Irgendwie mag sich kein Gefühl von Überraschung einstellen bei der Lektüre des aktuellen Spiegel. Bei der Auswertung der Unterlagen von Edward Snowden fanden sich einige Dokumente, die ein recht genaues Bild der NSA-Aktivitäten in Deutschland zeigen. Aktivitäten, die offenbar nicht nur der Bundesregierung bekannt waren, sondern auch vom BND unterstützt wurden.
Mehr als 200 Agenten spionieren in Deutschland für die US-Geheimdienste, offiziell akkreditiert mit Diplomatenstatus. Diese werden wohl von mehreren Hundert Angestellten von privaten Firmen unterstützt, die für die NSA arbeiten. Ganz schön viele Spione für ein Land, welches nun nicht unbedingt im Verdacht steht den Terrorismus zu fördern und von den USA als Freund und Partner bezeichnet wird. Als Zeichen dieser Freund- und Partnerschaft darf man dann wohl betrachten, dass die Bundesregierung von diesen Aktivitäten nicht nur wusste, sondern der Bundesnachrichtendienst diese Aktivitäten auch noch aktiv unterstützte, das sogar in zwei gemeinsamen Arbeitsgruppen.
Diese gemeinsamen Aufklärungs- und Analysezentren sollen laut BND seit 2011 und 2012 nicht mehr bestehen – ansonsten ist der BND eher schweigsam, trotz der großen „Transparenz-Offensive“, die der Geheimdienst gestartet hat. Wobei aber natürlich bei einem Geheimdienst „Transparenz“ nur bedeutet, dass man zumindest einen Teil der Informationen zugibt, die sowieso schon bekannt sind. Echte Transparenz ist natürlich nicht möglich, schließlich heißt ein Geheimdienst nicht grundlos Geheimdienst.
In einem Memorandum of Agreement von 2002 haben sich die damalige Bundesregierung und die USA verpflichtet das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis zu achten. Also so grundsätzlich. Wenn es nicht gerade Gründe gibt, das nicht zu tun. Also zum Beispiel im Falle „terroristischer Aktivitäten“. Sollten Inhalte mit solchen Inhalten abgefangen werden, dann dürften diese auch verwendet werden, selbst wenn sie von einem Deutschen stammen bzw. sich der Endpunkt der Kommunikation in den USA oder in Deutschland befindet. Der jeweilige Partner müsste dann aber informiert werden und zustimmen.
Das bedeutet also, dass die Bundesregierung zumindest darüber informiert wurde, wenn im Rahmen dieser Kooperation Deutsche ausgeforscht wurden. Und selbst wenn solche Details irgendwie vergessen wurden – so eine Bundesregierung hat ja viel zu tun – ist zumindest die Behauptung, man wüsste nichts von irgendwelcher NSA-Spionage auf deutschem Boden eine klare Lüge. Aber klar, es gab ja diese tolle Vereinbarung – die 6 Seiten lang ist, dazu 74 Seiten Anhang – in der man sich mal so grundsätzlich auf die Einhaltung der Gesetze verpflichtet hatte, also musste die Bundesregierung natürlich davon ausgehen, dass alles, was die NSA auf deutschem Boden tut natürlich nach Recht Gesetz in Ordnung war. Ein Freund und Partner würde einen doch nicht anlügen. Und darüber sprechen durfte die Bundesregierung natürlich nicht, wir erinnern uns: Es geht dabei um Geheimdienste.
Der NSA-Untersuchungsausschuss will das alles jetzt natürlich ganz schnell prüfen, aber rechnen wir mal nicht damit, dass es zu schnell geht, denn immer dann, wenn es um wirklich wichtige Fragen geht – wie die Vernehmung von Edward Snowden – blockieren die Regierungsfraktion nach Kräften. Und im übrigen ist ja sowieso erst einmal Sommerpause, aber danach dann soll es wohl los gehen, zumindest würde das der Patrick Sensburg von der CDU für sinnvoll halten:
Ich halte es für sinnvoll, keine Zeit zu verlieren und nach der Sommerpause als erstes die Rolle unserer Dienste zu beleuchten. Informationen darüber sind erheblich schneller und einfacher zu bekommen als Dokumente aus dem Ausland
Wer übrigens der Meinung ist, dass sich „keine Zeit verlieren“ und „nach der Sommerpause“ ausschließen würden, der denkt zu wenig wie ein Politiker. Im normalen Leben mag „keine Zeit verlieren“ bedeuten, dass man sofort etwas tut – im politischen Betrieb bedeutet „keine Zeit verlieren“, dass ein Thema eben nicht ganz so lange auf die lange Bank geschoben wird, bis es alle vergessen haben, sondern nur so lange, bis es fast alle vergessen haben. Schließlich gehören zu dem Thema auch die Erfolgsmeldungen der NSA rund um die Aktivitäten in Deutschland gemeinsam mit dem deutschen Geheimdienst. So führten Informationen aus diesen Aktivitäten zur Festnahme oder Tötung von mehr als 40 Terroristen. Deutsche Geheimdienstler sind also mit dem Wissen der Bundesregierung mitverantwortlich für die Einkerkerung von Menschen unter menschenrechtswidrigen Bedingungen auf Guantanamo Bay und die Tötung von mutmaßlichen Terroristen ohne rechtsstaatliches Verfahren. Aber im Krieg gegen den Terror ist scheinbar alles erlaubt.
Glaubt eigentlich noch irgendjemand daran, dass unsere Regierung auch nur den Hauch eines Furzes von Interesse an einer vollständigen Aufklärung der Geheimdienst-Aktivitäten in Deutschland hat? Ja? Das wiederum erscheint mir unglaublich…