Während Amazons Niedrigpreispolitik für uns Kunden oft positiv ist, sieht es bei den vielen Angestellten des Konzerns deutlich anders aus. Amazon zahlt Dumpingpreise im Hinblick auf die Löhne, das gilt nicht nur für die direkt beim Konzern angestellten Mitarbeiter, sondern auch für Transportdienstleister. Dieser Umstand führt – auch in Deutschland – häufig zu Streiks, die Mitarbeiter legen die Arbeit an wichtigen Verkaufstagen, wie dem Cyberday oder vor Feiertagen, nieder. Amazon gab sich bisher äußerst hart und stellte meist kurzfristig Leiharbeiter ein. Jetzt lenkt der Konzern aber ein und erhöht den Mindestlohn auf 15 US-Dollar.
Der Konzern kündigte gestern an, den Lohn bereits ab 1. November zu erhöhen. Das betrifft alle US-Mitarbeiter, einschließlich Teilzeit-, Saison- und Zeitarbeitskräften. Auch alle britischen Mitarbeiter profitieren. Sie erhalten ab dann 9,50 Pfund (das Lohnniveau in London liegt höher). Nach Angaben des Unternehmens sind 250.000 Amazon-Mitarbeiter und 100.000 Saisonarbeiter betroffen. Amazon wird damit plötzlich auch politisch aktiv – der Konzern möchte auf den US-Kongress einwirken, den föderalen Mindestlohn zu erhöhen. Dieser liegt aktuell bei 7,25 US-Dollar und damit künftig unter der Hälfte dessen, was Amazon bezahlt. Jeff Bezos, der CEO des Unternehmens und reichste Mann der Welt, sagte in einer Erklärung, dass Amazon „auf seine Kritiker gehört“ und „entschieden hat, dass wir führen wollen“.
Bereits 2012 wurde die 15-Dollar-Bewegung gegründet, sie versucht seitdem, höhere Löhne im Einzelhandel und der Fast-Food-Industrie zu erwirken. Dies sollte auch über neu zu gründende Gewerkschaften erreicht werden. „Amazon hat sich nicht grundlos für 15 Dollar entschieden, sondern wegen seiner symbolischen Bedeutung“, sagt Ben Zipperer, Ökonom am Economic Policy Institute. „Politischer Druck kann die Löhne in unserer Wirtschaft verändern, was ich für eine hilfreiche Erinnerung halte.“
Zuletzt bekam Amazon scharfe Gegenwehr von höchster politischer Ebene. Ex-Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders schlug vor Kurzem ein Gesetz vor, das er symbolisch den „Stop Bezos Act“ nannte. Dabei sollten Arbeitgeber zusätzlich besteuert werden, die ihre Mitarbeiter dazu zwingen, trotz Anstellung auf Sozialleistungen des Staates – wie Lebensmittelstempel – zurückzugreifen.
What Mr. Bezos has done today is not only enormously important for Amazon’s hundreds of thousands of employees, it could well be a shot heard around the world. I urge corporate leaders around the country to follow Mr. Bezos' lead. https://t.co/06wIAHunPq
— Bernie Sanders (@SenSanders) October 2, 2018
Am Ende wird Amazon aber viele unterschiedliche Komponenten in die Entscheidung einbezogen haben, definitiv waren nicht (nur) soziales Engagement und der Druck aus der Politik dafür verantwortlich. Die Weihnachtszeit steht vor der Tür und der Konzern wird ab dem Black Friday wieder versuchen, Kunden mit großen Aktionen auf seine Plattform zu ziehen. Dafür werden wieder Saisonarbeitskräfte benötigt – aktuelle Schätzungen gehen von 100.000 zusätzlichen Arbeitern für diesen Zeitraum aus.
Aktuell ist die Arbeitslosenquote in den USA sehr niedrig, sie ist unter 4 Prozent gesunken. Wenn nur wenige Menschen Arbeit suchen, stehen auch die Arbeitgeber in Konkurrenz zueinander. Hier macht Amazon jetzt einen deutlichen Schritt, um ein attraktiver Arbeitgeber zu werden. Derartig starke Lohnerhöhungen sind in Volkswirtschaften mit dieser Struktur nicht neu. Selbst wenn Amazon also kassenlose Geschäfte plant, ist der Konzern nach wie vor auf Mitarbeiter angewiesen.
„Das ist nicht wirklich etwas Neues“, sagt Sylvia A. Allegretto, eine Arbeitsökonomin und Mitvorsitzende des Center on Wage and Employment Dynamics an der University of California, Berkeley. „Es passiert typischerweise in engen Arbeitsmärkten. Vergiss nicht, dass Amazon eine Menge Arbeiter braucht, die zur Weihnachtszeit kommen.“. Zudem erhielt Amazon in den letzten Monaten sehr schlechte Presse – Marketingschäden, die in die Kalkulation auch eingepresst werden müssen und können.
Am Ende bleibt aber eines: Mehr Lohn für die Arbeiter. Was den Konzern dazu bewogen hat, mag letztlich egal sein – auch wenn es definitiv nicht nur soziales Interesse war.
Via Wired
Amazons Einzelhandelsstrategie war diese Woche bereits Thema im Mobile Geeks Fernweh Podcast.