Update:
Kleines Update zu den Äußerungen von Annegret Kramp-Karrenbauer, die nämlich ganz entschieden dagegen protestiert, dass sie tatsächlich die freie Meinungsäußerung im Netz zu regulieren gedenkt. Auf Twitter schrieb sie eben:
Wenn einflussreiche Journalisten oder #Youtuber zum Nichtwählen oder gar zur Zerstörung demokratischer Parteien der Mitte aufrufen, ist das eine Frage der politischen Kultur. Es sind gerade die Parteien der Mitte, die demokratische Werte jeden Tag verteidigen. #Rezo
— A. Kramp-Karrenbauer (@akk) May 27, 2019
Allein die Tatsache, dass sie sich jetzt an der Vokabel “Zerstörung” abarbeitet, macht mich schon wieder rasend. Zunächst einmal ist “Zerstörung” in einer Sprache, die AKK schon lange nicht mehr versteht, ganz üblicher Sprech und hat mit tatsächlicher Zerstörung nun mal nichts zu tun. Darüber hinaus gab es auch keinen Aufruf, die Partei zu zerstören — Rezo stellte lediglich fest, dass sich die CDU mit der Art und Weise, wie sich derzeit agiert, früher oder später selbst zerstört.
Ebenso wurde auch nicht zum Nichtwählen, sondern explizit zum Wählen aufgerufen — mit der Empfehlung, aus bestimmten Gründen einige Parteien nicht zu wählen. Ich denke, dass das nicht nur aus meinem Blickwinkel betrachtet ein deutlicher Unterschied ist zum Aufruf, nicht zur Wahl zu gehen.
Die Reaktionen auf Twitter sind entsprechend, sehr viele Nutzer sind der Meinung, dass sich AKK immer weiter reinreitet, statt mal für einen Moment vom Gas zu gehen. Sie stößt sich lieber an der negativen Meinungsmache, statt intern nach Verfehlungen zu suchen. Apropos Meinungsmache: Ist es nur die negative Meinungsmache, die auf dem Prüfstand steht, oder auch die positive? Spontan fällt mir da nämlich eine Aktion ein, bei der sich eine große deutsche Partei der Mitte eine Menge Promis geschnappt hat, die ihren Fans freudig erzählten, wieso es so supi ist, die CDU zu wählen.
Ich werde die Nummer gespannt weiter verfolgen — neugierig, aber auch ein wenig verwirrt, wieso die Volkspartei das Projekt “Zerstörung der CDU” jetzt so entschlossen in die Hand nimmt. Hier abschließend noch die originale Aussage von AKK bei der Pressekonferenz:
Wie AKK nach der #Europawahl2019 über "klare Meinungsmache" philosophiert und ein offensives Angehen ankündigt. #RezoVideo #RezoEffekt #Vernunft pic.twitter.com/pxAvigsmUV
— MdB des Grauens (@MdBdesGrauens) May 27, 2019
Original-Artikel:
Ich hab Muskelkater! Gestern ging bekanntlich die Europawahl über die Bühne (und die Landtagswahl in Bremen sowie verschiedene Kommunalwahlen) und neben der SPD hat sich auch die CDU auf EU-Ebene eine ordentliche Schelle abgeholt. Lediglich dem Wahldebakel der SPD ist es geschuldet, dass die CDU nicht als der ganz große Wahlverlierer dasteht.
Wieso ich Muskelkater hab, fragt ihr? Weil ich mir nach 18 Uhr den ganzen Abend Interviews und Talk-Runden zur Wahl angeschaut habe und mir gefühlt eine Million mal ungläubig an den Kopf fassen musste. Es ist schon absoluter Irrsinn, welchen Mist uns die Parteien tatsächlich noch als Erfolg verkaufen wollen. Jetzt wollen sie wieder analysieren, “jeden Stein umdrehen” und fragen sich, woran es gelegen hat.
Schlimm ist dabei, dass man diese Worthülsen oft 1:1 schon nach der Bundestagswahl gehört hat. Schlimm ist auch, dass sich die Parteien stets fragen, wie man die Wähler besser erreicht bzw. wie man es schafft, dass man dem Wähler die eigenen Absichten besser verdeutlicht. Das zeigt mir doch jedes mal wieder aufs Neue, dass es ein Taktik-Geplänkel um Macht ist, bei dem es darum geht, wie man die Menschen dazu bringt, dass die ihr Kreuz bei der eigenen Partei machen. Stattdessen sollte es aber darum gehen, das Land nach vorne zu bringen, selbst wenn das bedeuten würde, dass man etwas Unangenehmes kommunizieren müsste, was schlimmstenfalls auch Stimmen kosten könnte.
Als wäre es nicht gestern schon hart genug gewesen, habe ich mir heute auch sämtliche Pressekonferenzen reingezogen, weiter viele Interviews gesehen und gelesen. Da gab es wieder jede Menge Irrsinn zu hören, der so brutal offenbart, dass es Viele immer noch nicht kapiert haben, was hier gerade Phase ist. Den Gipfel hat dabei ausgerechnet CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer.
Zwar räumte sie sogar eigene Fehler ein, hatte aber kurz nach dem gestrigen Debakel und der Erkenntnis, dass man ganz viele — vor allem junge — Leute nicht mehr erreicht, einen unfassbaren Gedanken: Sie regte im Interview allen Ernstes an, dass man darüber nachdenken müsse, vor Wahlen die Meinungsäußerungen von Menschen im Netz zu regulieren. Die Märkische Allgemeine schreibt:
Kramp-Karrenbauer sagte am Montag nach Gremiensitzungen der CDU, wenn 70 Zeitungsredaktionen vor einer Wahl dazu aufriefen, nicht CDU oder SPD zu wählen, würde dies als „klare Meinungsmache vor Wahl“ eingestuft. Man müsse darüber reden: „Was sind Regeln aus analogen Bereich und welche Regeln gelten auch für den digitalen Bereich.“ In der Debatte müssten auch die Auswirkungen auf die Demokratie eine Rolle spielen.
Da hat sie das zweifelhafte Vergnügen, in ihrer Partei ein ganzes Füllhorn an Baustellen vorzufinden, um die man sich kümmern muss und die sie benennen muss — und was macht sie? Zeigt mit dem Finger auf die bösen Internetnutzer, deren Meinung nicht so richtig zu den Wahlversprechen der Partei passen und regt an, dass sich die private, online kommunizierte Meinung der Bürger mit den Ansprüchen des Journalismus messen müsse.
Damit wäre es in ihrer Vorstellung nicht möglich, dass jemand wie Rezo in einem YouTube-Video dazu aufruft, die CDU nicht zu wählen. Das ist die Art und Weise, wie man sich mit dem Video des YouTubers auseinandersetzt, welches letzte Woche für Furore sorgte und das ist die Lehre, die man aus der ganzen Geschichte zieht.
Alles, was gestern und heute gesagt wurde — also das komplette Bullshit-Bingo inklusive “analysieren”, “wir haben verstanden” und “ein ‘weiter so’ kann es jetzt nicht geben — wird damit als reines Lippenbekenntnis entlarvt, zumindest auf AKK bezogen. Es gibt so vieles, was die CDU besser machen könnte und glücklicherweise gibt es in der Partei ja sogar die Köpfe, die längst gesagt haben, dass man sich nach dem Rezo-Video äußerst unglücklich verhalten habe. Aber dennoch stellt sich ausgerechnet die Partei-Chefin hin und stürzt sich nicht auf die wahren Übeltäter, sondern knüppelt lieber auf den Überbringer der schlechten Nachricht ein.
Ich hoffe, dass die CDU bemerkt, dass dieses Statement ein echtes Unding ist und ich hoffe, dass irgendjemand in der Partei AKK wieder eingefangen bekommt. In den nächsten Wochen werde ich sehr aufmerksam verfolgen, wie sich die Parteien nachträglich zur Wahl, zu eigenen Versäumnissen und zu neuen Ideen äußern werden. Falls die CDU die Aussage wiederholen wird, dass man lieber die Meinungsfreiheit beschneiden als die eigenen Fehler korrigieren möchte, werde ich mich hinsetzen und schon jetzt meinen “Wählt nicht die CDU”-Artikel vorbereiten — so viel kann ich euch heute schon versprechen. Egal, wer es wird: Bitte lasst nicht zu, dass diese Frau das Kanzleramt von Angela Merkel erbt!
PS: Liebe SPD, ihr sucht doch verzweifelt nach Profil. Nehmt diesen Ball auf und lasst nicht zu, dass von der CDU auf einmal die Meinungsfreiheit diskutiert wird. Stellt die CDU zur Rede — und falls sie diesen Gedanken wiederholen und verfestigen: Verlasst die Koalition und zeigt klare Kante! Ihr würdet damit das richtige Tun und deutlich euer soziales Profil schärfen.