Jahrelang ist Martin Brüsch mit dem Auto zur Arbeit gefahren. Er ist als Personalverantwortlicher tätig und für die 20-minütige Fahrt ins Büro nutzte er regelmäßig seinen 211 PS starken Audi A4 Kombi. Heute steht das Auto meist vor seiner Wohnung im wohlhabenden Berliner Stadtteil Charlottenburg und der 32-jährige nutzt stattdessen einen neuen Fahrgemeinschaftsdienst.
„Wenn ich wirklich ehrlich zu mir selbst bin, dann ist der Besitz eines Autos mit all diesen Alternativen zu teuer“, sagt Brüsch, wenn er nun in den batteriebetriebenen Nissan Leafs von CleverShuttle steigt. Er zahlt etwa 8,50 Euro, um mit diesem Ride-Sharing-Dienst jeden Tag zur Arbeit zu kommen. Das ist ungefähr die Hälfte des Preises, den er für ein Taxi zahlen würde und es ist weniger als für die Parkgebühren in der Tiefgarage anfällt. Brüsch gefällt die Tatsache, dass dieser Service billiger ist, dass er keinen Parkplatz suchen muss und er noch dazu etwas für die Umwelt tut.
Hier macht sich ein neuer Trend in Deutschlang und sogar in Teilen der USA bemerkbar. Ein Trend, bei dem immer mehr jüngere Menschen auf den Autobesitz verzichten. Anstatt ein Fahrzeug zu kaufen, das die meiste Zeit eh nur vor der Haustür steht, entscheiden sich viel dafür, Dienste wie Uber, Carsharing und öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, um von A nach B zu kommen.
Dies gilt insbesondere für Großstädte. Die Zahl der Deutschen im Alter von 25 und jünger, die ihren Führerschein machen, ist in den letzten zehn Jahren um 28 Prozent gesunken. Nun, im Zeitalter von Carsharing, batteriebetriebenen Fahrzeugen und selbstfahrenden Autos müssen sich die Automobilhersteller dieser Zeit neu erfinden, um diesen Wandel zu überleben.
Schauen wir uns mal ein paar Statistiken dazu an, was der Grund für diese Entwicklung ist. Laut einer Studie des University of Michigan Transportation Research Institute war die Zahl der 16-Jährigen, die 2014 einen Führerschein hatten, um 47% geringer als im Jahre 1983. Insgesamt haben alle Altersgruppen, vom Teenager-Alter bis in die Vierziger rein, einen signifikanten Rückgang des Führerscheinerwerbs erlebt. Eine frühere Studie, die junge Erwachsene zwischen 18 und 39 Jahren befragte, hat drei Hauptgründe für das späte Erlernen des Autofahrens ausmachen können:
– Sie sind zu beschäftigt oder haben zu wenig Zeit für den Führerschein (37%)
– Der Besitz und die Wartung eines Fahrzeugs sind zu teuer (32%)
– Sie haben die Möglichkeit, von anderen mitgenommen zu werden (31%)
Außerdem hat man feststellen können, dass sich die Gesamtdistanz, die Personen mit dem Auto fahren, in den letzten fünf Jahren um neun Prozent verringert hat. Es gibt zwar keine Daten, die die Gründe dafür komplett belegen können, doch ich stelle die Vermutung auf, dass es an unserer digitalisierten Gesellschaft liegt. Immer mehr Leute arbeiten von zu Hause aus und gehen öfter online einkaufen, als sich tatsächlich in Einkaufscenter zu begeben. Es gibt außerdem endlose Unterhaltungsmöglichkeiten über das Internet – ich muss also nicht mehr zum Rummel in der nächstgelegenen Stadt fahren, um Spaß zu haben. Außerdem kann ich mir mittlerweile auch Lebensmittel nach Hause liefern lassen.
„Es wird das erste Mal sein, dass Automobilhersteller überhaupt mit einem strukturellen Rückgang zu kämpfen haben und nicht mit temporären Faktoren wie einem wirtschaftlichen Abschwung.“ Arthur Kipferler, Berylls-Berater
Das Münchner Beratungsunternehmen Berylls Strategy Advisors prognostiziert aus amerikanischen Daten, dass der Gesamtautomobilabsatz bis 2030 um 12 Prozent, als auf 15,1 Millionen Fahrzeuge sinken wird. Kein Wunder also, dass sich Mercedes-Benz nach der Gründung von CleverShuttle 2016 an dem Unternehmen beteiligte. Der Service verwendet eine Uber-ähnliche App, um Personen, die nach einer Fahrt suchen, mit anderen Pendlern in der Nähe zusammenzubringen. CleverShuttle wird derzeit in fünf deutschen Städten angeboten und hat seit Januar die Zahl der Benutzer auf 650.000 mehr als verdoppelt.
Denkt man fünf Jahre in die Zukunft werden sich solche Dienstleistungen auf den Automobilverkauf auswirken. Das Unternehmen Tata Motors reagiert darauf mit einem Zusammenschluss mit dem selbstfahrenden Waymo-Taxi-Service von Alphabet Inc., dass 20.000 elektrische Kugeln auf Rädern aufliefern will.Das Problem ist, dass es nicht so einfach ist, den Autoverkauf durch Einnahmen aus Mobilitätsdienstleistungen zu ersetzen, wie es beispielsweise Tata Motors macht. Deutsche Urgesteine wie Daimler, BMW und Volkswagen haben zwar Hunderte von Millionen Euro in verschiedene Fahrgemeinschaften und Carsharing-Programme investiert, sie können den Gewinn des Autoverkaufs jedoch noch lange nicht ausgleichen.
Nehmen wir als Beispiel mal den 2011 gestarteten Carsharing-Service DriveNow von BMW zur Hand. Über diesen können Nutzer mehr als 6.000 BMWs und Minis in 13 europäischen Städten mieten, doch nach über sieben Jahren im Betrieb macht der Service nur 0,07 Prozent des Umsatzes des Unternehmens aus. Der Rest kommt vor allem aus dem Verkauf von fast 2,5 Millionen Luxusfahrzeugen, wie beispielsweise dem 3er BMW.
„Die Automobilhersteller müssen an der zukünftigen Mobilität beteiligt sein, um nicht von Leuten wie Uber und Lyft zurückgelassen zu werden.“ Michael Dean, Senior Automotive Analyst
Abgesehen von den Kosten für den Aufbau einer solchen Ride- oder Carsharing-Flotte, hat ein Unternehmen zahlreiche laufende Ausgaben. So etwa die Autowartung, Bezahlung der Fahrer – wenn es denn welche gibt – und auch die Verwaltung und Aktualisierung der Software, über die das ganze Geschäft abläuft. Die Entwicklungen der letzten Jahre scheinen absolut nicht positiv und doch zeigen die eigenen Schätzungen von BMW, dass in einem Jahrzehnt ein Carsharing-Fahrzeug mindestens drei private Fahrzeuge ersetzen wird. Außerdem werden Mobilitätsdienstleistungen, einschließlich autonomer Autos, ein Drittel aller Fahrten ausmachen. Bereits jetzt werden Uber und sein chinesischer Rivale DiDi Chuxing Inc. zusammen auf rund 124 Milliarden Dollar geschätzt.
Uber und Co. sitzen den Automobilherstellern so tief im Nacken, dass sich BMW im März sogar dazu entschloss, seinen DriveNow-Dienst mit dem car2go-Service des langjährigen Rivalen Daimler zu fusionieren. Gemeinsam wollen sie einen One-Stop-Shop bauen, also ein Treffpunkt für alle Mobilitätsformen. Menschen sollen hier Autos auf Abruf nutzen können, Parkplätze finden und ihre Elektroautos an Ladestationen laden.
„Als Pioniere im Automobilbau werden wir es anderen nicht überlassen, die zukünftige urbane Mobilität zu gestalten.“ Dieter Zetsche, Daimler-Vorstandsvorsitzender
Der Wettbewerb ist hart – jeder will an der Zukunft der Mobilität beteiligt sein. In Deutschland führte die Vielzahl der Möglichkeiten dazu, dass sich die Deutsche Bahn an dem CleverShuttle-Service beteiligte, da es für einige Pendler eine Alternative zu überfüllten Zügen ist. Berliner können in kleine Mietwagen springen, die entweder mit Benzin oder Batterien betrieben werden und die überall wieder abgestellt werden können – Car to Go nennt sich das. Auch Leihfahrräder gibt es für 1 Euro pro Stunde und für 3 Euro kann man sogar mit einen Elektroroller umherdüsen.
In den meisten Großstädten sieht es so aus. Die Carsharing-Flotten sind im vergangenen Jahr weltweit um 91 Prozent gewachsen. Dienste wie Uber, Lyft oder Grab boomen, was das Zeug hält. Das Pendeln mit fremden Leuten setzt sich ebenfalls durch. Neben CleverShuttle startete ViaVan im Frühjahr in London, in Hannover wurde Moia von Volkswagen ins Rennen geschickt – überall entstehen Dienste, die den eigentlichen Besitz eines Autos überflüssig machen.
„Wir müssen den innerstädtischen Verkehr reduzieren. Eine gute Möglichkeit, das zu tun, ist, Leute zu überzeugen, dass sie kein Auto mehr besitzen müssen.“ Bruno Ginnuth, CEO von CleverShuttle
CleverShuttle plant, 130 weitere Nissan Leafs und Toyota Mirai Wasserstoffautos zu kaufen, um in zwei weiteren deutschen Städten zu expandieren. Was jedoch passiert, wenn Ride-Sharing-Dienste ihre Flotte vergrößern, zeigt sich am Beispiel Uber in Amerika. Dort hat sich allein in New York die Gesamtgröße von Uber-Fahrzeugen in den letzten zwei Jahren von 63.000 Fahrzeuge auf 100.000 Autos erhöht. Die Straßen sind also weiterhin ausgelastet, Tendenz steigend.
Uber will nun dagegen vorgehen, indem das Unternehmen in den nächsten drei Jahren 10 Millionen Dollar investiert, um die Verkehrsüberlastung in den Städten zu verringern. Ein Problem, das durch die Popularität von Ubers eigenem Service noch verschärft wurde. Um die Verkehrsüberlastung in den Griff zu bekommen, plädiert das Unternehmen für eine Innerstädtische Gebühr und eine Begrenzung der Fahrzeuge von Ride-Sharing-Unternehmen. Außerdem sollen mehr Ladestationen für E-Bikes zur Verfügung stehen, denn es sollen mehr Alternativen für die Nutzung von Autos, egal in welcher Form, geschaffen werden.
Wer meine Artikel in den letzten Wochen verfolgt hat, wird gemerkt haben, dass mich das Thema „Mobilität der Zukunft“ sehr interessiert. Es gibt viele spannende Entwicklungen in diesem Bereich, die alle diskutiert und überdacht werden müssen. Dieser Artikel handelt einmal mehr von den Gründen und Auswirkungen einer Gesellschaft, die immer weniger Autos kauft.
Schreibt mir gerne eure Meinung zu dem Thema in die Kommentare.