Die Europäische Kommission hat gestern ihre Open-Source-Software-Strategie veröffentlicht. Sie trägt den Namen “Offen Denken” und ist 16 Seiten lang. Sie ist das bisher stärkste Bekenntnis der Europäischen Kommission zu Open Source. In der Vergangenheit hat sich die EU immer wieder mal Open Source verschrieben, nur um wieder zurückzurudern und doch Google, Microsoft & Co. zu benutzen.
Mit der Open Source-Software-Strategie schreibt die Kommission Open Source aber tief in ihre Identität ein. Die “gemeinsame Technologieentwicklung” ermögliche es, “unabhängig zu handeln, um so unsere Interessen zu wahren, die europäischen Werte und die europäische Lebensweise zu verteidigen und unsere Zukunft mitzugestalten”. An sich ist es gutzuheißen, dass die EU positiv versucht, sich von China und den USA abzugrenzen und endlich darüber hinausgehen will, lediglich das zu regulieren, und zu kommentieren, was diese beiden Innovationsländer produzieren.
Aber die Open-Source-Strategie wirkt hier wie unausgereifter politischer Übereifer, der letzten Endes niemandem nützt. Sie wirkt wie eine verzweifelte Notlösung, weil man sonst nichts anderes zu bieten hat. Die Kommission will einen “Wandel herbeiführen”, aber das Ziel für diesen Wandel wird nicht so richtig klar.
Wandel – wofür, wohin, wozu?
Inzwischen werden Worte wie “Digitaler Wandel”, “Digitale Transformation” usw. so inflationär benutzt, dass es fast zum Selbstzweck geworden ist, sich zu digitalisieren. Dabei erweist sich Digitalisierung aber nur als sinnvoll, wenn sie auch zielgerichtet ist – in der Wirtschaftswelt das A und O. Die Strategie der Europäischen Kommission wirkt dagegen aber total ziellos und übertrumpft sich in jedem neuen Absatz darin, Phrasen zu dreschen. Es werden so viele Ziele ausgesprochen, dass das Unternehmen “Offen Denken” nicht nur inkohärent, sondern sogar widersprüchlich wirkt.
So will die Kommission zum Beispiel im ersten Satz, die “einzigartige soziale Marktwirtschaft der EU […] beleben, den Wettbewerb […] fördern und den KMU – unseren Innovatoren und Unternehmern – neue Impulse geben”. Gleichzeitig gibt es den Ansatz, einen “öffentlichen Dienst von Weltrang” zu errichten oder auch eine “technologische Vorreiterstellung” einzunehmen. Auch sehr oft bezeichnet sich die Kommission als “begeisterte Nutzerin und Bearbeiterin” von Open Source. Will die Kommission jetzt also anführen oder lediglich die Open-Source-Begeisterungswelle mitreiten?
Es ist immer wieder davon zu lesen, dass die Kommission mit Open Source die “Gesellschaft bereichern und vor allem die Kosten für diese Gesellschaft senken” will. Open Source ist offenbar ein Allheilmittel für alle gesellschaftlichen Probleme des 21. Jahrhunderts.
Aus diesem Sammelsurium an Rollen und Zielen, die die Kommission für sich selbst vorsieht, wird leider klar, dass die Chef-Etage der EU Open Source und auch sich selbst völlig falsch einschätzt oder zumindest sich viel zu viel davon verspricht.
Mit Open Source die Gesellschaft bereichern und Kosten senken?
Staatliche Institutionen sind übertrieben schlecht darin, Kosten-Nutzen-Rechnungen zu machen. Sie haben einen quasi-unendlichen Zugang zu Steuergeldern und Finanzmitteln und die Begrenzung und Erstellung von Budgets ist oft einzig der Willkür weniger Entscheidungsträger, d.h. Minister, Kommissionsmitglieder etc. geschuldet. Sowohl über Einnahmen als auch Ausgaben gibt es selten Überblick und noch weniger Verantwortung.
Die EU führt als erfolgreiche Beispiele für ihre Open-Source-Software “EUSurvey (Online-Verwaltung von Umfragen), LEOS (Bearbeitung von Legislativtexten), zahlreiche Statistikdienste von Eurostat und wissenschaftliche Werkzeuge der Gemeinsamen Forschungsstelle (JRC) wie die Schiffsverfolgungssoftware SUMO (Suche nach unidentifizierten maritimen Objekten)” an. Es ist schwierig, hier Nutzen und Bereicherung für die Gesellschaft zu bewerten, da diese Software für bestimmte Branchen und Nischen entwickelt wurde.
Es ist dagegen aber einfach zu behaupten, dass diese für die Gesellschaft die Kosten senkt, obwohl nur bestimmte Branchen von der Kostensenkung betroffen sind. Kostensenkungen werden in der Kategorie viel beschworen – interessanterweise wird aber kein Wort darüber verloren, was das Projekt selbst kostet oder wie Kosten kontrolliert werden sollen. Institutionen, die keine Rechenschaft darüber leisten, was sie kosten, können schlecht von sich behaupten, Kosten zu senken.
Wettbewerb beleben?
Es wird nicht klar, wie der Wettbewerb durch Open Source belebt werden soll. Wenn die EU bisher Software für eigene Zwecke, also außerhalb der Konkurrenz geschaffen hat. Finanziert und ermöglicht werden Open-Source-Projekte durch Communitys, die Spenden oder Mitarbeit liefern. In Ausnahmen finanzieren sich Open-Source-Firmen auch durch das Anbieten von SaaS (Software-as-a-Service). Die Communitys produzieren diese Software vorrangig für sich selbst. Es ist entweder pure Eigennützigkeit oder das Bestreben, sichere und private Alternativen zu Datenkraken zu schaffen.
Es ist klar, dass die EU ein ähnliches Interesse wie solche Communitys hat. Es ist nobel, wenn die Kommission europäische, d. h.. Datenschutz-Alternativen entwickeln möchte. Aber wer glaubt noch, dass da jemals etwas Brauchbares für die Gesellschaft auf die Beine gestellt wird?
Es gibt eine Reihe von Projekten, mit denen die EU viel zu ambitioniert gewesen ist und letzten Endes fatale Inkompetenz bewiesen hat. Seit jeher will die EU Konkurrenz zu Google und den anderen Tech-Giganten schaffen. Als prominente Pleiten möchte ich hier beispielsweise Quaero und Theseus anführen. Das sind Suchmaschinen, die als “Google-Konkurrenz” und als “fortschrittlichste Suchmaschine” der Welt geplant waren. Sie haben den Steuerzahler hunderte Millionen von Euro gekostet. Den wenigsten haben diese inzwischen eingestampften Projekte aber auch nur irgendeinen Nutzen gebracht.
Klar können solche Projekte unter gewissen Gesichtspunkten als innovativ gelten, Innovation ist aber sinn- und nutzlos, wenn sie denjenigen nichts bringt, die sie finanzieren. Damit werden teure, ambitionierte Projekte der EU nicht nur zur Verschwendung, sondern auch zur Ungerechtigkeit. Die EU hat ein massives Manko an Checks und Balances, da es nirgendwo eine wirkliche Echo-Kammer für solche Verschwendungen und falsche Entscheidungen gibt – nicht in Brüssel, nicht in Paris, Berlin oder sonst wo.
Open Source: mehr als nur Quelloffenheit
Es gibt zwei große Use-Cases für Open Source. Entweder Software und Infrastruktur für Sonderinteressen zu schaffen oder sichere Alternativen für bereits etablierte Programme und Apps zu entwickeln. Aus beiden kann schlecht eine “technologische Vorreiterstellung” erreicht werden.
Die Stärke von Open Source ist oft – aber nicht immer – ihre Dezentralität und außerdem die freiwillige Bereitschaft aller Beteiligten. Es entsteht ein massives Ungleichgewicht, wenn ein System, das seine Stärken in der Dezentralisation hat, plötzlich unter Schirmherrschaft einer zentralen Organisation steht. Es ist so massiv unterschiedlich zu allem, was wir unter Open Source verstehen, dass ich infrage stellen würde, ob es überhaupt unter dem gleichen Namen laufen sollte, nur weil das Produkt am Ende quelloffen ist. Interessanterweise hat die EU auch – natürlich – eine eigene Lizenz für ihre Open-Source-Software: EUPL. Eine Open-Source-Klasse, die man außerhalb von Brüssel wohl selten zu Gesicht bekommen wird.
Fazit:
Für mich ist die Open-Source-Strategie der EU-Kommission das verzweifelte Ringen nach einer Identität in einer digitalen Realität, die leider von anderen geprägt wird. Es ist eine Ersatzlösung für einen Supra-Staat, der nicht eingestehen will, dass er durch Überregulierung und Übersteuerung Innovation im Keim erstickt und der daher selbst gerne an die Stelle der fehlenden Innovateure treten würde.