Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt muss sich heute mit einem Fall beschäftigen, der mehrere Millionen Arbeitnehmer in Deutschland betreffen könnte. Es geht um die höchstrichterliche Entscheidung, ob ein Arbeitgeber die alle Arbeiten auf einem PC seiner Angestellten protokollieren, auswerten und u.U. für eine Kündigung nutzen darf.
Im konkret vorliegenden Fall geht es um einen Web-Entwickler aus Nordrhein-Westfalen, der von von seinem Arbeitgeber gekündigt wurde. Das Unternehmen hatte seine Mitarbeiter im April 2015 darauf hingewiesen, dass zukünftig alle Internetaktivitäten auf den PCs des Unternehmens dauerhaft protokolliert und gespeichert werden. Bereits wenige Tage nach der Ankündigung wurde ein Keylogger aktiviert, der fortan alle Tastatureingaben – und nicht “nur” alle Internetaktivitäten – der Arbeitnehmer aufzeichnete und zur zentralen Auswertung bereithielt.
Die für den gekündigten Arbeitnehmer erhobenen Daten zeigte, dass der Mann während seiner Arbeitszeit an einem von ihm selbst entwickelten Computerspiel gearbeitet hatte. Zudem hatte er nebenbei Arbeiten für das Unternehmen seines Vaters erledigt, was der mit den Vorwürfen konfrontierte Mann zugab. Der Arbeitgeber sprach daraufhin die fristlose Kündigung aus und schmiss den Entwickler ‘raus.
An der eigentlichen Begründung für die Kündigung dürfte es wenig Zweifel geben. Nebentätigkeiten während der vom Arbeitgeber bezahlten Arbeitszeit sind nicht erlaubt, auch private Tätigkeiten dürfen nur selten über einen ganz geringen Umfang hinaus während der Arbeitszeit erledigt werden. In der Regel führt eine Überschreitung der gesetzlichen oder vom Arbeitgeber gesetzten Grenzen zu Abmahnungen, die im Wiederholungsfall in einer Kündigung enden.
Im Verfahren geht es vielmehr um die Frage, ob der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung rechtmäßig erfahren hat. Ähnlich wie bei unzulässig beschafften Beweismitteln in einem Verfahren hatte sich der gekündigte Web-Entwickler in den Vorinstanzen dagegen gewehrt, dass er von dem Unternehmen derart vollständig überwacht worden sei. Der Arbeitgeber habe seine Angestellten lediglich darauf hingewiesen, dass es um die Protokollierung von Internetaktivitäten gehe, nicht um die Aufzeichnung aller Tastatureingaben. Dementsprechend dürfe der Arbeitgeber die Aufzeichnungen nicht verwerten. Zudem habe er die Arbeiten an seinem Computersoiel und die Tätigkeiten für das Familienunternehmen zum größten teil in seinen Pausen erledigt, auch das habe der Arbeitgeber bei der fristlosen Kündigung nicht berücksichtigt.
Tatsächlich haben die Richter der Vorinstanzen dem Mann bisher Recht gegeben und seiner Kündigungsschutzklage entsprochen. Eine Berufung des Arbeitgebers vor dem Landesarbeitsgericht wurde von den Richtern zurückgewiesen. Die Richter urteilten, dass der Arbeitgeber unzulässig bzw. über ein nachvollziehbares Maß hinaus in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen habe und dass die Verwertung der Keylogger-Daten nicht verwertet werden dürften.
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Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts wird mit Spannung erwartet, da sich aus der Begründung der Richter richtungsweisende Angaben über die Zulässigkeit der Überwachung von Arbeitnehmern ergeben werden. Schon heute darf ein Arbeitgeber anlassbezogen und in einem zeitlich begrenzten Umfang Kameras installieren, mit denen ein oder mehrere Arbeitnehmer überwacht werden. Ohne konkreten Grund oder dauerhaft ist eine solche Überwachung hingegen unzulässig.
Zudem geht es am Rande um die Frage, wie weit die Informationspflichten des Arbeitgebers gehen. Theoretisch wäre jedes Unternehmen in der Lage, unbemerkt von seinen Angestellten alle erdenklichen Tätigkeiten auf einem PC aufzuzeichnen. Wer z.B. mit seinem privaten Smartphone das Netzwerk seines Arbeitgebers nutzt, muss grundsätzlich mit der Aufzeichnung des Datenverkehrs rechnen.
Arbeitgeber argumentieren gelegentlich auch, dass eine lückenlose Protokollierung des elektronischen Datenverkehrs aus Sicherheitsgründen notwendig sein könnte und man nur so die Gefahr begrenzen könne, dass über infizierte Mail-Anhänge oder auf ähnlichen Wegen Viren und andere Schädlinge in das Firmennetzwerk gelangen. Zudem befürchten viele Firmen, dass Daten von Industriespionen oder einfach nur fahrlässig das Unternehmen verlassen.