Mal angenommen, ihr wollt euren Kumpel auf dem Smartphone anrufen und noch vor dem Freizeichen ertönt die Stimme von Angela Merkel, die uns eine Sprach-Nachricht hinterlässt. Genau – das wäre ein schöner Schock! Unabhängig davon, wie gern oder ungern jetzt der Einzelne unserer Kanzlerin lauscht, wäre ja wohl die Überraschung groß, sollte ihre Sprachbotschaft ungefragt den Weg in unser Smartphone finden.
So absurd die Vorstellung jetzt aber auch ist: Den Türken ist ebendies gerade widerfahren, denn dort hat sich ihr Staatschef Erdogan kurzerhand in jedes Telefongespräch mit einer Botschaft ans Volk eingeklinkt. In der Türkei wurde exakt gestern vor einem Jahr der Putsch gegen Erdogan zurückgeschlagen und wie zu erwarten war, hat die Regierung diesen Jahrestag groß inszeniert mit Kundgebungen vor zigtausend Menschen, mehreren Reden Erdogans – und eben auch mit besagter Sprachbotschaft. Darin heißt es:
Als Ihr Präsident gratuliere ich Ihnen am 15. Juli zum Tag der Demokratie und der Nationalen Einheit. Möge Gott Erbarmen mit unseren Märtyrern haben. Ich wünsche unseren Veteranen Gesundheit und Wohlbefinden Recep Tayyip Erdoğan
Omer Fatih Sayan, seines Zeichens Chef der türkischen Telekommunikationsbehörde BTK, meldete sich auf Twitter zu Wort und bestätigte diese Aktion, bei der vor jedem Telefongespräch Erdogans Botschaft eingespielt wurde:
Tüm halkımız aramalarda Cumhurbaşkanımız Recep Tayyip Erdoğan'ın 15 Temmuz Demokrasi ve Milli Birlik günü mesajını dinliyor.#15Temmuz pic.twitter.com/UnizQTN6wq
— Dr. ÖMER FATİH SAYAN (@ofatihsayan) July 15, 2017
Festnetz-Telefone wurden augenscheinlich verschont, die Nachricht hörte nur, wer über die Netze von Turkcell und Vodafone telefonieren wollte, die beiden größten Anbieter in der Türkei. Die Reaktionen fielen – je nach Sympathie für Erdogan und seine Politik – selbstverständlich sehr unterschiedlich aus. Seine Anhänger begrüßten natürlich die warmen Worte ihres Idols. Gleichzeitig waren aber auch viele andere Türken richtiggehend entsetzt davon, dass ausgerechnet Erdogans Stimme aus ihrem Smartphone klingt.
Oppositionelle Politiker sprachen sogar von einem „Alptraum“ und werten dieses Vorgehen als Eingriff in die Privatsphäre eines jeden Bürgers. Genau das ist auch der Punkt, der mir am meisten Kopfzerbrechen bereitet: Bereits vor einem Jahr – der Putsch war gerade abgewendet worden – meldete er sich bereits via SMS auf allen Handys der Bevölkerung und forderte darin auf, den „heroischen Widerstand“ fortzusetzen. Jetzt legt er nochmal eine Schippe drauf und erreicht sein Volk mittels Sprachbotschaft.
Kein Mensch weiß, welche Ideen die Regierung künftig noch ausbrüten wird, um auf den Mobiltelefonen der türkischen Bevölkerung aufzutauchen, aber feststehen dürfte, dass diese Möglichkeit explizit nur Erdogan zur Verfügung steht und nicht etwa einer Oppositionspartei. Sei es drum: Erdogan hat den Jahrestag dazu genutzt, sich erneut als blitzsauberer Demokratie-Freund darzustellen und bei allem berechtigten Ärger, was unsere eigene Regierung angeht, bin ich doch heilfroh, dass hierzulande nicht mit solchen Mitteln gearbeitet wird.
Was sagen denn die hier mitlesenden und in Deutschland lebenden Türken zu dieser Vorgehensweise? Seid ihr ähnlich erstaunt und empört, oder empfindet ihr seine Worte vielleicht sogar als nette Geste des Staatschefs?
Wer heute zum 1. Jahrestags des Putschversuchs per Handy telefoniert,muss sich zuerst eine Rede von #Erdoğan anhören pic.twitter.com/OLoGLlithb
— Ismail Küpeli (@ismail_kupeli) July 15, 2017
Quelle: Spiegel und futurezone.at