Mit das erste, was ich heute in den sozialen Medien wahrgenommen habe, war ein Nirvana-Song, der nicht wirklich von Nirvana stammt. Vielmehr ist es ein Stück, welches einem wirklichen Lied dieser Grunge-Legende möglichst ähnlich klingen soll. Der Clou dabei: Eine Software wurde genutzt, um die Lyrics zu generieren. Diese Software namens lyrics.rip wurde dazu im Vorfeld mit den tatsächlichen Songtexten Nirvanas gefüttert und wirft dann im Handumdrehen einen komplett neuen Text raus, der dann einem von Nirvana möglichst nahe kommen soll.
Der Bot bedient sich dazu eines stochastischen Prozesses, der sogenannten Markow-Kette (benannt nach dem russischen Mathematiker Andrei Andrejewitsch Markow). Dabei geht es darum, Wahrscheinlichkeiten für künftig eintretende Ereignisse zu errechnen. In unserem Fall also muss der Bot aufgrund der Information “Nirvana” und den existierenden Songs etwas zusammenklöppeln, was bestenfalls auch wie ein Nirvana-Song wirkt. Hört mal rein:
Und? klingt in der Tat nach Nirvana, oder? Bröselt man das ganze aber jetzt mal auf, bleibt leider nicht wirklich viel Neues übrig. Erstellt wurde der Song von Musiker und YouTuber Funk Turkey. Ihr hört ihn also hier singen, er hat sämtliche Instrumente eingespielt und auch für die Melodie ist er verantwortlich.
Dabei bedient er sich clever der Elemente, die eben den Nirvana-Sound ausmachen. Ich liebe diese Band wirklich, aber ihr werdet mir hoffentlich zustimmen, dass es ab Nevermind zum größten Teil einfach sehr gute Gitarren-Pop-Songs waren, die mit sehr viel Produktionsaufwand auf dreckige, kleine Garagenband getrimmt wurden. Hoffe, das kommt nicht zu despektierlich rüber, denn in der Tat waren es ja zeitlose und wirklich stark geschriebene Songs. funk Turkey bedient sich also der Stilmittel und bastelt in der Tat einen Song, der zwar teils etwas (sehr) aus alten Songs abgekupfert klingt, aber eben in der Tat wie eine neue Nirvana-Nummer wirkt.
Den Text steuert der Bot bei, aber das hat hier so gar nicht auch nur annähernd den üblichen Zauber von künstlicher Intelligenz. KI und Bots können ja echt schon eine Menge, wenn ich da an den Song denke, der vor Jahren schon von einer KI geschrieben wurde und dem Sound der Beatles nachempfunden ist. In diesem Fall lieferte die KI übrigens den Song, während der Text und das Arrangement von einem Musiker aus Fleisch und Blut stammte:
Unser Bot aus dem aktuellen Nirvana-Beispiel errechnet nicht in atemberaubender Art und Weise einen völlig neuen Song, sondern schiebt ohne Sinn und Verstand irgendwie alte Text-Fetzen anderer Nirvana-Songs zusammen. Ihr könnt das selbst mal ausprobieren, ich habe das mit — natürlich — Depeche Mode auch mal gemacht:
Ihr seht, das ist haarsträubend! Bei Nirvana funktioniert es sogar noch einigermaßen, weil Kurt Cobain ja selbst gerne mal etwas kryptischer unterwegs war in seinen Lyrics. Fans wird auffallen, dass lyrics.rip aber echt wahllos bei seinen Quellen zulangt, da sich auch Textstellen aus Cover-Versionen im Song wiederfinden, nämlich Zitate aus David Bowies großartigem “The Man Who Sold The World”.
Unterm Strich haben wir hier lediglich einen begabten Musiker, der die Lyrics auf der Bot-Seite einsammelt und sich dann an die Arbeit macht, einen Nirvana-typischen Song zu schreiben, den er dann auch ansprechend im Video präsentiert, in welchem alte Nirvana-Clips verwurstet werden. Der Kollege hat das übrigens auch schon mit Songs von AC/DC, Metallica und den Red Hot Chili Peppers fabriziert. Respekt also an den Dude, der musikalisch echt was auf dem Kasten hat.
Das beweist für mich, dass Software zwar vieles kann, inklusive dem sinnlosen Zusammenwürfeln von Text-Fragmenten, aber fürs Komponieren von Musik, fürs Erzeugen von Stimmungen in Songs und für eine authentische Präsentation werden wir vermutlich auch in zehn Jahren noch echte Künstler benötigen. Ist das nicht auch irgendwie eine gute Nachricht? Ich denke schon :)
via Caschy auf Twitter und golem.de