Der im vergangenen Jahr tödlich verunglückte Fahrer eines Tesla Model S hat offenbar ein halbes Dutzend Warnhinweise des Autopiloten missachtet, bevor sein Fahrzeug unter den Auflieger eines LKW raste. Dies geht aus einem Untersuchungsbericht der US-amerikanischen Behörde für Transportsicherheit (NTSB) hervor, der nun vorliegt. Zuvor hatte bereits die Verkehrsaufsichtsbehörde NHTSA einen Bericht vorgelegt und dem kalifornischen Autobauer bescheinigt, dass Tesla den Unfall nicht zu verantworten habe.
Dem 500-Seiten umfassenden Bericht der NTSB kann man entnehmen, dass der Fahrer sowohl optische als auch akustische Warnsignale des umstrittenen Autopiloten ignorierte und über einen langen Zeitraum seine Hände nicht am Lenkrad hatte. Insgesamt soll die Fahrt bis zum Crash 41 Minuten gedauert haben, wovon 37 Minuten im Autopilot-Modus zurückgelegt wurden. Von diesen 37 Minuten soll der Fahrer nur 25 Sekunden lang die Hände am Lenkrad gehabt haben. Nach jeder Warnung griff der Fahrer für circa 1 bis 3 Sekunden ans Steuer.
Eine mittlerweile im System integrierte Funktion, die den Wagen nach wiederholt ignorierten Aufforderungen kontrolliert abbremst und an den Fahrbahnrand leitet besaß der Tesla zum damaligen Zeitpunkt noch nicht. Die letzte der Warnungen soll sechs Minuten (!) vor dem Unfall erfolgt sein, in der darauffolgenden Zeit gab das System keinen Hinweis. Einen die Fahrbahn kreuzenden LKW übersahen offenbar sowohl der Fahrer als auch die Kameras und Sensoren des Autopiloten. Der Wagen raste im Autopilot-Modus mit rund 119 Stundenkilometern unter den Auflieger und wurde völlig zerstört, der Mann verstarb.
Der Unfall hatte weltweit für Diskussionen gesorgt und Fragen nach der Mitverantwortung Teslas aufgeworfen. Tesla hatte im Laufe der folgenden Woche stets betont, dass man sowohl in der Bedienungsanleitung als auch in den Warnhinweisen bei der Aktivierung des Systems deutlich auf die limitierten Fähigkeiten des “Autopiloten” und die daraus resultierende alleinige Verantwortung der Fahrer hinweise. Die Verkehrsaufsichtsbehörde NHTSA sah das anders und rügte die Kalifornier: zwar funktioniere der “Autopilot” wie beabsichtigt und beschrieben, doch auf die tatsächlichen Grenzen des Systems werde der Fahrer nicht so deutlich hingewiesen wie man es als Hersteller eigentlich tun könne.
Mehrere international anerkannte Experten hatten Tesla zudem für den Test der Beta-Software im öffentlichen Straßenverkehr kritisiert. Das Unternehmen berücksichtige nicht ausreichend das typische Verhalten von Menschen am Steuer, gefährde damit die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer und wecke durch missverständliche und irreführende Aussagen ein unangebrachtes Vertrauen in die Fähigkeiten des Systems. Eine öffentlich geführte Schlammschlacht zwischen Tesla und dem Hersteller der Kameras Mobileye führte dazu, dass die beiden Unternehmen ihre Zusammenarbeit beendeten.
Owner video of Autopilot steering to avoid collision with a truckhttps://t.co/FZUAXSjlR7
— Elon Musk (@elonmusk) April 17, 2016
Der tödlich verunglückte Joshua Brown gehörte offenbar zu den Tesla-Enthusiasten, die besonders stark von der Technik ihres Fahrzeugs fasziniert waren. Nachdem Tesla-Chef Elon Musk ein Video des Mannes auf seinem gut besuchten Twitter-Kanal veröffentlichte und betonte, der Autopilot des Fahrzeugs habe eine Kollision mit einem LKW verhindert, zeigte sich Joshua Brown enorm begeistert und betonte, dass er den Wagen “testen” würde.
@elonmusk noticed my video! With so much testing/driving/talking about it to so many people I'm in 7th heaven! https://t.co/pzDWy6WgsG
— Joshua Brown (@NexuInnovations) April 18, 2016
In mehreren seiner Videos betonte er, dass er die Grenzen des Autopiloten in besonders kritischen Situationen erforsche. Freunde des Mannes betonen in einem umfassenden Portrait der New York Times, dass er die Grenzen des Autopiloten kannte – oder zumindest den Eindruck hatte, dass sie kenne.
Noch heute sind die meisten zugelassenen Teslas Fahrzeuge mit der ersten Generation des Autopiloten und mit dementsprechend wenig Sensoren ausgestattet. Experten kritisieren, dass die Fähigkeiten der Hardware und Software stark limitiert sind und die Bezeichnung als “Autopilot” irreführende Assoziationen weckt. Das betrifft offenbar nicht nur Technik-Enthusiasten wie Joshua Brown: Auch Elon Musks On/Off Ehefrau Talulah Riley empfand die Warnhinweise des Autopiloten offenbar eher als Formalität, wie das nachfolgende Video zeigt.
Die Behörde für Transportsicherheit (NTSB) betont, dass der Bericht lediglich die zur Verfügung stehenden Fakten zusammenfasse, aber keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Unfallursache zulasse. Insbesondere enthalte der Bericht keinerlei Aussagen darüber, dass Brown während der Fahrt durch das Schauen einer DVD oder anderweitig abgelenkt gewesen sei. Dieser Verdacht war u.a. in verschiedenen Tesla-Foren wiederholt geäußert worden.