Die EU-Kommission wird am 19. Februar ein 25-seitiges Konzept ihrer Datenstrategie veröffentlichen. Die Süddeutsche Zeitung stellte vorab einen Entwurf in Auszügen und Zitaten vor. Daraus gehen Kernpunkte der Strategie hervor, die schon jetzt Fragen aufwerfen.
Im Wesentlichen enthält die Strategie vier Anliegen, die alle das gemeinsame Ziel haben, die „technologische Souveränität“ Europas zu schaffen. Das Dokument schlägt laut SZ folgende konkrete Maßnahmen vor:
- Die Schaffung eines Daten-Binnenmarktes. Ähnlich wie nationale Grenzen sollen bürokratische und technische Hürden zwischen Ländern abgebaut werden. Daten sollten in Zukunft ohne Schwierigkeiten innerhalb Europas ausgetauscht, weitergeleitet und abgegriffen werden können.
- Mit dem vorigen Punkt geht die Absicht einher, mehr Kooperation in Europa zu schaffen. Dies gelte sowohl für den privatwirtschaftlichen Bereich als auch für staatliche Stellen. Letztere sollten der Wirtschaft mehr Daten bereitstellen sowie „Standards und Vorbildmodelle“ liefern.
- Im Gesundheitsbereich sollen digitale Verschreibungen und Diagnosen leichter ins europäische Ausland übertragen werden können. Ein Punkt, der nicht nur aus technischen Gründen schwierig ist, sondern vor allem aus bürokratischen. Der Entwurf setzt hierfür einen Zeitrahmen von zwei Jahren.
- Die Kommission überprüft zudem erneut, ob neue Regulierungen für die amerikanischen Megakonzerne sinnvoll wären. Es gehe hierbei vor allem um Erhaltung oder Wiederherstellung eines fairen Wettbewerbs. Dieser sei gestört durch Giganten wie Google, die kleinere Konkurrenten einfach vom Markt drängen könnten.
Das Anliegen der EU-Kommission klingt erst einmal erstrebenswert und sinnvoll. Mit Ausnahme der konkreten Maßnahme im Gesundheitswesen ist die Strategie jedoch noch sehr vage. Um aber als Anstoß für ein Nachdenken zu dienen, wie man die derzeitigen Probleme am besten anpackt, fehlt das reflexive Moment. Wie konnte Europa verglichen mit den USA und auch China überhaupt in diese unvorteilhafte Situation kommen?
Die Antwort ist sicher vielfältig und kann in diesem Rahmen höchstens angerissen werden. Offensichtlich gibt es in den USA eine völlig andere Unternehmenskultur. Ob der Mythos vom Garagen-Start-Up zum Weltunternehmen nun stimmt oder nicht, alle Tech-Giganten fingen noch vor wenigen Jahrzehnten klein an. Europa hat in der Zwischenzeit keinen einzigen ernsten Konkurrenten hervorgebracht. Dabei zeigt das Beispiel Amazon, dass nicht immer nur technologischer Vorsprung für den Erfolg entscheidend ist. Schließlich begann das heute wertvollste Unternehmen der Welt einfach als Online-Buchhändler.
Bei Amazon lag das Geheimnis darin, eine einfache Idee gut umzusetzen. Es ist bezeichnend, dass dies in ganz Europa kein Unternehmen so gut geschafft hat wie die amerikanische Konkurrenz. Das liegt sicher nicht nur an Einfallslosigkeit oder Risikoscheue der europäischen Unternehmer. Die Rahmenbedingungen gestalten sich völlig anders. Die heutigen Tech-Riesen entstanden „bottom-up“. Sie lieferten ihren Usern und Kunden schon als Kleinunternehmen einen Mehrwert, den es woanders nicht gab. Ein Grundprinzip der Dienstleistungswirtschaft, das die EU-Kommission völlig übersieht.
In der EU ist das Prinzip „top-down“. Das ist beispielsweise am stiefmütterlichen Plan der EU-Kommission zu sehen, der Privatwirtschaft durch staatliche Stellen „Vorbildmodelle“ zu liefern. Es wirkt naiv zu glauben, es könne einfach eine Struktur aus dem Boden gestampft werden, die woanders über Jahrzehnte gewachsen ist. Facebook, Google und Amazon mögen in vielen Punkten kritisierbar sein, aber sie lieferten uns Kunden und Usern einen konkreten Nutzen.
In dieselbe Kerbe schlug auch die Kritik vom SAP-Chef, Christian Klein. Diese galt zwar dem Cloud-Projekt Gaia-X der Bundesregierung, aber hier wird ein ähnlicher Fehler gemacht. So wunderte sich Klein, wie man „mit so einer Cloud Geld verdienen“ möchte. SAP konnte seine Erlöse aus dem Cloudgeschäft im vergangenen Geschäftsjahr um 39 % steigern und hat daher Gewicht in der Debatte.
Bei beiden Projekten gibt es guten Grund, skeptisch zu sein. Es wäre nicht das erste Mal, dass die EU-Kommission mit einem solchen Projekt scheitert. 2007 kosteten europäische Suchmaschinen den europäischen Steuerzahlern mehrere hundert Millionen Euro. Es handelte sich um Quaero und Theseus. Theseus wurde von der EU-Kommission als der Versuch beschrieben, „die fortschrittlichste Suchmaschine der Welt zu entwickeln“. Quaero wurde offen als „Google-Konkurrenz“ angepriesen. Heute sind beide Projekte höchstens Fachkreisen bekannt.
Das Anliegen „technologische Souveränität“ zu schaffen, ist lobenswert. Aber ohne den Aspekt, wie es für europäische Bürger einen konkreten Nutzen schaffen könnte, gibt es guten Grund zur Skepsis. Am 19. Februar geht es also darum, die Strategie der EU-Kommission noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Interessant könnten konkrete Umsetzungsvorschläge, eventuell Kostenfragen und möglicherweise die Einbindung von Gaia-X sein.