Hätte man mich in den Achtzigern oder Neunzigern gefragt, wie wir im Jahr 2020 aussehen — ich hätte eher damit gerechnet, dass ich einen Cyber-Arm mit eingebautem Waffensystem besitze als eine fette Pocke, aber diese Zukunftsprognosen hauen ja eh nie so richtig hin. Aber im Ernst: Unsere Städte werden weder von fliegenden Autos noch einkaufenden oder den Verkehr regelnden Robotern dominiert und auch bei den Implantaten, fester Bestandteil jeder ordentlichen Science-Fiction-Story, sieht es noch ziemlich mau aus.
Bei allen diesen Themenfeldern tut sich natürlich was und gerade die menschliche Augmentation ist eine hochspannende Geschichte. Zuletzt war es zum Beispiel immer wieder Elon Musk, der für Gesprächsstoff sorgte mit seinem Projekt Neuralink, welches über kurz oder lang Chips in unsere Gehirne verpflanzen will.
Aber, wenn wir jetzt schon viele Tausend Menschen auf den Straßen sehen, die sich der Wissenschaft augenscheinlich komplett verschließen und zu Teilen sogar davon überzeugt sind, dass Menschen sowieso schon per Impfung mit Chips versehen werden, möchte ich mir nicht vorstellen, wie groß die Akzeptanz für Elon Musks Hirn-Chips sein wird.
Eine Studie vom Sicherheitsunternehmen Kaspersky hat hier aber mal nachgefühlt, wie die Meinung in Europa ist, was humane Augmentation angeht. Für die Studie “The Future of Human Augmentation 2020 – Opportunity or Dangerous Dream?” wurden etwa 14.500 Menschen aus 16 Ländern (15 mal Europa, inklusive Deutschland, zusätzlich noch Marokko) befragt, wie sie dieser Thematik gegenüber stehen.
Im Kaspersky-Blog stellt man dazu fest:
Experten sind der Meinung, dass soziale Medien und digitale Filter, die die meisten Smart-Kameras und Apps geschaffen haben, eine „Modifikationsgeneration“ hervorgebracht haben, welche die Idee der Augmentation und Veränderung unseres Körpers normalisiert.
Ja, das sieht man auch daran, dass es einen unschönen Trend gibt, bei dem sich viele junge Menschen (vor allem Mädchen) operieren lassen wollen, um ihrem Filter-Ich ähnlicher zu werden.
Aber wie ist es laut Umfrage um die Menschen bei diesen Fragen bestellt? Von den Teilnehmern (darunter 1.000 Deutsche), die im Rahmen der Umfrage befragt wurden, sind erstaunliche 90 Prozent gewillt, ihren Körper zu verbessern, wenn die Möglichkeit bestünde. Immerhin noch 65 Prozent können sich vorstellen, ihren Körper — zeitweise oder dauerhaft — mit Hilfe von “Human Augmentation” optimieren zu lassen.
Auf dieser Optimierungs-Wunschliste der Augmentation-Befürworter in Deutschland stehen: dabei die Verbesserung der allgemeinen körperlichen Gesundheit (47 Prozent), ein besseres Sehvermögen (34 Prozent), mehr Kraft (31 Prozent) sowie ein attraktiverer Körper (29 Prozent) ganz oben auf der Liste.
Es gibt aber natürlich auch jede Menge Skepsis: 81 Prozent der Befragten befürchten, dass von diesen Verbesserungen nur Reiche profitieren, während sich der überwältigende Teil der Bevölkerung sich diese Modifikationen nicht leisten können wird. Außerdem haben 87 Prozent der Teilnehmer Bedenken, dass smarte Körper irgendwann zum Hacking-Ziel für Cyberkriminelle werden könnten. Fast ebenso viele — 86 Prozent — fürchten, dass ausschließlich Privatfirmen Human Augmentation-Technologie kontrollieren könnten.
Bei diesem Aspekt sind die regionalen Unterschiede interessant: 37 Prozent der Deutschen finden, dass die Regierung die Verantwortung zur Regulierung trage. In Griechenland denken das nur 17 Prozent der Befragten, in Großbritannien hingegen erstaunliche 77 Prozent. Einig sind sich die Befragten laut Kaspersky in Bezug auf Human Augmentation für militärische Zwecke: 60 Prozent sprechen sich dagegen aus.
Interessant finde ich auch die Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei den Geschlechtern: Ein Drittel (34 Prozent) der befragten Frauen in Deutschland und nur ein Fünftel (23 Prozent) der Männer würden Human Augmentation nutzen, um einen attraktiveren Körper zu haben, während hinsichtlich eines verbesserten Sehvermögens (Frauen: 35 Prozent, Männer: 33 Prozent) oder mehr Muskelkraft (Frauen: 47 Prozent, Männer: 46 Prozent) keine großen Unterschiede bestehen.
Generell wächst die Akzeptanz in der Bevölkerung, dass man auf diese Weise seinen Körper optimiert, zu dem Schluss kommt auch Marco Preuss, Leiter des Forschungs- und Analyseteams von Kaspersky in Europa:
Human Augmentation ist heute einer der bedeutendsten Technologietrends. Wir sehen bereits eine Vielzahl praktischer Anwendungen, die in den alltäglichen Bereichen unseres Lebens wie Gesundheits- und Sozialwesen, Sport, Bildung und Verkehr eingesetzt werden. Exoskelette für Feuerwehr und Rettungsdienste oder Bioprinting von Organen sind einige Beispiele dafür. Doch viele Menschen sind zu Recht misstrauisch. Augmentation-Fans testen bereits die Grenzen des Möglichen, doch wir brauchen gemeinsam vereinbarte Standards, um sicherzustellen, dass Human Augmentation sein volles Potenzial entfaltet und gleichzeitig die Risiken hinsichtlich Datenschutz und Cybersicherheit minimiert werden. Marco Preuss, Leiter des Forschungs- und Analyseteams von Kaspersky in Europa.
Feststehen dürfte, dass wir uns in Zukunft verstärkt mit vielen Fragen zu diesem Thema auseinandersetzen müssen, nicht nur ethischer Art. Es muss in der Tat Standards geben und Gewährleistungen, dass die durch Augmentation gewonnenen Fähigkeiten nicht dafür sorgen, dass beispielsweise die soziale Schere weiter auseinandergeht.
.@marco_preuss is now looking at how humans can benefit from augmentation, such as doing dangerous work safely or giving those who aren't able to walk their freedom back. #KNext20 pic.twitter.com/UKwQhj6FW0
— Kaspersky (@kaspersky) September 16, 2020
Persönlich würde mich interessieren, wie sich die Akzeptanz in verschiedenen Bereichen des Lebens darstellen wird. Bei Eingriffen, die beispielsweise die Sehkraft optimieren, dürften die Wenigsten Einwände haben. Aber wie sieht es bei militärischen Zwecken aus? Oder beim Thema Sport? Wird ein FC Bayern auch im Jahr 2030 die Bundesliga dominieren und das u.a. deswegen, weil man sich die Spieler mit den besseren Modifikationen leisten kann? Gerade mach ich mir Gedanken, ob Human Augmentation vielleicht der einzige Weg sein könnte, mit dem meine Schalker wieder zu Normalform zurückfinden — aber das ist dann doch wohl eher wieder Science Fiction ;)
Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Ich denke, dass die menschliche Augmentation beides ist: Sowohl eine große Chance als auch eine Gefahr — letzteres können wir abwenden, wenn diese Technologien richtig reglementiert werden. Ob das aber so einfach umsetzbar ist, wird erst die Zukunft zeigen müssen.
Im Bild seht ihr einen Überblick über die Meinung zur Human Augmentation mit Fokus auf Deutschland. Hier findet ihr nicht nur den kompletten Report (in Englisch), sondern auch Infografiken für Österreich und Schweiz.