In den letzten Tagen häufen sich wieder die Meldungen aus der Türkei, die einen daran zweifeln lassen, dass Erdoğan noch irgendwas daran liegen könnte, mit anderen europäischen Ländern übermäßig gut auszukommen. Die Hagia Sophia wurde wieder von einem Museum in eine Moschee umgewandelt, was nicht nur Erdoğan als einen Sieg des Islam über das Christentum feiert, zudem konnte eine Eskalation zwischen türkischen und griechischen Marineeinheiten im östlichen Mittelmeer nur in letzter Sekunde verhindert werden.
Außerdem muss man sich stets Sorgen um die Meinungsfreiheit machen — zumindest um die Art Meinungsfreiheit, die wir hierzulande genießen. Nicht nur, dass parteifreundliche bzw. parteinahe Zeitungen die Presselandschaft in diesem eigentlich so wundervollen Land bestimmen, auch Social Media bekommt immer wieder die Flügel gestutzt.
Gut möglich, dass es für Plattformen wie Facebook und Twitter schon bald wieder deutlich heißer zugehen wird in der Türkei. Das liegt aber nicht an der Forderung von Mustafa Varank, seines Zeichens türkischer Minister für Technologie und Industrie. Auf dem virtuellen G20-Treffen der Minister für digitale Wirtschaft erklärte er nämlich, dass Hacker-Attacken für eine „ausufernde globale Unordnung“ sorgen würden und das Thema damit auf die Tagesordnung gehöre (Quelle).
Ich möchte eher darauf hinaus, dass die sozialen Medien der türkischen Regierung erneut ein Dorn im Auge sind bzw. die fehlende Kontrolle, die man über das dort geschriebene hat. Deswegen möchte man nun ein sehr strenges Kontrollgesetz auf den Weg bringen. Wie es heißt, wolle man sich — ausgerechnet — am deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz orientieren und bewirken, dass beleidigende Inhalte schnellstmöglich zu verschwinden haben.
Der Blick auf die türkische Idee eines solchen Gesetzes offenbart aber schnell, dass Erdoğan hier anderes im Sinne hat als seine deutschen Kollegen. Teil der Neuregelung wäre es, dass alle Plattformen mit mehr als einer Million Nutzern – damit wären natürlich auch Twitter, Facebook und Instagram betroffen – eine Niederlassung in der Türkei eröffnen müssen, die sich dann logischerweise auch der türkischen Rechtssprechung unterordnen müssten.
Weiter müssten innerhalb von 48 Stunden Beschwerden gegen kritische Beiträge beantwortet werden und die Nutzerdaten der türkischen User müssten von den betroffenen Plattformen komplett in der Türkei gespeichert werden. Man muss nicht hellsehen können um vorherzusehen, dass das der Regierung den Zugriff auf diese Daten signifikant erleichtern würde.
Ebenfalls bedenklich: Türkische Institutionen/Gerichtet können verpflichtend fordern, dass bestimmte Accounts von Nutzern dichtgemacht werden. Damit hätte die türkische Regierung eine mächtige Waffe an der Hand, um jegliche Kritiker in den sozialen Medien verstummen zu lassen. Das dürfte damit zusammenhängen, dass sich türkische Studierende jüngst blitzschnell online zum Erdoğan-Protest verabredeten und im Netz unter dem Hashtag „Unsere Stimmen kriegst du nicht“ eine Rede des Präsidenten sabotierten.
Würden die Unternehmen der Aufforderung nicht nachkommen, eine Niederlassung in der Türkei zu eröffnen, bestünde die Möglichkeit, die Zugriffsgeschwindigkeit der Plattformen so stark zu senken, dass es einer Unbenutzbarkeit nahe käme. Dabei hat die türkische Regierung jetzt schon sowohl öffentliche Medien als auch soziale Medien stark beschnitten. Der Istanbuler Rechtsprofessor Yaman Akdeniz spricht von derzeit mehr als 400.000 Internetseiten, 10.000 Youtube-Videos und 7000 Twitter-Konten, die bereits blockiert wären. Dazu kommen seit dem Putsch weit über hundert TV- und Radiosender, Zeitungen, Nachrichtenagenturen und Magazine, die geschlossen wurden sowie viele inhaftierte Journalisten.
Da die AKP zusammen mit dem rechtsnationalen Partner MHP die Mehrheit in der Volksvertretung genießen, dürfte das geplante Kontrollgesetz wohl auch beschlossen werden. Das würde dann wohl bedeuten, dass die türkische Regierung nicht nur die klassischen Medien kontrolliert, sondern auch die sozialen Medien deutlich besser in den Griff bekommt. Ich vertraue darauf, dass Facebook, Twitter und Co dieses Spiel nicht mitmachen, nichtsdestotrotz wird es künftig für oppositionelle Kräfte in der Türkei wohl bald noch unerfreulicher, als es sowieso schon ist.
via Tagesspiegel