Totgesagte leben länger — diese Weisheit ist ebenso alt wie falsch, zumindest in seiner Pauschalität. Die Deutsche Telekom unterfüttert meine These mit einem aktuellen Beispiel, natürlich unfreiwillig. Konkret geht es um den Messenger immmr, bei dem ich es euch beileibe nicht nehme, wenn ihr gerade ratlos vor diesem Artikel sitzt und euch fragt, von welchem Messenger ich da rede.
Die Deutsche Telekom wollte 2016 mit einem Produkt Facebook, Apple und Co angreifen und nannte dieses Produkt „immmr“. Selbst 2016 war es schon nicht mehr besonders hip und fancy, Produktnamen zu verballhornen, indem man vorm letzten Konsonanten ein „e“ aus dem Wort streicht, behaupte ich mal. Unabhängig vom Namen bot die Telekom aber auch einfach zu wenig an, um die Großen ärgern zu können. In unserem damaligen Beitrag schrieb ich:
Die Deutsche Telekom möchte laut Capital also Facebook angreifen… und Apple… und Microsoft. Und versucht das, indem man von 70 Leuten in zwei Jahren einen Messenger entwickeln lässt, der vom Funktionsumfang im Wesentlichen das bietet, was alle anderen auch können und sich mit seinen Alleinstellungsmerkmalen allenfalls in einer Nische platzieren kann. Der dann mit “immmr” einen mehr als kruden Namen verpasst bekommt und der zunächst von Slovak Telekom in der Slowakei angeboten wird, danach in Kroatien an den Start gehen soll. Ein Deutschland-Start dieses deutschen Produkts ist aktuell offiziell nicht einmal anvisiert und vom Erfolg in den obigen Ländern abhängig.
Erst ein Jahr später erinnerte ich mich wieder an immmr: Ich schrieb einen Artikel über Messenger-Flops der letzten Jahre und da immmr „Immmr“ noch nicht Fahrt aufgenommen hatte, war der Dienst natürlich ein Kandidat für diese Liste. Damals stellte ich meine prophetischen Fähigkeiten unter Beweis:
Punkten möchte Immmr im Grunde damit, dass man immer und überall auf den Service zugreifen kann — egal, mit welchem Device. Ob man diesen Ansatz vermittelt bekommt und ich mich 2018 dafür schämen muss, dass ich Immmr in meinen Messenger-Flops-Artikel integriert habe? Wir werden sehen! Ich tippe immer noch so ein bisschen auf Totgeburt, lasse mich aber natürlich auch gerne eines Besseren belehren.
Und damit nähern wir uns jetzt dem aktuellen Anlass, der mich zum dritten und vermutlich letzten Mal über diesen Service berichten lässt. Ganz lautlos hat die Deutsche Telekom nämlich zum 31. August den Stecker gezogen und den Dienst komplett eingestellt. Könnte man „lautlos“ steigern, dann würde ich glatt behaupten, dass dieser Abschied noch lautloser war als das, was von immmr zuvor während seiner Existenz zu vernehmen war. Lediglich ein schlichter Satz auf der Seite weist auf das Ende hin, auf dem Twitter-Account, auf dem eh seit Juli Funkstille herrscht, ist überhaupt nichts zu vernehmen.
Ich selbst hätte davon vermutlich erst deutlich später Wind bekommen, wenn nicht der geschätzte Kollege Thomas Knüwer auf Indiskretion Ehrensache heute drüber geschrieben hätte. Mir geht es jetzt auch sicher nicht darum, mit viel Häme einen „Hab ich’s doch gewusst“-Artikel rauszurotzen — Besserwisser haben wir eh schon viel zu viele.
Vielmehr möchte ich nochmal drauf hinweisen, dass bereits von Anfang an sehr viele kritische Stimmen zu vernehmen waren. Kritische Stimmen, die tatsächliche Schwachpunkte der Konzeption ausgemacht haben und bei denen man sich fragt, wieso ein 70-köpfiges Team in zwei Jahren Entwicklungsarbeit diese Schwachpunkte nicht erkennen konnte. Ich zitiere Thomas Knüwer aus seinem Beitrag:
Es würde mich brennend interessieren, ob während dieses so langen Entwicklungsprozesses (dem ein Planungsprozess vorangegangen sein muss) wirklich niemand gesagt hat: „Leute, ist das wirklich der Markt, in den wir reinwollen – und in den wir rein müssen? Sollten wir nicht versuchen da zu punkten, wo wir echte Innovationen schaffen können?“ Thomas Knüwer, Indiskretion Ehrensache
Ich fürchte fast, dass es schon vor der Fertigstellung abzusehen war, dass man hier kein besonders erfolgversprechendes Produkt ins Rennen schickt, aber es ab irgendeinem Punkt in der Entwicklung offensichtlich kein Zurück mehr gab. Das ist schade, weil auf diese Weise kostbare Zeit, Geld und Energie verschenkt wurden. Klar, Scheitern gehört in der Wirtschaft nun mal dazu, aber es ist ein Unterschied, ob ich einen Karren an die Wand fahre — oder ob dieser Karren schon beim Einsteigen vor der Jungfernfahrt bereits in Flammen steht.
Wirklich großes Bedauern kann ich jetzt noch nicht mal heucheln, weil ich den Dienst selbst einfach nicht genutzt habe und ehrlich gesagt auch niemanden kenne, der immmr im Einsatz hatte. Auch Facebook und Google haben schon genug Quatsch verbrochen und Dienste eingestellt, weil einfach kaum ein Mensch Bock drauf hatte. Im Gegensatz zur vollmundigen Ankündigung der Deutschen Telekom 2016 treten die aber auch nicht mit einem solchen „Wir werden sie alle fertig machen“-Duktus an.
Ich möchte in dieses Scheitern jetzt auch nicht zu viel reindeuten — weder mit Blick auf die Telekom, noch auf Deutschland und den Stand der Digitalisierung oder ähnliches generell. Es ist lediglich ein drauf-aufmerksam-Machen, dass die immmr-Nummer durch ist und Totgesagte eben nicht immer länger leben, sondern manchmal auch relativ zügig verenden.