Luxemburg probiert sich an der Verkehrswende: Ab März 2020 wird in diesem Rahmen das Fahren mit dem öffentlichen Nahverkehr kostenlos für alle. Nur die 1. Klasse muss weiterhin gezahlt werden.
Luxemburg hat Probleme. Die Art Probleme, die man vielleicht als Luxusprobleme bezeichnen könnte. Die Wirtschaft boomt dort nämlich und auch die Bevölkerungszahlen wachsen stetig weiter. In 20 Jahren wuchs das kleine Land bevölkerungstechnisch um etwa ein Drittel, zudem pendeln jeden Tag auch noch 200.000 Menschen aus den Nachbarländern Frankreich, Belgien und Deutschland nach Luxemburg zum Arbeiten.
Dabei handelt es sich teilweise um Menschen, die auch die jeweilige Staatsangehörigkeit des Landes besitzen, aus dem sie nach Luxemburg sind. Teils sind es aber auch Luxemburger, die aus Wohnungsnot den Weg über die Grenze gefunden haben und nun täglich in ihr eigentliches Heimatland pendeln müssen.
Das bedeutet unterm Strich, dass der Immobilienmarkt in Luxemburg ebenso leer ist, wie die Straßen tagtäglich knüppelvoll sind. Da hilft lediglich eine Verkehrswende und zwar eine, die den Namen verdient und nicht nur ein wenig Kosmetik betreibt, ohne die Ursachen zu berücksichtigen. Schon seit Jahren tüftelt die Regierung daran, was dazu führte, dass der öffentliche Nahverkehr stark subventioniert wird und somit für die Fahrgäste recht günstig ist.
Jetzt geht man aber auf diesem Weg noch die Extrameile bzw. den letzten, konsequenten Schritt und macht — als erstes Land überhaupt — den öffentlichen Nahverkehr komplett kostenlos für jedermann. Einzige Ausnahme: Wer die erste Klasse nutzen möchte, zahlt nach wie vor. Es ist dennoch weit mehr als nur eine symbolische Geste, weil das quasi nur sowas wie das Sahnehäubchen ist auf einem deutlich umfassenderen Verkehrskonzept.
Realistisch geht man auch nicht davon aus, dass diese öffentlichkeitswirksame Entscheidung, die den Staat lediglich 40 Millionen Euro kostet, allein dazu führen wird, dass Autofahrer nun in Scharen auf öffentliche Verkehrsmittel ausweichen. Man setzt also auf ein umfassendes Konzept, welches aus vielen Komponenten besteht. Eine dieser Komponenten ist eine hochmoderne Straßenbahn, die ohne Oberleitung mit Batterie funktioniert und somit perfekt für den engen Stadtkern ist.
Weiter baut man gleichermaßen viele Parkplätze am Stadtrand und baut die entsprechenden Linien aus, damit es für die Pendler attraktiver wird, ihre Karren außerhalb der City zu parken. Die Park-and-Ride-Parkplätze möchte man bis 2025 verdoppeln, das Busnetz wird neu organisiert und das Netz der Radwege soll auf eine Länge von 1.100 Kilometer verdoppelt werden. Ein Teil des Konzepts kennen wir bereits aus anderen Städten: Pendler werden eigene Spuren bekommen, die genutzt werden können, sobald mindestens drei Personen im Auto sitzen. Angesichts von täglich 250.000 unbesetzten Plätzen in Autos eine logische und vernünftige Entscheidung. Aktuell investiert Luxemburg etwas mehr als 500 Millionen Euro in die Mobilität, bis 2021 soll dieser Betrag auf über 800 Millionen anwachsen.
Deswegen muss immer noch der Autofahrer mitspielen und sich auf die neuen öffentlichen Nahverkehrs-Möglichkeiten und auf das verbesserte Angebot einlassen. Ich glaube aber, dass der Ansatz mit seinen vielen verschiedenen Punkten goldrichtig ist. In Deutschland beobachte ich in verschiedenen Städten und Regionen, dass jeweils an einer Stellschraube gedreht wird und ich fürchte, das kann nichts bringen. Eine Verkehrswende kann man nur einläuten, wenn man viele Punkte deutlich verändert und es sieht so aus, als wäre Luxemburg da auf einem tollen Weg.
Und ja: Mir ist klar, dass ein so kleines Land mit gerade einmal 600.000 Einwohnern keine Blaupause sein kann für Deutschland und die hiesigen Metropolen. Dennoch könnte es nicht schaden, wenn sich die deutsche Regierung da mal mit der Führung des Nachbarlandes austauscht und Möglichkeiten abklopft, die auch hierzulande funktionieren könnten.
via Spiegel Online