Ihr kennt diese Art von Videos, die schon heute nicht nur auf vielen Websites, sondern gelegentlich auch in den abendlichen Nachrichtensendungen gezeigt werden – meistens versehen mit dem Zusatz „Quelle: Internet“. Irgendjemand war bei irgendeinem Ereignis zugegen, hat kurzerhand sein Smartphone gezückt und „draufgehalten“ und liefert dann das mitunter einzige „Live-Video“ zum Geschehenen. Die professionellen Kamera-Teams der lokalen Zeitungen oder Nachrichtensender rücken meistens erst später an.
Im Idealfall wurden diese Videos von einem seriösen Nachrichtensender vor ihrer weiteren Verbreitung überprüft. Damit will man gezielte Manipulationen der Berichterstattung verhindern, z.B. wenn aus Krisen- oder Kriegsgebieten berichtet wird. Grosse Fernsehanstalten oder Nachrichtenagenturen gleichen solche Amateur-Videos dann in Absprache mit ihren Korrespondenten vor Ort ab, checken sogar die Örtlichkeiten oder versuchen, beteiligte bzw. gefilmte Personen zu finden.
In genau diesen Bereich möchte Google nun vordringen und eröffnet mit Youtube Newswire eine separate Plattform für genau diese Art von Videos. Das Unternehmen selbst führt den Arabischen Frühling oder die wochenlangen Proteste in Ferguson als Beispiele für Fälle an, in denen Videos von ganz normalen Menschen die gesamte Berichterstattung und damit wahrscheinlich auch den gesamten Verlauf der Geschehnisse nachhaltig verändert hätten. Unbestreitbar, oder?
Google steht dabei vor einer Mammut-Aufgabe. Insgesamt werden momentan unglaubliche fünf Millionen Stunden Videomaterial pro Tag bei Youtube upgeloadet. Dieses muss nach einer ersten Recherche für so ein Projekt gesichtet und verifiziert werden, ähnlich wie es die o. genannten Nachrichtenagenturen machen. Youtube will diese Aufgabe mit einem Partnerunternehmen bewältigen und setzt dabei auf Storyful, eine auf „Social News“ spezialisierte Agentur. Dort sollen Redakteure den Wahrheits- und Nachrichtengehalt eines Videos bewerten, das dann bei Youtube Newswire gelistet wird. Weitere Partner sind Eyewitness Media Hub, Bellingcat, First Look Media’s Reported.ly, Meedan, Emergent, SAM Desk und Verification Junkie – allesamt keine Unbekannten in der Branche.
Nach den bisher vorliegenden Angaben werden nicht „nur“ weltweite Nachrichten von dem Service erfasst, sondern auch regionale News. Theoretisch ist die Nummer endlos ausbaubar – wenn man bedenkt, was heute alles in den normalen TV-Nachrichten landet, angefangen bei Katastrophen bis hin zu Trivialitäten.
Ganz unvoreingenommen betrachtet ist die Sache auch deshalb interessant, weil Google hier irgendwie den Spiess rumdreht. Während sich momentan die Online-Portale verschiedener Zeitungen und viele Fernsehsender bei Youtube bedienen und dort das – meistens kostenlose – Material für ihre Nachrichten ziehen, neu schneiden und neu vertonen, macht Google nun kurzerhand selbst einen auf „Nachrichtensender“ und lockt die Benutzer wieder auf die ursprüngliche Plattform. Den Journalisten und Nachrichtenagenturen, denen man bisher zumindest die Verifizierung der Videos zugutehalten durfte, preist man nun Youtube Newswire als bereits „vorgeprüfte“ Plattform an.
Über einen Newsletter und via Twitter kann man sich über aktuelle Nachrichten auf dem laufenden halten:
Welcome to the @YouTube Newswire, a new platform powered by @Storyful to surface today’s top eyewitness news videos http://t.co/9BcwkjEKDc
— YouTube Newswire (@ytnewswire) June 18, 2015
Es gibt ein paar Kritikpunkte an der Nummer. Zum einen sind solche Augenzeugen-Videos oft mit dem Stigma behaftet, dass sie u.U. von „Gaffern“ gedreht werden könnten. Also Menschen, die statt in Notfällen zu helfen den Kameramann mimen, und vielleicht sogar darauf hoffen, ihr Video danach meistbietend verkaufen zu können.
Zum anderen sind „verifizierte“ Videos natürlich auch immer in einem gewissen Umfang „gefiltert“, das lässt sich gar nicht vermeiden. Wenn jemand an einer wichtigen, zentralen Schnittstelle die Macht besitzt darüber zu bestimmen, welche Neuigkeit berichtenswert oder nicht berichtenswert ist, riecht das immer ein bißchen nach Zensur. Wer kontrolliert, ob Google bzw. die o.g. Partner hier nicht nach eigenen moralischen, ethischen, vielleicht sogar politischen oder finanziellen Gesichtspunkten filtern? Sowas muss man beobachten – das gilt aber eigentlich auch für die „normale Presse“.
Verstehen wir uns nicht falsch: ich finden Youtube Newswire eine ganz grossartige Idee. Ich finde es – auch als News-Junkie – toll, welche Möglichkeiten wir heute haben, uns über alles auf der Welt in Windeseile zu unterrichten, uns ein eigenes Bild zu machen, beinahe in Echtzeit. Ich könnte mir vorstellen, dass dieses Modell den gesamten Nachrichtenmarkt nachhaltig verändert – aber als professioneller Kameramann oder als Nachrichtensender würde ich mir jetzt Gedanken machen. Hier findet gerade ein digitaler Umbruch statt, der jetzt nochmal einen neuen Schub erhält.
Quelle: Youtube Newswire via Youtube Global