Das war wohl nix. Microsoft hatte gestern zum Windows 8 Launch nach Berlin geladen. Wir und zahlreiche andere Medienvertreter aus Deutschland und teilweise auch angrenzenden Ländern waren natürlich nicht nur deshalb erschienen, um den Stream der Launch-Veranstaltung aus New York zu schauen und sich (noch einmal) die Neuerungen von Windows 8 vorbeten zu lassen, sondern auch um endlich einmal selbst Hand an das Flaggschiff-Gerät für Windows 8, nämlich das Microsoft-eigene Surface Tablet, zu legen. Doch daraus wurde entgegen aller Erwartungen nichts.
Einige Kollegen waren hunderte Kilometer angereist, um Windows 8 und hoffentlich auch das Surface Tablet näher kennen zu lernen. Weil die Launch-Veranstaltungen für beide Produkte in New York im Rahmen eines gemeinsamen Events durchgeführt wurden, gingen 90% der von mir befragten Presseleute davon aus, dass Surface auch hierzulande eine Hauptrolle spielen würde. Stattdessen gab es aber eben die mit Verlaub gesagt, dämlichste Aktion, die Microsoft zum Launch eines seiner wichtigsten neuen Produkte hätte bringen können.
Über den Umstand, dass im Vorfeld eine falsche Uhrzeit kommuniziert wurde und viele Kollegen somit erst am Veranstaltungsort in Berlin eintrafen, nachdem die Launch-Keynote in New York bereits begonnen hatte, lässt sich ja vielleicht noch hinweg sehen. Dass aber das Surface Tablet, das unumstritten im Zusammenhang mit Windows 8 und gerade Windows RT im Mittelpunkt des Interesses der Anwesenden stand, wenige Sekunden nach der Präsentation von Windows 8, während der es genau 15 Sekunden lang vom neuen Deutschland-Chef von Microsoft Christian P. Illek mit zittrigen Händen befummelt wurde, von einem offensichtlich mit dessen Verteidigung gegenüber der Pressemeute betrauten Mitarbeiter zusammengeklappt und in die Versenkung befördert wurde, war der blanke Hohn.
Noch besser kam es kurz danach, als man klarstellte, dass der Surface-Launch in New York noch nicht einmal per Live-Stream wie die direkt davor erfolgte Windows 8 Keynote übertragen werden würde. Stattdessen durfte sich die deutsche Journaille am Pop-Sound einer australischen Sängerin erfreuen. Ganz toll. Und wer dachte, hey, hinten im “Hands-on-Area” wartet bestimmt ein Surface auf uns, wurde wie es eigentlich nicht anders zu erwarten war, ebenfalls entäuscht. Statt sein erstes eigenes PC-Hardware-Produkt der geifernden Meute zu überlassen, war das Surface Tablet nur unter einem Glaskasten (siehe Foto unten von Martin Geuß) am Rand der Veranstaltung auf dem unnötigen Stand eines Männermagazins zu sehen. Autsch.
Während also in New York und China mit großem Tamtam Windows 8 und Surface auf den Markt kamen und natürlich im Rahmen der Events ausprobiert werden konnten, schaut Deutschland schön in die Röhre. Man kann ja immer noch bei Spiegel Online vorbeisurfen und sich das hochprofessionelle Video des Kollegen B. ansehen, der (vollkommen unerwartet!) extra nach Redmond geflogen wurde…
Natürlich ist dies hier Jammern auf hohem Niveau, doch im Grunde zeigt sich nur einmal mehr, wie Microsoft seine Kunden in Deutschland behandelt. Nicht nur wird wohl kein einziger der deutschen Kunden sein vorbestelltes Surface Tablet bis zum heutigen 26. Oktober erhalten – wie es auf der Bestell-Homepage und in der Bestellbestätigung angegeben war – sondern auch die Möglichkeit der Presse, die potenziellen Käufer ausführlich zu infomieren entfällt. Im Grunde der größte Fehler, den man bei einem Gerät wie Surface machen kann, wenn man sich auch nur ein klein wenig der über 60 Prozent Marktanteil des iPad in Deutschland aneignen will.
Die Gründe für den Surface Fuckup gestern abend sind wohl vielfältig. Uns gegenüber wurde beteuert, dass es sich einerseits um einen Event handelte, bei dem zahlreiche Partner auch aus dem Bereich der Hardware, also Gerätehersteller wie ASUS, Acer, Samsung & Co anwesend waren, weshalb deren Produkte das volle Rampenlicht abbekommen sollten. Wer bereits länger dabei ist, hatte jedoch sämtliche der ausgestellten Geräte so wie wir bereits auf mehreren Messen und anderen Events in Augenschein nehmen können.
Andererseits hieß es, dass Microsoft Deutschland als fast schon reine Vertriebsorganisation (die Münchner müssen für ihre Mitarbeiter bei US-Entwicklerveranstaltungen sogar Eintritt bezahlen!) von “der Corp.” (Firmen-Slang für die US-Oberen) genau vorgeschrieben bekam, was man beim Launch-Event für Windows 8 in Berlin zeigen durfte. Und Surface gehörte da eben nicht dazu. Als weiterer Grund wurde genannt, dass Marketing und Vertrieb des Surface in Deutschland direkt vom US-Hauptquartier durchgeführt werden und die deutsche Microsoft-Niederlassung damit praktisch nichts zu tun hat. Fakt ist, man hat eine große Chance vertan, das Warum ist eigentlich egal.
Auf diese Weise haben nun sämtliche deutsche Medienvertreter – von den SPON-Herren mal abgesehen – genau die gleichen Chancen, sich mit Surface auseinanderzusetzen. Das heißt, wir dürfen wie alle anderen deutschen Kunden auf die verspätete Auslieferung der vorbestellten Geräte warten, uns mit ahnungslosen Support-Mitarbeitern herumschlagen und wenn wir vorher “Hands-on-Zeit” mit dem ach so wichtigen Tablet verbringen wollen, dürfen wir uns zu einem der öffentlichen Surface Preview-Events in der ganzen Republik bewegen – und wahrscheinlich dort noch nicht einmal ohne Aufsicht und totgeschultes Demo-Personal mit dem Gerät umgehen.
Sorry Microsoft, aber das habt ihr schön verkackt.
Dass es auch anders geht, zeigt wie immer der Umgang mit der Presse in den USA und anderen Regionen. Dort wurden alle wichtigen Medienvertreter wie selbstverständlich bereits Wochen vor dem Launch mit Surface-Testgeräten inklusive der Keyboard-Cover (in allen verfügbaren Farben natürlich) eingedeckt. Pünktlich einige Tage vor dem Launch wurden dann zahlreiche Reviews veröffentlicht, wie es sich gehört. In China können die Kunden der Elektronikhandelskette Suning seit heute nacht das Surface direkt erwerben und tun dies auch schon in Scharen. In New York wurde der Pop-Up-Store von Microsoft am Times Square von Kunden überrannt und auch in den anderen Microsoft Stores dürfte das Interesse heute groß sein.
https://www.youtube.com/watch?v=m2COYLBzeqg
Wir hingegen können uns nur an den Kopf fassen und ich persönlich gratuliere Sascha zu seiner Unfähigkeit, sich die Daten seiner Flüge richtig zu merken. Denn er hat zwar gestern den Flug von München nach Berlin verpasst, aber hatte so wenigstens die Möglichkeit, die seinen Angaben zufolge vom Surface Team-Chef Panoz Panay mit Bravur durchgeführte Launch-Keynote im Stream anzusehen.
Dieser Aufsatz soll übrigens keineswegs den Eindruck entstehen lassen, dass wir das Surface Tablet oder Windows 8 für schlechte Produkte halten. Das Tablet von Microsoft ist sicherlich gut gelungen und Windows 8 sorgt endlich dafür, dass man im 21. Jahrhundert und somit dem Touch-Zeitalter angekommen ist, die internen Strukturen von Microsoft wirken jedoch dermaßen antiquiert, dass ein Reinfall wie der deutsche Windows 8 Launch gestern eigentlich keinen mehr wirklich überraschen sollte.