Nach der International Computer and Information Literacy Study – kurz ICILS – war es der zweite Aufreger im Bildungsbereich: Hamburg legt seine Pläne, sechs Schulen mit WLAN auszustatten, auf Eis. Diese Meldung wird von der Hamburger Schulbehörde inzwischen zwar dementiert und das Projekt scheint doch zu kommen, es ist jedoch erschreckend, dass der Abbruch des Projekts vielen – mich eingeschlossen – völlig plausibel erschien. Der Grund ist einfach: In der deutschen Bildungspolitik fehlt – zumindest in der Breite – das Verständnis für die Bedeutung digitaler Lernmedien und des Internets im Unterricht.
Digitalisierung im Bildungsbereich: Leuchturm-Projekte ja, flächendeckende Akzeptanz nein
In der ersten Version dieses Artikels hatte ich die angeblichen Gründe für den Abbruch des Projekts an Hamburger schulen minutiös zerlegt und als – aus meiner Sicht – stümperhaft abgetan. Der Artikel des Hamburger Abendblattes zeigt jedoch, dass die Hamburger Schulbehörde das Projekt doch gut durchdacht und vorbereitet hat.
Ein Zitat aus dem Artikel klingt für mich besonders positiv:
„Die digitalen Werkzeuge ersetzen nicht die Recherche und nicht das Nachdenken, leisten es aber zeitgemäßer als der Unterricht nur mit Stift und Papier es könnte.“
Ja, diese Aussage stammt von einem Politiker und kann natürlich auch eher strategischen Überlegungen denn echter Überzeugung entspringen. Dennoch freut es mich sehr, solche Aussagen zu lesen. Erschreckend – jedoch viel näher an der Realität vieler Schulen und Hochschulen – ist dagegen die Aussage eines anderen Politikers, der mit folgenden Worten zitiert wird:
„Es ist kein echter Fortschritt, wenn man Schülerinnen und Schüler dazu anhält, krampfhaft mit Tablet und kommerziellen Hilfsmitteln, wie z. B. Google oder Wikipedia, zu arbeiten, statt den eigenen Kopf und wissenschaftliche Hilfsmittel wie Bücher und Schulbibliotheken einzusetzen“
Mein Problem: Aus meiner Arbeit an und mit Hochschulen, Lehrkräften und Dozenten kenne ich leider vor allem die zweite Aussage und Haltung. Natürlich gibt es digital und online affine Lehrkräfte, doch diese können sich sowohl wegen fehlender Ausstattung als auch wegen der vorherrschenden Skepsis kaum durchsetzen.
So begrüßenswert Projekte wie das der Hamburger Schulen auch sind: Es sind Leuchttürme in einem sonst – um im Bild zu bleiben – nebelverhangenen und dunklen Meer der Unverständnis.
Gemeinsam Verständnis schaffen
Da reines Meckern jedoch zu einfach ist, möchte ich abschließend – auch aufgrund meiner Erfahrungen und den Berichten zahlreicher Lehrkräfte – einige Vorschläge machen, mit denen das Bewusstsein für die Bedeutung des Internets und digitaler Lernmedien in der deutschen Bildungspolitik erhöht werden kann.
Beachtet bitte: Keiner dieser Vorschläge wirkt schnell. Hier geht es aus meiner Sicht um eine Veränderung der Wahrnehmung und des Bewusstseins der Verantwortlichen. Ein solche Prozess braucht Zeit – und fortgesetztes Engagement. Das könnte unter anderem so aussehen:
- Unterstützung digital affiner Lehrer und Referendare durch die Eltern.
- Schulung und Information der Eltern, die dann ihrerseits auf Schulleitungen zugehen.
- Nutzt die Sprechstunden Eurer Politiker! Ich weiß, dass viele nicht daran glauben, doch wenn genug Menschen in genug Bürgersprechstunden auftauchen und das Thema der digitalen Bildung ansprechen, kann sich etwas ändern. Steter Tropfen höhlt den Stein.
- Ein Aufruf an alle digital affinen Leser, die etwas didaktische Begabung mitbringen: Geht auf Eure Schulen zu und bietet Kurse an. Ein Beispiel, wie das aussehen kann, liefert Toby Baier vom WRINT-Realitätsabgleich-Podcast, der Schülern die Grundlagen des Programmierens nahebringen darf.
Das sind natürlich nur einige Ansätze. Ich würde mich freuen, wenn ihr in den Kommentaren weiter Ideen und Ergänzungen einbringt. Denn eines ist sicher: Das Verständnis für digitale Lernmedien und ihre Bedeutung wird in der deutschen Bildungspolitik nur langsam wachsen – und nur dann, wenn die digital affinen Menschen dafür sorgen. Und das wären dann wohl wir.