Um 18 Uhr deutscher Zeit ist es soweit: Rammstein präsentiert auf YouTube seinen neuen Song, der dem ersten Rammstein-Album seit einem Jahrzehnt vorausgeht. Das wäre etwas, was mich auch sonst schon interessieren würde, worüber es sich aber nicht lohnen würde, auf einem Blog zu berichten.
Dass ich es jetzt doch tue, hängt damit zusammen, dass die deutsche Band einen Teaser für den Clip veröffentlicht hat, über den derzeit das ganze Internet redet. Mir ist hierbei ein Phänomen aufgefallen, welches wir nicht erstmals sehen, welches aber immer öfter auftritt: Der prophylaktische Shitstorm!
Worum geht’s? Rammstein sieht man in dem 20-sekündigen Video als Delinquenten, die zum Tode verurteilt sind, mit der Schlinge bereits um den Hals. Dazu tragen sie Klamotten, die sehr stark an die Häftlinge von Konzentrationslagern im zweiten Weltkrieg erinnern und man sieht auch auf einer Brust den Judenstern. Der Song wird „Deutschland“ heißen und ist wie bereits erwähnt ab 18 Uhr zu sehen.
Dass die Aufmerksamkeit im Vorfeld so groß ist, hängt definitiv auch mit dem Teaser-Clip zusammen, der sowohl unter jüdischen Institutionen als auch bei deutschen Politikern für Ärger sorgt. So sagt Charlotte Knobloch, die Ex-Präsidentin des Zentralrats der Juden: „Wie Rammstein hier das Leid und die Ermordung von Millionen zu Entertainment-Zwecken missbraucht, ist frivol und abstoßend!“
Es ist von „einer Form von Leichenschändung“ die Rede, von „einer widerlichen Geschmacklosigkeit“ und Felix Klein, der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, nennt das Video „die Überschreitung einer roten Linie!“
Rammstein sind zwar so erfolgreich wie kaum ein anderer musikalischer Act aus unserem Land, muss sich seit jeher aber vorwerfen lassen, eine rechte Band zu sein. In ihrer Arbeit finden sich darauf keinerlei Hinweise, eher im Gegenteil:
Sie wollen mein Herz am rechten Fleck Doch seh ich dann nach unten weg Da schlägt es links Rammstein - Links, zwo, drei, vier
Ich tippe mal darauf, dass es die Ästhetik der Jungs ist, die Medien wie Kritikern immer wieder Probleme bereiten und ja: Natürlich liebt es die Band auch zu provozieren (so ist es vermutlich kein Zufall, wenn das neue Video an einem 28. März erscheint — am selben Datum im Jahr 1935 feierte in Berlin der Film „Triumph des Willens“ von Leni Riefenstahl einst Premiere). Aber egal, ob sie Deutschland oder auch die USA thematisieren, es ist nie Verherrlichung gewesen, sondern stets beißende, zynische Kritik.
Umso verwunderlicher ist es da auch jetzt wieder, dass sich so herzhaft das Maul zerrissen wird, zumal niemand bislang wirklich weiß, worum es in dem Lied geht, was die Aussage ist und was im Video tatsächlich zu sehen sein wird über diesen Ausschnitt hinaus. Wenn es markige Aussagen gibt, stürzt sich aber in Deutschland auch gern jedes Medium eifrig drauf und berichtet, wie ein Blick auf Google News bestätigt:
Die Kommentarspalten sind zwiegespalten. Natürlich gibt es auch die, die die Band verteidigen bzw. dazu mahnen, doch erst einmal abzuwarten. Aber es gibt auch massive Kritik an der Band, wobei sich Kritik an einer angeblichen Verhöhnung der Opfer des Holocausts mischt mit einer gewohnten „die waren sowieso schon immer kacke“-Kritik. Wir erleben also einen riesigen, prophylaktischen Shitstorm. Leute regen sich nicht einfach nur unangemessen auf über etwas, was man deutlich nüchterner behandeln oder just ignorieren könnte. Nein, mittlerweile regen wir uns wie Echauffierungs-Weltmeister auch schon auf, bevor jemand überhaupt was verbrochen hat.
In dem Zusammenhang kommt mir wieder der Satz von Micky Beisenherz in den Sinn, der jüngst erst vom intellektuellen Fraktionszwang gesprochen hat. Es geht also nicht lediglich darum, sich über etwas aufzuregen — es kommt auch drauf an, von wem es kommt. Würde also Steven Spielberg mit Bildern von KZ-Häftlingen seinen Film „Schindlers Liste“ anteasern, sprechen wir von einem wichtigen Werk und von Kunst. Wenn es aber Rammstein sind, platzt allen pauschal und prophylaktisch erst mal der Arsch, bevor man weiß, worum es geht.
Damit ihr auch wisst, worüber sich alle aufregen — hier ist der Teaser:
Das Lied heißt „Deutschland“ und daraus leite ich ab, dass Rammstein sich erneut kritisch mit ihrem Heimatland auseinandersetzen werden. Hieße der Song „Ab ins Gas, ihr Halunken“, könnte ich einen veritablen Shitstorm verstehen, so ist es aber einfach nur überzogener Quatsch. Es kann keine rote Linie überschritten werden, wenn man nicht sieht, wohin ein Künstler schreitet.
Sollte sich also herausstellen, dass der Song entweder tatsächlich in eine antisemitische Richtung geht oder das Leid der Toten des Weltkriegs lediglich zu Marketingzwecken durch den Dreck gezogen wird, weil es im Musikvideo dann überhaupt nicht mehr um die angedeutete Thematik geht, dann Feuer frei! Dann haut von mir aus alle drauf und vermutlich haue ich dann sogar mit. Aber solange so etwas nicht passiert ist, sollten wir uns mit Zorn und Empörung doch zumindest so lange zurückhalten, bis wir wissen, worüber wir uns überhaupt aufregen, oder nicht?
Der Band selbst dürfte es übrigens so oder so egal sein, wenn sich alles aufregt — eine bessere Promotion für die neuen Sachen hätten sie ja wohl kaum bekommen können, oder?
PS: Während das erste Video gleich veröffentlicht wird, muss man sich bis zum Album noch etwas gedulden — das erscheint am 17. Mai!