2018. Wir sprechen sehr, sehr viel darüber, dass künstliche Intelligenz unser Leben leichter machen wird. Wir reden auch darüber, dass künftige Generationen wegen immer intelligenteren Maschinen nicht mehr arbeiten müssen, weil Roboter und Algorithmen den Löwenanteil an verfügbarer Arbeit erledigen.
Kurz zusammengefasst befindet sich die Menschheit an einem wichtigen Punkt, an dem die technische Entwicklung uns mehr und mehr Annehmlichkeiten bereitet. Die Frage ist aber, ob wir die Technik tatsächlich dazu nutzen, dass sie uns dient — oder ob wir vielleicht stattdessen mehr und mehr Sklaven der Technik werden, mit der wir uns umgeben.
Beispiel Smartphone: Es ist ein wundervolles kleines Gadget, welches uns tatsächlich das Leben erleichtert. Würde ich meinem 20-jährigen Ich dieses Gerät zeigen, würde ich es vermutlich für mindestens so außergewöhnlich halten wie den Schall-Schraubenziehers des Doktors in Doctor Who. Es ist mein Kalender, meine mobile Daddel-Kiste, mein Taschenrechner, mein Fitness-Coach, mein Musikplayer und nicht zuletzt auch das Tool, mit dem ich auf viele verschiedene Arten mit Freunden, Kollegen und Familie kommuniziere.
Das Smartphone ist aber auch das Device, welches wir viel zu oft am Tag im Blick haben, weil man ja nichts verpassen möchte. Im Schnitt schauen wir 80 mal am Tag auf unser Smartphone und wenn wir ehrlich sind, gibt es in vielen Fällen nichts wirklich besonderes dort zu sehen. Ich selbst ertappe mich dabei, wie ich manches mal ziemlich unmotiviert bei Facebook oder Instagram durch den Feed scrolle.
Dabei werde ich dann wütend auf die Betreiber der Plattform, dass sie mir ständig Dinge anzeigen, die ich schon kenne. Vielleicht liegt es aber gar nicht immer an falschen Algorithmen, dass ich die selben Posts nochmal und nochmal sehe — sondern daran, dass ich einfach viel zu lange und viel zu oft auf diesen Feed schaue. Ich sollte also viel eher wütend auf mich selbst sein.
Worauf ich hinaus will: Wir haben allesamt diese kleine Zauberkiste in unserem Besitz, die uns tagtäglich gute Dienste leistet — aber wenn wir nicht das richtige Maß finden, wird daraus auch ganz schnell mal ein nerviger Zeitfresser, der uns neben Zeit auch Konzentration und Nerven kostet.
In Zeiten, in denen selbst Google und Apple probieren, etwas gegen zu exzessiven Smartphone-Gebrauch zu unternehmen, gibt es sehr viele Thesen zur Handy-Sucht. Es gibt auch genügend Studien und vermutlich viele verschiedene Meinungen dazu, ob diese Kisten Fluch oder Segen sind.
Ich möchte mich ehrlich gesagt auch gar nicht nur aufs Smartphone einschießen, denn ich glaube, dass das Problem nicht die Hardware selbst ist. Ablenkung jedweder Art gibt es schließlich auch auf Tablets und Smartwatches, wo prinzipiell die gleichen Apps zum Einsatz kommen und es gilt auch fürs Notebook — Zeit mit Facebook vernichten kann man schließlich auf dem Laptop ebenso gut wie auf dem Smartphone.
Derzeit recherchiere ich viel zu dem Thema und plane auch, mehrere Artikel dazu zu schreiben. Artikel, die sich die Studien vornehmen, die sich mit den Ursachen und Auswirkungen auseinandersetzen und die auch aufzeigen können, was man dagegen unternehmen kann. Zunächst mal will ich euch aber vom guten, alten Tamagotchi berichten — jenem 90er-Spielzeug, welches sich damals in Millionen Haushalten finden ließ.
Das Tamagotchi – Abhängigkeit hat einen (japanischen) Namen
In der einen Sekunde spricht er von Suchtverhalten auf Smartphones bzw. bei sozialen Netzwerken, in der nächsten über ein Elektronikspielzeug der Neunziger? Wo ist da der Zusammenhang? Sage ich euch: Wie oben erklärt, recherchiere ich derzeit zu unserem Suchtverhalten und der exzessiven Nutzung von smarten Geräten. Dabei bin ich bei The Verge über den Beitrag My Tamagotchi is everything that went wrong with our future gestolpert. Sarah Jeong schreibt dort darüber, dass sie in den Neunzigern kein Tamagotchi haben durfte (die Eltern erlaubten es nicht) und erst jetzt durch die Neuauflage dieses Spielzeugs in den Besitz eines solchen gelangt ist.
I was a kid when the Tamagotchi craze hit, and I was always envious of my friends and cousins who got to hand-rear their little digital babies. (My parents wouldn’t let me have one.) Part of me always wondered what I missed in my childhood. And now I know. Oh, I know. I missed nothing. Sarah Jeong, The Verge
Für diejenigen, die so gar keine Ahnung haben, was ein Tamagotchi ist, hier eine kleine Erklärung: Das japanische Unternehmen brachte dieses Spielzeug Mitte der Neunziger auf den Markt, der Hype erfasste 1997 auch Deutschland. Der Hype dauerte übrigens nicht wirklich lang. So, wie jetzt kistenweise Fidget Spinner bei Händlern verrotten, so war auch der Tamagotchi-Boom genau so plötzlich nach ein paar Monaten wieder vorbei, wie er gekommen war.
Wir haben es hier mit einem eiförmigen Spielzeug mit Mini-Display (32 x 16 Pixel beim Original) und drei Knöpfen zu tun. Auf dem Display seht ihr ein pixeliges, kleines Wesen, sowas wie ein virtuelles Küken. Um das habt ihr euch zu kümmern. Ihr müsst es regelmäßig füttern und ihm zu Trinken geben, müsst dafür sorgen, dass es von euch genügend Zuneigung und Schlaf bekommt. Ein sich wiederholender Piepton macht euch darauf aufmerksam, dass ihr irgendwas mit dem Tier machen müsst.
Und ja: Ihr müsst das Vieh übrigens auch disziplinieren, bei Laune halten — und seine verdammten Haufen wegmachen! Wenn meine damalige Ex den schweren Fehler beging, ihr Tamagotchi einen Tag in unserer Wohnung zu vergessen, wenn sie aus dem Haus ging, hab ich das Teil in Grund und Boden diszipliniert, Freunde! :D Ich muss aber zugeben, dass sich mir der Reiz nicht ganz erschlossen hat.
Ihr musstet euer Tamagotchi hegen und pflegen, um ihm ein möglichst langes Leben zu ermöglichen. Und selbst ein langes Tamagotchi-Leben war im Grunde nur ein wenige Wochen langes Leben, bevor den kleinen Kollegen dann das Zeitliche segnete. Ich habe keinen Schimmer mehr, was die Dinger damals gekostet haben, aber Bandai hat jetzt zum zweiten Mal eine Neuauflage in den Handel gebracht. Etwa 16 Euro werden fällig, wenn ihr euch so ein Spielzeug bestellt.
So wie damals übrigens gibt es auch heute viele verschiedene Anbieter dieses Spielzeugs. Das Original stammt wie gesagt von Bandai und „Tamagotchi“ hat sich als Überbegriff etabliert, aber ihr findet viele verschiedene und oftmals auch günstige Alternativen, wenn ihr euch auf Amazon (oder sonstwo) umschaut.
Aber zurück zum The Verge-Artikel und den Tamagotchi-Spät-Erfahrungen der Sarah Jeong. Sehr schnell wurde ihr eines klar: Am Tamagotchi kann man sehr schön erkennen, was genau mit der „Generation Smartphone“ schief läuft.
Press button, my Tamagotchi screams at me from morning to night. Press button or I will die. The Tamagotchi, I have realized, is everything that is wrong with our smartphone era.
Sie hat sich genau so intensiv um ihren virtuellen neuen Freund gekümmert, wie es die Kids in den Neunzigern auch getan hat. Egal, ob Tag oder Nacht: Wenn das „Beep Beep“ ertönt, schaut sie nach und füttert, spielt, schaltet das Licht aus oder macht Haufen weg.
Es dauert nicht wirklich lange, bis sie genervt ist, aber sie hegt und pflegt den virtuellen Kameraden dennoch weiter. Es ist einfach nur noch ein zusätzliches Gerät, welches sich ständig meldet und um unsere Aufmerksamkeit bettelt. Sarah ist der Meinung, dass es im Endeffekt durchaus eine Parallele gibt, wenn man so ein Tamagotchi mit unseren Smartphones, Smartwatches, etc. vergleicht.
Es ist zwar nicht ein virtuelles Küken, welches sich ständig meldet, aber es sind unsere Kumpels, unsere Familien, unsere Arbeitskollegen. Der eine will eine Antwort per Mail, der nächste will mit Dir spielen und noch ein anderer will nur, dass Du Dir ein neues Foto anschaust. Während Du Dir diese Fotos noch anschaust, piept dann Deine Smartwatch los und erinnert Dich daran, dass Du Dich noch bewegen oder einen Schluck Wasser trinken sollst.
All das lenkt ab, kostet Zeit und falls ihr gerade arbeitet, stört es auch die Konzentration. Oftmals nervt es und so manches mal verpasst man dadurch etwas, was man ursprünglich erledigen wollte. Also ja — auch wenn der Vergleich zwischen Tamagotchi und Smartphone in vielen Punkten logischerweise ein hinkender ist: In so manchem Punkt zeigen sich deutliche Parallelen.
Ich kann mich übrigens auch noch daran erinnern, wie sehr mich damals das Tamagotchi genervt hat, obwohl es gar nicht meins war und ich mich nicht drum kümmern musste. Mein ständig blinkendes Smartphone hingegen nehme ich einfach in Kauf. Ist es die reine Abhängigkeit? Der gegenüber einem Tamagotchi tatsächlich vorhandene Mehrwert? Oder bin ich dank der mit den Jahren durch YouTube und Co brutal geschrumpften Aufmerksamkeitsspanne einfach an einem Punkt angelangt, an dem mir dieses ständige Abgelenkt-werden gar nicht mehr auffällt?
Ich weiß es nicht genau, muss ich ehrlich sagen. Dass es Mitte der Neunziger los ging, dass sich die Technik gegen uns wandte und UNS diktierte, wann wir uns um SIE kümmern sollen, scheint hingegen absolut logisch mit Blick auf die Tamagotchis. Ich werde jedenfalls weiter recherchieren zu den Süchten, die mit unserer Hardware, mit Gaming und mit Social Networks zusammenhängen. Aber nicht jetzt sofort: Erst muss ich noch ein bisschen Springfield zocken — wenn ich mich nicht um die Stadt kümmere, kann ich die aktuelle Mission nicht absolvieren.
via The Verge