Es geht um Facebooks Projekt Internet.org, wir haben bereits im August 2013 darüber berichtet. Zuckerberg selbst nennt es eine „Initiative“ und eine „Partnerschaft“, Assoziationen mit finanziellen Interessen sollen wohl unbedingt vermieden werden. Man wolle, so die Darstellung auf der eigenen Webite, als gemeinnützige Organisation unter der Führung von Facebook die verbleibenden zwei Drittel der Menschheit nun ebenfalls mit dem Internet verbinden.
Das hört sich sehr philantropisch und lobenswert an – und ist es auch, eigentlich. Tatsächlich besitzt der grösste Teil der Weltbevölkerung bis heute keinen Zugang ins Netz, mit den entsprechenden Folgen. Diese Menschen können nur eingeschränkt (z.B. lokal) kommunizieren, sie haben nur begrenzten Zugang zu dem im Internet gespeicherten Wissen, sie können am Internethandel nicht teilnehmen – weder als Käufer noch als Verkäufer. Die Ursachen für die Ausgrenzung sind vielfältig: angefangen bei unerschwinglichen Geräten über mangelnde Strom- und Netzversorgung, bis hin zu niedrigen Bandbreiten und hohen Sprachbarrieren – das Internet, so wie wir es kennen, ist längst noch nicht auf bzw. für diese Menschen vorbereitet.
Also schickt Facebook Solar-Drohnen in die Luft und testet sie für den Einsatz als Hotspot. Auch die Internet.org App ist bereits im Einsatz, zum Beispiel in Sambia. Das Projekt existiert also nicht nur auf dem Papier.
Die nun wachsende Kritik an Facebooks eigentlich lobenswertem Ziel basiert auf der Umsetzung. Denn allen Beteuerungen zum Trotz, ganz so uneigennützig scheint Zuckerberg nicht zu handeln. De facto läuft die ganze Nummer nämlich – vereinfacht, verkürzt – so ab:
- Facebook schliesst eine Partnerschaft mit einem bestimmten Mobilfunk-Netzbetreiber in einem Land (grundsätzlich stehe diese Partnerschaft jedem offen, sagt Facebook)
- die Kunden dieses Mobilfunknetzbetreibers können kostenlos auf – ratet mal? – Facebook zugreifen
- sie erhalten ebenso kostenlosen Zugriff auf eine begrenzte Auswahl von Internetseiten.
- Diese Internetseiten befinden sich hinter einem Proxy. Die Liste wird von Facebook gepflegt und beinhaltet – selbstverständlich – nur „Partner“ des Social Networks bzw. der „Initiative“
Riecht ihr den Braten? Das Ganze ist, so umgesetzt, ein gigantischer Honigtopf. Die Menschen bekommen keinen Zugang „ins Internet“, sie dürfen sich lediglich im Facebook-Kosmos bewegen. In der Praxis bedeutet das: Facebook – aber kein Google+ oder Twitter. Als Suchmaschine Bing, aber heute oder morgen nicht Google. Gmail – nein, dafür gibt es doch WhatsApp oder den Facebook Messenger. Eine kleine indische oder ghanaische Jobbörse (in die Facebook vielleicht schon investiert hat?) – aber nicht den jeweiligen Marktführer im Land. Nachrichten? Ja, bitte, aber nicht zu kritisch? Amazon nicht, aber eBay …
Zuckerberg leitet mit dieser Taktik schon ganz früh die zukünftigen Kunden in die „richtige Richtung“ und verbirgt die potentiellen Konkurrenten ganz einfach vom Bildschirm, so einfach ist das. Zudem kann Facebook – zumindest theoretisch – den gesamten Datenverkehr „mitlesen. Das wiederum würde Facebook natürlich einen unglaublichen Wettbewerbsvorteil verschaffen: wenn man frühzeitig erkennen kann, welche „Trends“ sich in einem „Emerging Market“ abzeichnen, kann man selbst schnell in diese Wirtschaftsbereiche expandieren. Ob die fehlende Implementierung des SSL-Standards ein frühzeitiger Kotau vor der NSA ist, sei mal dahingestellt.
Die Nummer stößt nun immer mehr Fachleuten übel auf. Gestern veröffentlichten insgesamt 65 Organisationen aus 31 Ländern einen an Zuckerberg gerichteten offenen Brief, der den Empfänger sicherlich erreicht hat – das Dokument erschien nämlich sinnigerweise bei Facebook.
Darin kritisieren die Organisationen, dass internet.org in der jetzigen Form die Netzneutralität verletze, eine Gefahr für die Meinungsfreiheit darstelle, durch den Einsatz des Facebook-Proxys die Privatsphäre gefährde, generell ein Sicherheitsrisiko und mitnichten eine Innovationsmaschine, sondern vielmehr eine Innovationsbremse darstelle. Starker Tobak, aber Punkt für Punkt logisch begründet.
Die Reaktion von Zuckerberg & Co. kann man bestenfalls als Wischiwaschi bezeichnen. Man teile mit den Kritikern die gemeinsame Vision, mehr Menschen den Zugang ins Internet zu ermöglichen – soweit das eben möglich sei. Wenn diese Menschen dann einmal im „Internet“ seien, würden viele von ihnen sicherlich die Vorzüge erkennen und weitere Dienste in Anspruch nehmen. Klingst schon sehr nach einem Konjunkturprogramm, zuckerberg-style, oder? Bewusst ist man sich der Kritik in jedem Fall und führt u.a. eine Liste der Mythen und Fakten.
Wie wichtig diese verbleibenden 66% der Weltbevölkerung bei der strategischen Langzeitplanung der grossen Unternehmen sind, zeigen mehrere Akquisitionen in den zurückliegenden Jahren, nicht nur durch Facebook. So soll z.B. Googles Project Loon eine zentrale Rolle bei der Netzversorgung unerschlossener, weitläufiger Gebiete einnehmen – und damit sind nicht Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern, sondern Tanzania, Kolumbien oder Indien gemeint ;-).
Das wird noch ein ganz harter Kampf in diesen Ländern, nicht nur unter den Hardware-Herstellern. Wir alle haben immer irgendwie China auf dem Schirm, das mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern sicherlich eine Marktmacht darstellt. Doch eigentlich sind Facebook, Google, Amazon, Apple, Samsung und all die anderen grossen Unternehmen in ihren Planungen schon längst einen Schritt weiter – China ist nur die Generalrobe.