Werbefinanzierte Websites sind heute schon mit reichlich Skripten ausgestattet, die die Besucher der Seiten möglichst detailliert verfolgen soll, um möglichst genau zu wissen, wer wann was im Netz tut und die passende Werbung auszuspielen. Wie gut (oder auch schlecht) das funktioniert kann man einfach mal ausprobieren, wenn man in einem Browser ohne Skript- und AdBlocker einfach mal ein paar Produkte auf Amazon anschaut und anschließend weiter surft.
Gut deswegen, weil genau diese Produkte anschließend in den Anzeigen bei Facebook und auf anderen Seiten auftauchen, schlecht deswegen, weil die Systeme nicht wissen, dass ich das Produkt eben erst gekauft habe und die Werbung daher bei mir ziemlich sinnlos ist. Retargeting nennt sich das.
Tracking: Was online normal geworden ist …
Selbst Seiten, auf denen keine Werbung zu sehen ist, sind oft genug Teil des Systems. So bekam jemand aus unserem Team im Zusammenhang mit einem anderen Projekt eine Mail eines Unternehmens, das versprach, man könne mit ihrem System Geld verdienen ohne Werbung einblenden zu müssen:
[Firma] ermöglicht Ihnen mit Ihrem Traffic Geld ohne Werbung zu verdienen.
Über 3500 Seitenbetreiber sind bereits an den [Firma] Marktplatz angeschlossen und verdienen Geld, in dem sie Unternehmen erlauben ihre User zu markieren. Damit werden – je nach Nische und Qualität der User – Preise zwischen 0,60€ und 12€ pro 1000 unique User erzielt.
[Projekt] hat eine spannende Kundengruppe für viele Werbetreibende und wir würden uns sehr freuen, Sie als Partner zu gewinnen. Sie können sich hier anmelden.
Haben Sie Fragen, die ich Ihnen beantworten kann?
Mail eines Retargeting-Vermarkters
Das bedeutet also nichts anderes, als das letztlich auch eine Form von Werbung auf teilnehmenden Seiten stattfindet – ganz ohne Banner. Die Nutzer der Seite werden genau so getrackt, wie auf Seiten mit Werbebannern. Das ist natürlich für Seiten mit einem möglichst klaren Themenfokus spannend: Nutzer, die sich zum Beispiel auf einer Seite wie Mobilegeeks rumtreiben wären ideale Kandidaten für entsprechende Werbung zu den Geräten zu denen sie hier vielleicht einen Testbericht gelesen haben.
Ähnliches gilt auch für andere Projekte an denen die Menschen hier bei Mobilegeeks auch sonst so beteiligt sind. Wir sind uns aber im Team einig, dass wir solche Methoden ziemlich schäbig finden und so etwas für uns nicht in Frage kommt. Andere Seitenbetreiber sehen das ofensichtlich anders.
Andererseits ist es eben eine Tatsache, dass wir uns inzwischen daran gewöhnt haben, dass Werber versuchen unseren Spuren im Netz Schritt für Schritt zu folgen und sie auszuwerten. Jeder Internetnutzer ist mindestens ein Datensatz in den Profilsammlungen der Werbevermarkter, ob man nun will oder nicht. Auch dies ist ein Grund, warum viele die Benutzung von Ad- und Skript-Blockern als reinen Akt der Notwehr sehen.
… das soll auch offline gehen!
In der realen Welt funktioniert das Tracking von Nutzern bislang nicht ganz so einfach, schließlich lassen sich Menschen auf der Straße nicht einfach so irgendwelche Kekse an die Jacke kleben. Aber auch daran wird in der Branche schon eine Weile gearbeitet. Der aktuellen Horizont liegt ein kleines Extraheft bei: „Digital Out-Of-Home“. Das Thema hier sind eben digitale Werbeformen, die die User außerhalb ihres Zuhauses „erwischen“.
Was bei uns für relativ weit aufklappende Münder gesorgt hat, war ein Artikel auf Seite 13. Nicht, weil die Beschreibung des Systems dort uns technisch irgendwie überraschen würde, sondern mit welcher Offenheit und Naivität hier beschrieben wird, wie die Firma Cittadino aus ihren digitalen Werbetafeln den feuchten Traum eines jeden Überwachers machen will.
Im Artikel wird auch Minority Report angesprochen, in dem Film wurde Straßenwerbung gezeigt, die individuell auf jeden einzelnen Menschen eingegangen ist, man wurde identifiziert, es wurden entsprechende Daten gesammelt und schon war die individualisierte Werbung da. Der Film aus dem Jahr 2002 beschreibt dabei eine Werbezukunft aus dem Jahr 2054. Aber es wird wohl nicht ganz so lange dauern…

Jeder kennt wohl die digitalen „Werbeplakate“, die in Einkaufszentren, an Bahnhöfen oder Flughäfen reichlich in der Welt stehen. Die sind für die Betreiber natürlich sehr praktisch, schließlich muss man da niemanden mehr hinschicken, um die Plakate auszutauschen, die werden einfach digital hingeschickt. So sind auch kurzfristige Buchungen oder Anpassungen der Werbung möglich. Aber was diese Digitalplakate mit ihren Vorfahren aus Papier bislang gemeinsam haben: Es handelt sich um eine Einweg-Kommunikation ohne Rückkanal. So genau weiß niemand, wie viele Menschen eine Werbung gesehen haben und weitere Informationen darüber hinaus über die erreichten Konsumenten hat man natürlich auch nicht.
Aber wäre es nicht schön – zumindest aus der Sicht der Werber – wenn man dem Werbekunden genaue Angaben darüber liefern könnte, wie viele Menschen und wie lange diese die Werbung angeschaut haben? Womöglich auch noch, ob und welche Reaktion die Menschen darauf gezeigt haben?
Nichts leichter als das, die Technik dafür gibt es bereits, man muss sie nur einbauen und nutzen: Kamera in das Display gesteckt, dahinter eine Software mit Gesichtserkennung, die nicht nur erkennt, wie viele Menschen, sich wie lange eine Werbung angeschaut haben, sondern auch gleich noch erfasst, welche Gefühlsregungen in den Gesichtern der Menschen zu erkennen sind. Natürlich wird auch erfasst, welches Geschlecht der Mensch hat, der die Werbung schaut und wie alt er ungefähr ist.
Alles technisch nicht neu und wurde auch schon mehrfach gezeigt. Was uns etwas sprachlos zurück lässt, ist die Naivität, mit der hier von einer Lösung geschrieben wird, die „konform zum Datenschutz“ sei. Klar, die Systeme zeichnen nach aktuellem Stand nichts auf, die Personen und Reaktionen würden nur als Metadaten gespeichert werden. Aber man darf sich dann schon einmal die Frage stellen, ob die diese Entwicklung tatsächlich so naiv sehen, wie sie sie da beschreiben.
Denn Fakt ist, dass mit solchen Displays und deren Fähigkeiten Begehrlichkeiten geweckt werden. Es handelt sich laut Artikel um 800 Displays, die bereits aufgerüstet wurden und wohl einigen tausend Displays insgesamt, wenn die Technik überall steht. Displays mit Internetanschluss, Kameras und Echtzeit-Gesichtserkennung. Strategisch günstig verteilt in Shopping-Centern, an Bahnhöfen, Flughäfen und an anderen Orten, wo viele Menschen vorbei kommen. Man muss kein Unsicherheitspolitiker sein, um hier auf die Idee zu kommen, dass man doch solche Systeme prima zur Fahndung nutzen könnte oder die auch ideale Ergänzungen zu anderen Überwachungssystemen darstellen würden.
Aber abgesehen von irgendwelchen Wünschen, die mit Sicherheit aus dem Umfeld von Innenministern und Polizeibehörden kommen werden, werden mit Sicherheit die Begehrlichkeiten auch bei den Werbekunden kommen. Wäre es nicht schön, wenn man in so einer Werbung direkt personalisierte Werbung ausspielen könnte? Aber dazu müsste man die Kunden ja identifizieren und nicht jeder hat Gesichtsprofile seiner Kunden. Aber auch dafür gibt es schon eine Lösung: WLAN-Hotspots.
Weitere Erkenntnisse gewinnt Cittadino über WLAN-Tracking. Eine Software zeichnet dabei die Einwählversuche der Smartphones in vorhandene WLAN-Hotspots auf. Die so erfassten „Pings“ geben Aufschluss darüber, wie viele Smartphones sich am Touchpoint befinden, welche Wege die Zielgruppen nutzen, wo sie sich aufhalten, und wann und wie lange sie das tun. Horizont Mediaguide Digital Out-Of-Home
WLAN-Tracking? Damit ein Smartphone versucht, sich mit einem WLAN zu verbinden, muss es normalerweise vorher schon einmal mit einem WLAN des jeweiligen Namens verbunden gewesen sein. Weitere Details verrät der Artikel nicht, aber es würde nicht verwundern, wenn das Display einfach Hotspots unter den Namen bekannter und verbreiteter Anbieter anbieten würde, ob Telekom, Freifunk oder was auch immer. Es reicht ja den Namen zu verwenden und schon werden etliche Smartphones versuchen sich zu verbinden, dann werden die auf eine Anmeldeseite des Display-Anbieters umgeleitet und schon hat man das Offline- mit dem Online-Tracking verheiratet.
Im Gegenzug gibt es dafür vielleicht sogar wirklich Internet. Oder aber es wird ein eigenes WLAN angeboten, kostenlos. Das gibt es ja bereits in vielen Einkaufszentren. Dachte wirklich jemand, es würde sich dabei um einen Service handeln? Das war dann wohl ein naiver Gedanke.

Die Zukunft
Ernsthaft kann niemand über diese Entwicklung überrascht sein, der in den letzten Jahren die technische Entwicklung auf der einen und die Versuche, diese Technik für die Überwachung (ob nun durch Politik oder Wirtschaft) zu nutzen, nur ein wenig verfolgt hat. Es überrascht höchstens die Offenheit, mit der die Werbewirtschaft solche Systeme installiert und sie als „konform zum Datenschutz“ bezeichnet, während sie gleichzeitig recht unverblümt zugeben, dass das Ende der Datensammlung noch lange nicht erreicht ist.
Auf der anderen Seite macht man sich dort aber scheinbar keine Gedanken über die mit solchen Systemen bei Sicherheitsbehörden geweckten Begehrlichkeiten.
Neben dem Ad- und Tracking-Blockern im Browser werden in Zukunft viele wohl auch im echten Leben daran arbeiten, zumindest das Tracking zu erschweren. Das wird dann wohl eine Kombination aus abgeschaltetem WLAN am Smartphone und verdecktem Gesicht sein – entsprechendes Spezial-Make-Up gegen Gesichtserkennung wurde ja schon vorgestellt. Möglicherweise werden Burkas noch zum Modetrend für alle, die sich nicht auf Schritt und Tritt beobachten lassen wollen.