Manchmal lohnt es sich, dass man mal für einen Moment seine eigene Sicht auf die Dinge zur Seite schiebt und einen Sachverhalt aus einer komplett anderen Perspektive betrachtet. Das gilt eigentlich grundsätzlich für alles im Leben, ganz besonders aber für die Unterschiede zwischen den Geschlechtern.
Vor einigen Tagen sprach ich mit einer lieben Freundin über das Thema. Ich suhlte mich im Selbstmitleid, weil das Kennenlernen neuer Menschen für mich als nicht mehr ganz taufrischer Dude mit wenig Haaren und um so mehr Bauch doch deutlich schwieriger sei als für eine hübsche, junge Frau wie sie. Eigentlich bin ich pfiffig genug um zu wissen, dass diese einseitige Betrachtungsweise kompletter Quatsch ist.
Zu den vielen Gründen, wieso das ganze Dating-Game auch für Mädels alles andere als ein Zuckerschlecken ist, gehört zweifellos die Art und Weise, wie immer noch viel zu viele Männer mit Frauen umgehen. Auch in #metoo-Zeiten mangelt es den Kerls leider immer noch zu oft an Respekt vor dem weiblichen Geschlecht. Das äußert sich dann gerne mal im Ton, den man anschlägt, noch mehr aber in der Selbstverständlichkeit, mit der in vielen Fällen Körperkontakt hergestellt wird.
Dazu zählt natürlich der vermeintlich unauffällige Griff an den Po einer vorbeigehenden Frau, ebenso aber der Arm, den man im Gespräch um eine Frau legt. Letzteres mag Männern in so einer Situation vielleicht nicht immer als übergriffig erscheinen, aber entscheidend ist halt nicht, wie “wir” es empfinden, sondern wie es bei den Frauen ankommt.
Eine Werbekampagne von Schweppes legt jetzt den Finger genau in diese Wunde. Die Marketingagentur Ogilvy, bzw. deren brasilianische Dependance hat sich nämlich für die Getränkemarke eine Kampagne überlegt, in der es explizit um die Übergriffe von Männern gegenüber Frauen in Clubs geht. Die Message dahinter: Ja, wir sollen u.a. mit Schweppes-Getränken Spaß im Nachtleben haben — aber eben bitte mit Respekt.
Dress for Respect
Um das Verhalten der Männer exakt analysieren zu können, wurde ein Kleid produziert, welches mit mehreren Sensoren ausgestattet wurde, die auf Berührung und Druck reagieren. Genauer gesagt wurden drei dieser Kleider hergestellt, die von drei Frauen in einem brasilianischen Club getragen wurden.
Die Informationen der erfassten Berührungen wurden via WLAN an ein visuelles System weitergeleitet, so dass das verantwortliche Team die Belästigung in Echtzeit verfolgen konnte. Im Clip zur Kampagne sehen wir nun beides gleichzeitig im Bild: Die jeweilige Frau, wie sie von Männern angesprochen/angefasst wird inklusive ihrer Aufforderung, das bitte zu unterlassen und in einer Heat-Map sehen wir die Stelle, die gerade berührt wurde.
Wie ihr euch denken könnt, kam es zu etlichen dieser Berührungen. Das Fazit nach knapp vier Stunden Aufenthalt auf dieser Party:
- 1 Kleid
- 3 Frauen
- 157 Berührungen
- in 3:57 Stunden
Das entspricht 40 Berührungen pro Stunde und ja, das ist keine Zahl, die ich auch nur annähernd so erwartet hätte. Im Video seht ihr auch sehr gut, dass es sich hier keinesfalls um zufällige Berührungen handelt, denn klar: Im Gedrängel eines Clubs kommt man gar nicht umhin, manchmal eben auch versehentlich Menschen zu berühren. In diesem Fall sehen wir aber anhand der Heat-Map die bewussten Berührungen, wobei Arme, Schultern,Rücken und der Hintern besonders betroffen waren.
Das Video fängt an mit den Frauen, die ihr Leid klagen, zeigt aber eben auch Männer, die solche Vorwürfe leichtfertig abtun und der Meinung sind, dass Frauen schamlos übertreiben. Smarte Bekleidung fristet ja noch ein Nischen-Dasein, das spielt in diesem Fall aber keine Rolle. Denn allein diese Vorführung mit diesen Prototypen von Kleidern reicht aus, um jedermann (Betonung auf “mann”) klar zu verdeutlichen, was Frauen wieder und wieder zu ertragen haben.
Eigentlich könnte es so einfach sein, wenn man sich auf den gesunden Menschenverstand beruft. Fass keine fremden Frauen unsittlich an bzw. besser noch: Fass sie überhaupt nicht an, solange sie Dir nicht klar signalisiert, dass sie etwas anderes wünscht. Sei auch rhetorisch nicht übergriffig und ja: Sei auch nicht so blöd (wie ich, siehe oben) zu glauben, dass es Frauen aufgrund ihres Aussehens stets leichter haben als wir Typen. All das gilt auch online: Belästige Frauen im Chat nicht verbal und schick natürlich ungefragt Fotos Deines mehr oder weniger verschrumpelten Gemächts. Kurz zusammengefasst könnte man auch einfach sagen: Sei kein Arsch! Aber ich glaube, dass der bloße Appell nicht so gut fruchtet wie die Bilder, die wir in der Schweppes-Kampagne sehen können.
Und liebe Männer: Wenn ihr der Meinung seid, dass euch Unrecht getan wird, können wir das gerne in den Comments diskutieren, aber tut mir einen Gefallen — verweist bitte nicht darauf, dass es sich im Video um einen Club in Brasilien handelt. Es ist egal, ob wir uns nachts in Rio, in Berlin, Dortmund oder Wien befinden: Männer benehmen sich überall wie Arschlöcher — nicht alle natürlich, aber leider immer noch deutlich zu viele. Nehmen wir die Kampagne also als das, wofür sie gedacht ist — als ein Eye-Opener, der uns dabei hilft, uns selbst zu hinterfragen und für die Probleme zu sensibilisieren, vor denen Frauen weltweit immer und immer wieder stehen.
Quelle: Quartzy und IFLScience