Viktoria Modesta ist ein Model und eine Sängerin aus Lettland, die mit ihrem neuen Video im Netz für Furore sorgt. Ihr Handicap: Ein teilamputiertes Bein! Genau das steht aber im Mittelpunkt ihres neuen Clips und soll unsere Sicht auf Menschen mit Behinderung verändern.
Seit ihrer Geburt hat es Viktoria Modesta Moskalova aus Lettland nicht leicht gehabt. Ein Fehler bei der Geburt sorgte nicht nur dafür, dass sie nie richtig gehen konnte und sich nie in hohen Absätzen und kurzen Röcken zeigen konnte, sondern auch dafür, dass sie sich seit ihrer Kindheit unzähligen Operationen unterziehen musste, die den Zustand ihres Beines leider eher verschlechterten als verbesserten.
Sie ging dennoch einen ungewöhnlichen Weg und modelte bereits ab ihrem 15. Lebensjahr – ein Nacktportrait von ihr schaffte es später sogar in die National Portrait Gallery in London. Mit 20 Jahren traf sie dann eine sehr mutige Entscheidung: Sie ließ sich einen Teil ihres Beines amputieren!
In der Folge begann sie nicht nur, ihren Model-Job weiter auszuüben, sondern bastelte auch an einer Gesangskarriere. 2012 debütierte sie mit dem Song Only You, aktuell sorgt ihr neuer Clip “Prototype” für Furore, den ich euch hier ans Herz legen möchte und ihn deshalb am Ende des Beitrages eingebunden habe.
Als mich Sascha eben auf diese Künstlerin aufmerksam machte, hatte ich zunächst das Gefühl, dass hier jemand vor einen Promotion-Karren gespannt wird – der erste amputierte Popstar der Welt. Dem ist aber nicht so: Nicht Channel 4 spannt hier Viktoria Modesta, wie sie sich als Künstlerin nennt, vor den Karren, sondern sie stellt sich ganz bewusst mit ihrer Behinderung als Zugpferd zur Verfügung.
Seht ihr euch das Video zum oben verlinkten Song an, seht ihr eine wunderschöne Frau, die einen netten Popsong trällert – ihre Behinderung wird euch aber nicht auffallen. Sie will aber nicht die Sängerin sein, die erfolgreich wird, weil sie ihre Behinderung so gekonnt verbergen kann und daher ist bei Prototype ihr amputiertes Bein im Vordergrund des Musik-Videos.
Schon 2012 trat sie bei der Abschlussfeier der Paralympics in London auf mit einer Kristall-Prothese und dieses Spiel mit ihrer Behinderung treibt sie entschlossen voran, trägt beispielsweise beleuchtete Neon-Prothesen oder – wie ihr gleich im Clip seht – sogar eine Prothese in Kegelform, die nach unten spitz zuläuft.
Sie inszeniert sich ein wenig im Stile einer Lady Gaga und will durch die Betonung ihrer Behinderung dafür sorgen, dass wir alle einen anderen Blick für Menschen bekommen, die mit so einer Einschränkung leben müssen. Damit meint sie explizit nicht nur Menschen, die das Glück haben, ohne Behinderung leben zu dürfen, sondern auch die Betroffenen selbst, die sich ihrer Meinung nach zu leicht direkt in eine Opfer-Rolle begeben. Der Daily Mail sagte sie (übersetzt vom Stern):
Ich hoffe, die Leute werden bald verstehen, dass die Ansprüche an behinderte Menschen drastisch erhöht werden müssen. Es geht nicht darum, jemanden hoch in den Himmel zu loben, nur weil er aus dem Bett aufsteht. Einige Behinderte empfinden diese Haltung als herablassend und schädlich.
Ein Stück mehr Normalität – vermutlich hilft das jedem Menschen mit Behinderung tatsächlich weiter als übertriebene Rücksicht oder gar Mitleid, was meint ihr? Als ich mich gerade mit Sascha über Viktoria Modesta unterhalten habe, hatte er darüber hinaus noch einen ganz anderen Gedanken, Stichwort: 3D-Drucker!
Der 3D-Druck boomt, immer mehr Unternehmen treiben diese Technologie voran und machen sie somit für immer mehr Menschen nutzbar. Nicht jeder Mensch mit einem amputierten Bein wird mit einer Prothese aus Kristallglas herumlaufen können oder wollen, aber wenn da jemand ist wie Viktoria Modesta, zu dem man aufschauen kann – wieso sollte man nicht ähnlich kreative Ideen umsetzen und sich mit der Zeit eine ganze Reihe an unterschiedlichsten Prothesen zulegen. Prothesen, mit denen man nicht mühevoll versteckt, dass da irgendwas anders ist als bei den meisten anderen Menschen, sondern Prothesen, die Nutzen und Design verbinden und die die Person sogar in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken kann, statt sie möglichst dort herauszuhalten.
Zusammen mit dem britischen TV-Sender Channel 4 ist ihr neues Video entstanden, indem ihre Behinderung ganz bewusst instrumentalisiert wird. Nicht, weil man sie wie einen Ochsen am Ring durch die Manege führen will und einfach nur mit der nächsten Pop-Sensation schnell Kohle einsammeln möchte, sondern weil sie uns gemeinsam ein wenig die Augen öffnen möchten. Dürfte ein langer Weg werden in Zeiten, in denen ich Toleranz immer öfter vermisse, aber es ist sicher ein Weg, den es sich zu gehen lohnt – nicht nur an Weihnachten! Hier ist nun der Clip – persönlich gefällt mir ihr erster Song von 2012 musikalisch besser, aber als Statement und Ausrufezeichen funktioniert Prototype für mich auch absolut. Scheinbar auch für andere Menschen, denn binnen 12 Tagen haben sich bereits über drei Millionen YouTube-Nutzer dieses Video angeschaut – viel Spaß dabei wünsche ich euch: