Es geht um den Entwurf eines „Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises“ (PDF) , mit dem die Verbreitung und Nutzung der eID-Funktion in Ausweisen aber nicht direkt gefördert, sondern wohl eher erzwungen würde. Kann man sich bislang noch entscheiden, ob man die eID-Funktion in seinem Personalausweis aktivieren lassen möchte, würde diese Wahlmöglichkeit in Zukunft weg fallen und die Funktion immer aktiviert werden. Denn bislang konnten wir Deutsche uns für diese Funktion nicht wirklich begeistern: Mehr als zwei Drittel der über 50 Millionen Menschen, die seit 2010 einen neuen Ausweis oder Aufenthaltstitel beantragt haben, entschieden sich gegen die Aktivierung der eID. Und damit trifft natürlich zu, was als simple Begründung für das Gesetz genannt wird:
Die Nutzung der eID-Funktion ist jedoch bislang nicht der Normalfall.
Warum will keiner eID nutzen? Egal!
Nun könnte man natürlich darüber nachdenken, warum die Menschen diese Technik ablehnen, ihr möglicherweise nicht vertrauen oder sie für unnütz halten – oder aber man zwingt uns die Technik einfach auf. Denn schließlich sollten sinnvolle neue Techniken doch nicht an Angst und Technikfeindlichkeit der Menschen scheitern, möglicherweise muss man die Menschen einfach zu ihrem Glück zwingen?
Schließlich gibt es doch so viele Anwendungsmöglichkeiten für diese elektronische Variante des Identitätsnachweises. Wobei es dann doch nicht ganz so viele Anwendungen wirklich gibt, in der Theorie könnten es viel mehr sein. Gerade mal 220 Inhaber von Berechtigungszertifikaten gibt es, also Unternehmen und Behörden, die damit in der Lage wären, den eID-Dienst in ihre Anwendungen zu integrieren und selbst diese vergleichsweise überschaubare Zahl an potentiellen Anbietern solcher Dienste, haben diese nicht alle in ihre Anwendungen integriert.
Das Henne-Ei-Problem: Abgesehen von anderen Gründen, fehlt es an Anwendungen, die Menschen motivieren könnten, die eID im Ausweis aktivieren zu lassen – was bringt so eine Funktion schließlich ohne passende Anwendungen? Und auf der anderen Seite ist es für Unternehmen wenig attraktiv, Geld in die Entwicklung von Anwendungen zu investieren, die kaum jemand nutzen kann. Die naheliegende Lösung: Die eID-Funktion wird verpflichtend gemacht, damit steigt schlagartig zumindest die Zahl der theoretischen Nutzer für solche Anwendungen.
Und da waren noch die Sicherheitsprobleme…
Aber nicht nur fehlende Anwendungen oder grundsätzliche Technikfeindlichkeit sind mögliche Gründe, die Funktion nicht aktivieren zu lassen. Bereits zur Einführung des elektronischen Personalausweises hat der Chaos Computer Club auf mögliche Probleme mit der Sicherheit aufmerksam gemacht, zumindest wenn man nicht eines der teureren Lesegeräte nutzt. Diese möglichen Probleme mögen für manche ebenfalls ein KO-Kriterium sein.
Das sieht natürlich nicht so gut aus: Für viel Geld 2010 eingeführt, umfangreich (und nicht billig) beworben – und trotzdem will die Mehrheit Menschen das System auch 2017 einfach nicht nutzen. Statt nun also genau zu schauen, woran das liegt und nach Möglichkeiten zu suchen, die Menschen davon zu überzeugen, dass es gute Gründe für den elektronischen Ausweis gibt, geht man den schnellsten Weg und führt ihn einfach zwangsweise ein. Das kostet wenigstens nichts mehr. Eine andere Alternative wäre noch gewesen, einfach zuzugeben, dass das Projekt an der fehlenden Akzeptanz der Menschen gescheitert ist. Aber das wiederum will man natürlich auch nicht.
Es ist anzunehmen, dass sich Anleitungen, wie man den Chip im Ausweis deaktiviert, in Zukunft größerer Beliebtheit erfreuen werden.
„Wo wir doch gerade ein Gesetz machen, die Geheimdienste hätten auch noch einen Wunsch“
Aber das war noch nicht alles, was das Gesetz bringen soll. Ganz nebenbei sollen Geheimdienste nach diesem Gesetz ab 2021 automatisiert, ohne Protokollierung, also praktisch unkontrolliert auf die Daten von Meldeämtern zugreifen dürfen. Zu diesen Daten gehören dann auch die biometrischen Passbilder.
Das bringt mal richtig feine Möglichkeiten, zumindest mal aus der Perspektive von Geheimdiensten gesehen. Diese biometrischen Passbilder sind eine ideale Grundlage für automatisierte Gesichtserkennungssysteme, im Extremfall könnten die Geheimdienste also auf der einen Seite einfach mal alle Daten bei den Meldeämtern abgreifen und diese dann auf der anderen Seite nutzen, um Bild- und Videomaterial auszuwerten und darauf erfasste Personen zu identifizieren. Klar, das Gesetz schließt den Aufbau einer zentralen, bundesweiten biometrischen Datenbank natürlich aus – aber man darf in Anbetracht der bisherigen Erfahrungen mit unseren Geheimdiensten berechtigte Zweifel daran anmelden, dass diese sich an das Gesetz halten. Da keine Kontrolle des Datenzugriffs vorgesehen ist, würde so eine Datenbank wohl nur durch Zufall oder eine undichte Stelle im Apparat auffliegen. Oder anders formuliert:
Was die Geheimdienste mit ihren neuen automatisierten Möglichkeiten vorhaben, weiß man nicht. Das könnte in ein paar Jahren aber dann wieder ein Untersuchungsausschuss klären. Ingo, Netzpolitik.org
Zum Schluß mag man sich noch zwei Fragen stellen:
- Hält Thomas de Maizière uns, also die Bürger dieses Landes, für Vollidioten, die nicht selbst entscheiden können sollen, ob sie einen elektronischen Personalausweis wollen oder nicht?
- Glaubt Thomas de Maizière tatsächlich, dass es eine gute Idee ist, den Geheimdiensten unkontrollierten Zugriff auf irgendwelche Daten zu geben – nach dem ganzen Mist, den die in der Vergangenheit gebaut haben?
Die Antworten, die man als Bürger dieses Landes auf diese Fragen erhalten möchte, passen nicht zu solchen Gesetzentwürfen. Die Antworten, die auf solche Gesetzentwürfe passen, dürften keinem Bürger dieses Landes wirklich gefallen. Und die Antworten, die man sich im schlimmsten Fall ausmalen kann, klingen leider nicht unrealistisch.
via Netzpolitik.org