Bereits beim Rant gegen die Aussagen des Chefs des Lehrerverbandes tauchten Hinweise auf Manfred Spitzer auf, schließlich gehört der Neurowissenschaftler und Hirnforscher zu den bekanntesten Kritikern der Digitalisierung – manch einer würde ihn auch einfach einen Technikfeind nennen. Sein Buch „Digitale Demenz“ hat sich gut verkauft und als Professor mit zwei Doktortiteln kann man natürlich davon ausgehen, dass der Mann recht genau weiß, wovon er spricht.
Die Welt ist nicht schwarz/weiß
Doch selbst solche Voraussetzungen schützen nicht vor Schwarz-Weiß-Malerei, was er mit seinen extremen Aussagen regelmäßig beweist. Natürlich hat er damit Recht, dass Computer im Unterricht nicht automatisch zu einem besseren Lernen führen und niemand wird ihm widersprechen, dass es gerade auch für Kinder wichtig ist, dass sie von guten Lehrern unterrichtet werden und eben durch Einsatz aller Sinne lernen. Man spricht ja nicht umsonst vom „Begreifen“.
Aber niemand fordert, dass zugunsten einer Digitalisierung an Schulen jetzt sofort alle anderen Lehrmethoden eingestampft werden sollen. Die Forderung, dass Kinder in den Schulen auch das 10-Finger-System lernen sollen bedeuten ja nicht, dass sie nicht mehr vorher lernen sollen, mit einem Stift zu schreiben. Schwere Schulbücher durch einen eBook-Reader zu ersetzen bedeutet nicht, dass man sich im Unterricht nicht mehr mit den Inhalten befassen würde.
Doch irgendwie verlaufen die Diskussionen bei diesem Thema immer sehr binär: Entweder ist man dafür oder strikt dagegen, aber kaum jemand macht sich mal die Mühe, ganz pragmatisch die Realität anzuschauen und zu überlegen, wie Schule und Bildung auf diese Realität reagieren sollen und müssen.
Mal ganz pragmatisch
Was ist denn die Aufgabe der Schule? Je nach Grad des persönlichen Zynismus ist die Aufgabe irgendwas zwischen „die Kinder auf ein selbstbestimmtes Leben in unserer Gesellschaft vorbereiten“ und „aus Kindern produktive Arbeiter und angepasste Konsumenten formen“. Lassen wir den Zynismus weg und halten uns am Idealbild fest: Kinder sollen in der Schule die nötigen Grundlagen lernen, um später in unserer Gesellschaft selbstbestimmt leben, sich entfalten und im Idealfall auch ihren Lebensunterhalt verdienen können. Und gerade was den letzten Punkt betrifft, kommen wir um eine gewisse Digitalisierung in den Schulen nicht rum.
Wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass die Kinder schon in ihrer Freizeit lernen würden, wie man mit Rechnern, Smartphones und dem Internet umgeht, weil sie die Dinge ja privat nutzen. Es käme ja auch keiner auf die Idee zu behaupten, dass ein Kind nur genügend Bücher lesen müsste, damit es später ein Schriftsteller wird. Und natürlich sind wir uns einig, dass in Zukunft nicht alle Kinder Programmierer werden müssen Aber in der heutigen Berufswelt – ganz abgesehen in der zukünftigen – ist es aber unvermeidlich, dass man bestimmte Grundlagen dieses ganzen IT-Krams beherrscht. Auch Medienkompetenz wird immer wichtiger, wie man tagtäglich bei Facebook und in anderen Netzwerken sieht, wenn mal wieder offensichtliche Fake-Meldungen als Wahrheit rumgereicht werden.
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Darauf müssen Schulen vorbereiten, das zu bestreiten ist ignorant und gefährlich. Natürlich müssen Schulen nicht nur darauf vorbereiten. Wie bereits erwähnt: das ist keine Frage, die sich binär mit einem Bit beantworten lässt. Leider aber sieht Martin Spitzer die ganze Sache absolut binär:
Menschen downloaden nicht, sondern sie beschäftigen sich mit etwas. Und je tiefer, je intensiver sie sich mit etwas beschäftigen, desto mehr bleibt hängen. Ein Computer hat einen Chip, der verarbeitet Informationen. Unser Gehirn hat einfach nur Nervenzellen. Und die verarbeiten Informationen. Und dadurch, dass sie das tun, ändern sich die Verbindungen zwischen ihnen. Und das ist der Speicher. Wenn ich Informationsverarbeitung nicht im Gehirn, sondern im Computer betreibe, hat das Gehirn nichts gelernt. Martin Spitzer
Wenn man sich in Erinnerung ruft, dass man es hier mit einem intelligenten Menschen zu tun hat, der sich auf seinem Fachgebiet ganz sicher auskennt, dann ist es einfach nur erschreckend, wie er hier argumentiert: Computer würden Menschen das Denken abnehmen. Das ist eine Meinung, die leider viele ältere Menschen vertreten, die mit der Technologieentwicklung der letzten Jahrzehnte nicht so ganz mitgekommen sind. Das scheint eine tiefsitzende Angst vor zu intelligenten Maschinen zu sein, die irgendwann intelligenter sind als Menschen.
Selbstverständlich kann es man affig finden, Siri zu fragen, ob man heute einen Schirm mitnehmen sollte und natürlich nimmt einem hier das Smartphone ein bisschen Denkarbeit ab, aber ob die Informationsverarbeitung eines aktuellen Wetterberichts so anspruchsvoll ist, dass deswegen gleich unser Hirn verkümmert, wenn wir diese nicht mehr selbst durchführen, wage ich zu bezweifeln. Das mag vielleicht für Meteorologen stimmen, aber wer sonst macht schon seinen Wetterbericht selbst? Und womöglich erlaubt uns die Befreiung von manchen Dingen auch, unsere Hirne für ganz andere, anspruchsvollere Aufgaben zu nutzen?
Beide Extreme sind falsch
Weder ist es richtig nun hinzugehen und Lehrer durch VR-Apps zu ersetzen, nur noch das Schreiben mit einer Tastatur zu lehren und Literatur als visuell angereicherte Multimedia-Hörbücher in der Schule zu verwenden, noch ist es der richtige Weg, Computer komplett aus der Bildung raus zu nehmen und am besten wieder nur noch Tafel und Kreide als Unterrichtswerkzeuge zu verwenden.
Tatsache ist: Computer gehören in die Schulen, sie müssen da hin. Aber nicht einfach so hinstellen und dann mal schauen, was passiert, sondern begleitet von Experten, eingebettet in die Lehrpläne und nur dort genutzt, wo es sinnvoll ist. Das Ziel muss sein, die Kinder in den Schulen fit für die Welt da draußen zu machen und in dieser Welt haben wir nun mal immer mehr Computer in den verschiedensten Formen.
Beitragsfoto: Udo Grimberg, Lizenz: Creative Commons by-sa-3.0 de, CC BY-SA 3.0 de, Link