Egal, ob es auf einer Party passiert oder in irgendeiner Ecke des Internets: Irgendjemand fängt an, über den Messenger-Dinosaurier zu philosophieren und reflexartig fangen alle an, ihre ICQ-Nummer runterzubeten. Ich selbst bin da keinen Deut besser. Ich kenne nicht die Telefonnummer meines besten Freundes auswendig, bin der ungekrönte König im Vergessen von Geburtstagen und auch Reisepass- oder Personalausweis-Nummern hab ich nicht im Kopf. Aber wenn mich jemand nach meiner alten ICQ-Nummer fragt: 49856839 — wie aus der Pistole geschossen! Das ikonische Uh-Oh, wenn eine neue Nachricht reinrauschte, bekommt vermutlich kein Nutzer jemals wieder aus dem Kopf.
Das liegt vermutlich daran, dass über viele Jahre ICQ die absolute Instanz war, wenn man im Netz kommunizieren wollte und man diese Nummer eben immer parat hatte. Allerdings haben sich die Zeiten geändert: Auch an ICQ hat der Zahn der Zeit mächtig genagt. Heute nutzen wir WhatsApp, den Facebook Messenger, Telegram oder einen der unzähligen anderen Dienste — ICQ ist in Vergessenheit geraten und allenfalls noch in einer Nische präsent gewesen in den letzten 15 Jahren.
Jetzt wollen es die Russen aber noch einmal wissen und starten mit ICQ new einen ganz neuen Anlauf. Alles neu macht der — okay, in diesem Fall — April und wer noch das uralte ICQ genutzt hat, wird die neue Version nicht wiedererkennen. Selbstverständlich ist jetzt alles mit an Bord, was ihr von anderen modernen Messengern auch kennt.
Ihr bekommt die entsprechenden Clients für iOS und Android, könnt es im Desktop nutzen oder auch Versionen für Windows oder Mac installieren. Ich wollte spaßeshalber direkt mal wieder reinschauen, wusste aber im Gegensatz zur ICQ-Nummer — einst UIN getauft — mein Passwort nicht mehr und der “Passwort vergessen”-Link führt mich lediglich auf eine Fehler-Seite – so viel dazu also schon mal.
Mail.ru, das Unternehmen, welches seit einem Jahrzehnt ICQ besitzt, möchte beim ersten Einloggen grundsätzlich aber gerne unsere Handy-Nummer wissen. die Passwort-Alternative hat man oben links ein bisschen versteckt. Generell zeigt sich die App ziemlich datenhungrig, vieles könnt ihr aber in den Einstellungen eindämmen. DSGVO-konform ist der Dienst nach eigener Auskunft, ob die Nachrichten von Ende zu Ende verschlüsselt werden, erfahren wir aber nicht. Somit wissen wir zumindest schon mal, dass ICQ new nicht als der sicherste Messenger der Welt für Furore sorgen wird.
Technisch ist der Messenger tatsächlich voll auf der Höhe der Zeit, bietet alle gewohnten Funktionen, wie beispielsweise Video-Calls oder das Anlegen von Gruppen. Letztere können übrigens bis zu 25.000 Personen umfassen. Desweiteren kann man Kanälen folgen oder selbst einen einrichten und auch die Sprachnachrichten fehlen nicht. Spannend hierbei: Eine Funktion, die allerdings zunächst nur auf Russisch und Englisch bereitsteht, wandelt Sprachnachrichten in Text um. Das ist dann spannend, wenn ihr unterwegs seid und eine Sprachnachricht nicht abhören könnt — oder wenn ihr sowas wie ein Archiv anlegen möchtet, um die Sprachnachrichten später nochmal nach bestimmten Begriffen durchforsten zu können.
Desweiteren könnt ihr — falls gewünscht — Dateien auch im Original, also nicht komprimiert, verschicken, könnt Nachrichten nachträglich editieren oder löschen und vieles mehr. Der smarte Messenger kann euch auch Antwort-Optionen vorschlagen, so wie die von Google bekannten Smart Replies:
Die Russen wollen es wohl wirklich noch mal wissen und hauen auch direkt mal ihre API für Entwickler raus. Wie die Chancen stehen, dass nochmal eine große Menge an Nutzern ICQ eine Chance gibt? Da bin ich ehrlich gesagt skeptisch. Vielleicht liegt es daran, dass ich dem Dienst datentechnisch nicht so ganz über den Weg traue. Wichtiger aber noch: WhatsApp hat allein über eine Milliarde Nutzer — es wird schwer, Leute davon zu überzeugen, zu einem Messenger zu wechseln, wo die eigenen Leute nicht zugegen sind. Andererseits hat ICQ in seiner neuen Form mit Features wie Talk to Text sogar Argumente für sich. Ihr könnt ICQ übergreifend auf mehreren Geräten nutzen, zwischen denen synchronisiert wird, außerdem müsst ihr eure Handy-Nummer nicht weitergeben an neue Kontakte – der Nickname reicht. Aber wie gesagt: Ich tue mich schwer damit, dass ICQ hier nochmal einen x-ten Frühling erleben wird, lasse mich aber gerne eines Besseren belehren. Was sagt ihr denn? Würdet ihr es nochmal versuchen?
via SmartDroid.de