht. Derlei Töne vernehmen wir von ihr in Pressekonferenzen leider nicht, ohne jetzt auch direkt wieder auf der “Neuland”-Äußerung herumreiten zu wollen.
Es ist aber kein Zufall, dass sich der kanadische Premierminister so souverän präsentiert. Ich will jetzt nicht behaupten, dass Kanadier künstliche Intelligenz in ihrer DNA haben, aber im Gegensatz zu europäischen Staaten ist man in Kanada all die Jahre beim Thema “Machine Learning” am Ball geblieben. Blieben andernorts irgendwann in den achtziger und neunziger Jahren die Töpfe mit den Fördergeldern leer, hat Kanada die Wissenschaftler kontinuierlich mit Fördermitteln ausgestattet.
Das führte dazu, dass viele Entwicklungen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz aus Kanada stammen bzw. von kanadischen Köpfen erdacht wurden. Kein Wunder also, dass Unternehmen wie Google, Apple, Facebook und Co Schlange stehen, um sich die vielversprechendsten Uni-Absolventen aus Toronto, Montreal oder Edmonton schnappen zu können.
An dieser Stelle könnte man jetzt doch wieder einen Vergleich zu Deutschland ziehen. Bei all der ständig geäußerten Kritik an Deutschland, was die Strahlkraft bei Innovationen im Bereich der künstlichen Intelligenz angeht, wollen wir nämlich nicht vergessen, dass die hellen Köpfe durchaus vorhanden sind.
Was beispielsweise an den Fraunhofer-Instituten an intelligenten Köpfen versammelt wird, muss sich auch nicht hinter dem Silicon Valley verstecken und Beispiele wie die Übersetzungs-Software DeepL zeigen, dass auch Projekte in Europa bzw. aus Deutschland den Unternehmen in den USA durchaus mal zeigen können, wo der Frosch die Locken hat, wie ihr auf folgender Übersicht sehen könnt:
Was die Gemeinsamkeit mit Kanada angeht: Nicht selten werden deutsche Wissenschaftler oder Start-Ups von den Googles und Facebooks dieser Welt einkassiert — ähnlich, wie es auch in Kanada geschieht. Bedeutet unterm Strich, dass weiterhin viele Erfindungen und Innovationen hier erdacht werden, es aber schlussendlich bei US-Unternehmen in der Kasse klingelt.
Kanada auf dem Vormarsch
Genau da will man in Kanada jetzt dazwischenhauen. Dazu gibt es verschiedene Ansätze, viele davon haben — natürlich — mit dem Bewilligen entsprechender Gelder zu tun. So werden Jobs, die mit diesen Technologien zusammenhängen, so gut bezahlt, dass sich die Uni-Absolventen und Wissenschaftler ein paar mal überlegen müssen, ob sie tatsächlich Kanada verlassen möchten, um im Silicon Valley zu arbeiten.
Selbstverständlich werden auch die Universitäten großzügig bedacht und darüber hinaus entstehen auch unabhängige Forschungszentren. In diesen versammelt man dann nicht nur kanadische Talente, sondern rekrutiert selbst auch Personal aus anderen Ländern. Nur, um mal eine Hausnummer zu nennen: Allein das “Vector Institute” in Toronto — eines der besagten unabhängigen Forschungszentren — erhält von der kanadischen Regierung für die nächsten fünf Jahre umgerechnet 132 Millionen Euro!
Im Vergleich zu den Summen, die Google und Co in die Entwicklung stecken können, klingen aber selbst solche Summen fast schon wie Peanuts. Daher setzt man in Kanada auf öffentlich-private Partnerschaften, wie futurezone in einem aktuellen Beitrag beleuchtet:
Das öffentliche Geld ist aber nur ein Teil des Konzepts. Fast alle Förderungen basieren auf öffentlich-privaten Partnerschaften. Damit wurde nicht nur die Investitionssumme vervielfacht, sondern auch ein Umfeld geschaffen, in dem das an den Forschungszentren erarbeitete Wissen mithilfe von Inkubatoren, Start-up-Förderungen und Mentorenprogrammen in wirtschaftliche Erfolge verwandelt werden soll. Hunderte jungen Unternehmen, die in den vergangenen zwei Jahren in diesem Umfeld entstanden sind, entwickeln KI-Systeme für verschiedenste Bereiche, von der automatisierten Kundensupport-Abwicklung über verbesserte Prothesensteuerung und gruselig effiziente Videoüberwachungsprogramme bis zu Software, die gefälschte Videos erkennen kann.
Auch Trump “hilft” mit
Kanada schafft derzeit also traumhafte Bedingungen für Wissenschaftler und Industrie und das zahlt sich bereits aus: Einige der Abgewanderten kehren wieder nach Kanada zurück, neue Talente aus anderen Nationen lassen sich anheuern und selbst Unternehmen wie Google, Uber oder Facebook betreiben mittlerweile Forschungszentren in Kanada.
Dass die USA derzeit einen restriktiven Präsidenten wie Trump an der Spitze haben, spielt den Kanadiern dabei natürlich in die Karten. Während der südliche Nachbar durch rückwärts gewandte Politik und Protektionismus auffällt, präsentiert sich Kanada als weltoffenes Einwanderungsland.
Der Erfolg beginnt immer mit den Menschen. Immigration führt zu Kreativität und Diversität und Investitionen folgen talentierten Leuten. François-Philippe Champagne, kanadischer Handelsminister
Noch ein Indiz dafür, dass Kanada dabei ist, sich mithilfe dieser wichtigen Themenfeldern zur Weltmacht aufzuschwingen, kann man in Toronto bestaunen. Dort entsteht nämlich derzeit Quayside – ein smarter Stadtteil direkt am Wasser, der nur den Auftakt für ein deutlich größeres Areal darstellt, dass dann final riesige 325 Hektar groß ist.
Spannend bei diesem Ansatz einer Smart City ist unter anderem, dass wir es hier mit einem Projekt von Sidewalk Labs zu tun haben, wie Google ein Teil des Alphabet-Konzerns. Alphabet suchte seit Jahren nach einem geeigneten Gelände und fand in Toronto nicht nur eine ausreichend große Spielwiese vor, die derzeit nicht viel mehr als Brachland ist, sondern eben auch eine entsprechend fortschrittliche Administration, die gewillt ist, so eine moderne Smart City zu etablieren.
Was dort entsteht, könnte in vielerlei Hinsicht (öffentlicher Verkehr, selbstfahrende Autos, Nachhaltigkeit, Energieversorgung) eine Blaupause für moderne Städte werden und es scheint kein Zufall zu sein, dass diese Smart City auf kanadischem Boden entsteht.
Ich glaube, in Europa hat man die Zeichen der Zeit auch endlich erkannt (wenngleich ich nicht sicher bin, dass aus dieser Erkenntnis auch sofort die richtigen Schlüsse gezogen werden), aber die Voraussetzungen für Kanada scheinen einfach natürlicher gewachsen und damit die besseren zu sein. Vielleicht geht der Plan Trudeaus auf, Kanada so zu einer Weltmacht zu formen und wer weiß: Vielleicht bröckelt dann auch irgendwann die US-Vorherrschaft in der Welt, die in den USA ja anscheinend als naturgegeben betrachtet wird.
Quelle: futurezone