Kritik am vom EuGH durch ein Urteil gegen Google geschaffenen „Recht auf Vergessen“ wird von verschiedenen Seiten geäußert, nicht nur von Google und anderen Suchmaschinenbetreibern. Offenbar sieht auch der Verfassungsrichter Johannes Masing vor allem negative Seiten an diesem Urteil – das berichtete zumindest iRights.info, die eine 24 Seiten lange Stellungnahme des Richters kennen. Diese Auseinandersetzung mit dem Urteil ist aber nicht öffentlich.
Seinen Text, datiert auf den 21. Mai, unter dem Titel „Vorläufige Einschätzung der ‚Google-Entscheidung‘ des Europäischen Gerichtshofs“ wird von iRights.info auf vier Kernaussagen zusammen gefasst:
1. Es sei richtig, dass europäisches Datenschutzrecht auch für Google gelten muss.
2. Auch ein „Recht auf Vergessen“ sei grundsätzlich eine sinnvolle Idee.
3. Das konkrete Urteil des Europäischen Gerichtshofs stärke jedoch Googles Macht.
4. Es schaffe zwischen Persönlichkeitsrechten und Kommunikationsfreiheit „ein Ungleichgewicht, das die liberalen Linien des Äußerungsrechts zu unterlaufen droht.“
Der komplette Text, den Johannes Masing an Datenschützer und Politiker weiter gegeben hat, ist leider nicht öffentlich und auch iRights.info hat sich gegen eine Veröffentlichung entschieden. Natürlich sieht die Redaktion durchaus ein öffentliches Interesse daran, dass ein deutscher Verfassungsrichter ein Urteil des EuGH gegenüber Politikern kritisiert, dazu noch ein Urteil, dass genau in sein eigenes Themengebiet – Pressefreiheit, Demonstrationsrecht und Datenschutz – fällt. Aber dieses öffentliche Interesse sei nicht so groß, dass es eine Verletzung des Urheberrechts des Autors rechtfertigen würde. Das ist natürlich schade, aber vielleicht führt die Berichterstattung über die Existenz des Papiers dazu, dass der Autor einer Veröffentlichung doch noch zustimmt.
Die Zusammenfassung der Kritik von Masing erweckt aber den Anschein, dass sie in eine ähnliche Richtung zielt, wie auch die von vielen anderen Seiten geäußerte Kritik am Urteil. Zumindest ergibt sich daraus die Hoffnung, dass es immer noch Richter gibt, die sich auch mit „Neuen Medien“ intensiver auseinandersetzen und nicht einfach nur Urteile nach Art „Google ist schuld“ fällen. Besser wäre aber sicherlich eine größere Diskussion über das Thema und die Frage, wie man so ein „Recht auf Vergessen“ sinnvoll und fair umsetzen könnte. Ein Beispiel, wie dieses „Recht auf Vergessen“ als Werkzeug für willkürliche Zensur benutzt wird hat Tobias Schwarz schon Ende Juli bei den Netzpiloten veröffentlicht.
Wie unlogisch diese Umsetzung des „Recht auf Vergessen“ ist zeigt auch ein Fall, von dem der Guardian berichtet: Es soll ein Link auf die Wikipedia entfernt werden. Genau diese Wikipedia an der jeder mitarbeiten und zum Beispiel falsche Informationen korrigieren kann.
Denn wie die ersten Beispiel schon gezeigt haben, wird dieses neu geschaffene Recht auch missbraucht, zum Beispiel von Politikern, die rechtzeitig vor einer anstehenden Wahl Google um Links zu kritischen Berichten über ihr bisheriges Verhalten im Amt bereinigen wollen oder Dienstleister, die Kundenkritik verschwinden lassen sollen. Und über die Rechtmäßigkeit solcher Anfragen sollen die Suchmaschinenbetreiber selbst entscheiden.
Was es braucht ist ein echtes „Recht auf Vergessen“, das an der Quelle ansetzt und bei dem es klare Kriterien dazu gibt, was und wie weit das Internet „vergessen“ soll. Also zum Beispiel die Streichung von Namensnennungen direkt in den Pressearchiven bei Berichten über Jahre zurück liegende Ereignisse, bei denen kein berechtigtes öffentliches Interesse vorliegt. Und über das berechtigte öffentliche Interesse und die Abwägung dieses Rechts gegen das Persönlichkeitsrecht Betroffener sollten dann auch nicht die Seitenbetreiber selbst entscheiden, sondern eine unabhängige Instanz – ob es nun ein Gericht ist, Datenschützer oder ob dafür eine eigene Schiedsstelle geschaffen wird.