Wir könnten es eigentlich schnell abhandeln: watchOS ist ein bisschen schneller, Mac OS X heißt jetzt macOS und bekommt Siri, tvOS bringt Single-Sign-On, iOS ist mal wieder awesome und greatest, Apple Pay kommt auf den Desktop, aber nicht nach Deutschland und sehr viele der neuen Funktionen kennen wir doch schon von anderen Plattformen. Ach ja, HomeKit bekommt eine App, aber immer noch kein Gadget, das dauerhaft zuhörend im Wohnzimmer steht. Klar, Apple ist der große Verlierer… oder auch nicht.
Stimmt schon, Apple hat keine revolutionären neuen Geräte oder Features vorgestellt, VR ist immer noch nicht in Cupertino angekommen und ich erwähnte schon, dass es keine Konkurrenz zu Alexa von Apple gibt. Und gerade bei der Vorstellung der neuen Foto-App für iOS kam ständig dieser Gedanke, dass man das doch schon bei Google gesehen hat. Und trotzdem wird diesem Me-Too-Feature so viel Zeit eingeräumt? Warum? Weil genau hier Apple sehr deutlich demonstriert, wie sie sich gegen Google positionieren wollen: Nicht über noch mehr Features, irgendwelches VR, sondern mit dem Thema Datenschutz.
Klar, Google Photos stellt mir meine Bilder auch in Alben zusammen, baut hübsche Filme, erkennt den Inhalt der Fotos – die ganzen Funktionen der neuen Fotos App in iOS kennen wir schon. Bei Apple sieht es ein bisschen stylischer aus, aber der entscheidende Unterschied ist ein anderer: Während es sich Google hier recht einfach macht und einfach die Bilder auf seine Rechner zieht und sie dort analysiert, macht Apple mit iOS das direkt auf den Geräten der Nutzer.
Fotoerkennung ohne die fast beliebig erweiterbare Rechenkapazität mehrerer Rechenzentren im Rücken, sondern einfach nur auf dem kleinen iPhone, welches wir in der Tasche haben. Einen dickeren Stinkefinger kann man sich kaum vorstellen.
Fotoerkennung ohne die fast beliebig erweiterbare Rechenkapazität mehrerer Rechenzentren im Rücken, sondern einfach nur auf dem kleinen iPhone, welches wir in der Tasche haben. Einen dickeren Stinkefinger kann man sich kaum vorstellen. Während alle Welt los rennt und uns die tollen Funktionen anpreist, die möglich werden, wenn wir nur unsere Daten möglichst alle auf deren Servern speichern, erinnert uns Apple einfach mal daran, wie viel Power wir eigentlich mit uns rumtragen.

Nicht nur bei den Fotos, auch bei iMessage denkt man sich: Hey, klar, sinnvolle Antwortvorschläge, das hat Google doch auch vorgestellt. Ja, hat Google. Aber während man bei Google für diesen Komfort auf die sicherer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung verzichten muss, damit auf Googles Servern die notwenigen Berechnungen laufen können, macht Apple hier keine Kompromisse. Schließlich tragen wir mehr als genug Rechenpower mit uns herum.

Apple glaube daran, dass Technologie uns helfen solle, die Welt besser zu machen, unsere Leben und bei dieser WWDC hat Apple gezeigt, wie sie sich das vorstellen. Ein großer Teil davon ist der Schutz unserer Daten. Natürlich sammelt Apple auch anonymisierte Daten, natürlich bietet Apple auch Cloud-Dienste an, aber was lokal machbar ist, das wird auch lokal gemacht und Profile werden nicht erstellt – so das Versprechen von Apple. Der angebissene Apfel soll für nichts weniger stehen, als die Systeme mit dem besten Datenschutz.
Incorporating differential privacy broadly into Apple’s technology is visionary, and positions Apple as the clear privacy leader among technology companies today. Prof. Aaron Roth, Privacy Researcher, University of Pennsylvania
Sollen andere doch die heißesten neuen Features bringen – Apple bringt diese Features dann, wenn sie soweit sind und den eigenen Ansprüchen genügen. So lange es nicht wieder einen Reinfall gibt wie bei der Einführung von Apple Maps, kann diese Strategie aufgehen. Damit mag Apple vielleicht nicht den größten Anteil am Markt gewinnen, aber so lange die Anteile nicht zu weit sinken und das Unternehmen damit weiter Profit macht, muss es niemanden stören.
Das Image als Datenschutz-Alternative zu den Datenkraken Google, Microsoft und Amazon wird Apple sicher nicht schaden, auch wenn bei genauerer Betrachtung vom einen oder anderen Datenkrakenvorwurf gegen die Konkurrenz nicht viel übrig bleibt. Wenn das Interesse am Schutz der persönlichen Daten nur halb so groß ist, wie es so manche Kommentarspalten zum Thema Google oder Windows 10 andeuten, dann muss man sich bei Apple keine Sorgen um potentielle Kunden machen.

Natürlich kann man auch auf jeder anderen Plattform die eigenen Daten schützen, man kann auf Dienste verzichten, bei denen man die eigenen Daten auf anderer Leute Rechner speichern und den Eigentümern dieser Rechner auch noch teils sehr weitreichende Rechte an diesen Daten und deren Auswertung einräumen muss, aber Apple verspricht verspricht hier einen dritten Weg neben „Datenschutz aufgegeben“ und „Daten selbst schützen und auf Features verzichten“: vollen Komfort mit Datenschutz direkt ab Werk. Zugegeben ein großes Versprechen, dass erst einmal gehalten werden muss.
Und zum Thema “die Welt besser machen”: Für die meisten von uns mag es nicht von Bedeutung sein und wir haben wahrscheinlich nicht mal darüber nachgedacht, aber die Anpassungen des Aktivitätentrackers von watchOS für Rollstuhlfahrer und deren verschiedenen Arten ihren Rollstuhl zu bewegen ist ein großartiges Beispiel dafür, wie ein Stückchen dieser besseren Welt aussehen kann – Stichwort Inklusion.