Wir berichten andauernd über mobile Technologie, wobei wir uns meist an Leser richten, die Geräte für ihren persönlichen Bedarf suchen. Was aber, wenn dieser Bedarf über das eigene Wohnzimmer oder gar das jeweilige Heimatland hinausgeht? Zeit für einen Blick in die Ferne!
Es gibt Journalisten, die mobile Technologie fernab unserer Gefilde unter extremen Bedingungen einsetzen. Zu ihnen gehört mein guter Kumpel Frieder Piazena, der eigentlich für den Berliner Tagesspiegel schreibt, derzeit aber im Rahmen seines Projekts Rethink India in Indien unterwegs ist, um auf Graswurzel-Ebene zu erforschen, wie unabhängiger Journalismus dort funktioniert und wie unsere deutsche Sichtweise die Berichterstattung über eines der größten Länder der Welt beeinflusst.
Um Frieder und seine Begleiterin Eva Hoffmann bei ihrer Arbeit in Indien zu unterstützen, habe ich ihn gebeten, uns mit einem Gastartikel an der Reise teilhaben zu lassen. Dabei soll es hier darum gehen, welche Technik die beiden nutzen, ohne aber den Zweck ihrer Arbeit aus den Augen zu lassen. Wie berichtet man also auf eigene Faust aus einem Land, das acht bis neun Stunden Flugzeit von hier entfernt ist, wo dauerhaft eine gefühlt 1000-prozentige Luftfeuchtigkeit herrscht?
In seinem ersten Artikel aus Indien stellt uns Frieder seine Ausrüstung vor und schildert uns die Tücken, mit denen man in Indien zu kämpfen hat, wenn man sich zum Ziel gesetzt hat, authentisch und lebensnah über Indien zu berichten – ohne dabei das Budget und die Ressourcen einer internationalen Agentur oder anderen Presseinstitution nutzen zu können.
Wer das Projekt unterstützen möchte, darf gern über Krautreporter spenden!
Hier also Frieders Bericht:
Roland von MobileGeeks hat mich gefragt, mit welchem Equipment wir hier in Indien eigentlich arbeiten und unseren Blog RethinkIndia produzieren. Ich antworte gern, denn wir sind voll und ganz Sussegado.
Goa, indische Westküste mitten im Monsun. Endlich hat sich die kühlende Nacht über den schwül-heißen Tag gelegt. Monoton trommeln dicke Regentropfen auf das Wellblechdach des Restaurants, in dem wir Schutz vor dem Sturm suchen. Hier treffen wir auf Dave Shagra, einem aus Simbabwe stammenden, heute in England lebenden Anthropologen, der hier den Einfluss von partizipativen Medien erforscht.
Sussegado, erklärt Dave, sei ein altes portugiesisches Wort, das die europäischen Kolonialzeiten hier in Goa überdauert hat. „Sussegado means the essence of being relaxed and peaceful“, sagt er. Das Wort scheint ihm am Herzen zu liegen.
Ok zugegeben, unsere Recherche zu alternativem Journalismus in Indien ist nicht immer entspannt. Wir arbeiten multimedial und sind deshalb auf funktionierendes Equipment angewiesen. Doch welche Überraschung – die Technik hat ihre Tücken. Kommen wir also zu den technischen Aspekten unserer Arbeit.
Eigentlich braucht man nicht viel, wenn man Schreiben, Fotografieren und Filmen will: Laptop, digitale Spiegelreflexkamera (DSLR), Audiorecorder samt Lavalier-Mikrofon zum Anstecken und Stativ genügen. Für uns ist es wichtig, das Equipment auf das Nötigste zu beschränken, da wir für unsere Recherchereisen mobil bleiben müssen, denn wir reisen mit Bus und Bahn, jedes Kilo Gepäck schleppen wir selbst.
Konkret heißt das, dass ich an einem dreieinhalb Jahre alten Acer Travelmate 8471G mit dedizierter Grafikkarte Texte schreibe, Videos schneide und RAW-Aufnahmen in der digitalen Dunkelkammer belichte, die ich mit einer Canon 5D MarkII geknipst habe. Dazu stecken noch drei Objektive in der Kameratasche. 90 Prozent der Arbeit erledigt das Canon-Zoomobjektiv 24-70 mm L mit einer guten, maximalen Blendenöffnung von f/2,8. Dieses Objektiv ist der ideale Reportage-Allrounder, da es vom 24 mm-Weitwinkel für Übersichtsaufnahmen in der Totalen bis in den leichten Telebereich mit einer Brennweite von 70 mm reicht und sich deshalb auch gut für Detail- und Porträtfotos eignet. Die Offenblende von f/2,8 sorgt nicht nur für genug Licht, sondern bei Porträtbildern für ein weiches Bokeh, also einen verschwommenen Hintergrund, der nicht vom eigentlichen Motiv ablenkt.
Für entfernte Motive habe ich ein Tamron 70-300 mm Telezoom mit f/4-5,6 und Bildstabilisator. Diese Linse schießt überraschend scharfe Bilder, ist jedoch nicht sehr lichtstark. Böse Zungen würden es ein Schönwetter-Objektiv nennen, aber mehr gab mein Budget nicht her. Die dritte Linse im Bunde ist das lichtstarke Canon 50mm mit einer Blendenöffnung von 1,4f-stops. Nachts oder in dunklen Räumen drehe ich einfach die Lichtempfindlichkeit (ISO) der Kamera hoch, die wegen ihres Vollformatsensors auch im höheren ISO-Bereich nur wenig rauscht, setze das lichtstarke Objektiv an und schon kann ich mir den Blitz sparen – denn der ruiniert oft die natürliche Lichtstimmung. Doch genau darum geht es in der Reportage-Fotografie: Menschen natürlich abzulichten.
Mit der Canon 5D MKII wurden schon Kinofilme gedreht. Denn die Kombination aus Vollformatsensor und im Vergleich zu Videokameralinsen günstigen Objektiven, machen die Spiegelreflex zu einer vergleichsweise preiswerten Alternative, die mit ihrer hohen Bildqualität Camcorder links liegen lässt. Der große Nachteil: Der Autofokus einer DSLR funktioniert nur für Fotoaufnahmen, da er auf Schnelligkeit getrimmt ist und daher ruckartig auf einen Schärfepunkt springt, während es bei Filmaufnahmen darauf ankommt gleichmäßig an einen Schärfepunkt heranzufahren.
Ich habe die DSLR vor allem für Video-Interviews im Gepäck. Eine Woche nachdem wir in Mumbai landen, bekommen wir bereits Manish Kumar, Programm Manager bei der Nicht-Regierungs-Organisation Video Volunteers vor die Linse. Wie immer ist es ein schwüler Tag. Es regnet nicht oft, aber dafür heftig. Und 27 Grad geschwängert mit 85 Prozent relativer Luftfeuchtigkeit sind ein echter Härtetest. Für die Ausrüstung birgt das vor allem drei Risiken: Kondenswasser, Überhitzung und Schimmel.
Die Spiegelreflex ist bereits auf dem für ruhige Aufnahmen unerlässlichen Stativ montiert und das Bild eingerichtet, als sich plötzlich ein Schleier über Sucher und Display legt. Die Aufnahmen wirken als filmten wir im Nebel, doch das Problem liegt in der Kamera: Kondenswasser hat sich im Inneren gebildet und auf alle warmen Bauteile, wie Display und Sensor gelegt – Meine Kamera hat gerade ein Nahtoderlebnis! Das Interview droht zu scheitern.
Gut dass meine Kollegin Eva Hoffmann noch den kleinen Sony-Camcorder Exmor HDR-XR520 mit optischem Bildstabilisator und natürlich Autofokus dabei hat. „Sieht schäbig aus, macht aber gute Bilder“, sagt sie.
Die Luftfeuchtigkeit kriecht in alles hinein: Kleidung, Taschen, Equipment – alles ist klamm. Besonders anfällig ist Leder. Immer wieder schrubben wir Schimmel von unseren Kamerataschen. Selbst mein Reisepass gammelt!
Doch so weit wird es nicht kommen, künftig sind wir gewappnet: Beim lokalen Chemikerbedarf haben wir ein Kilo Silizium erstanden. Diese Chemikalie liegt sonst oft in kleinen weißen Papiertütchen mit der Warnung „nicht essen“ elektronischen Geräten bei. Der Stoff entzieht der Luft Feuchtigkeit. Ausrangierte Socken, prall gefüllt mit Silizium, halten nun unsere Geräte trocken.
Bildmaterial werden wir also aufzeichnen können, doch noch fehlt der Ton. Indien ist laut. Kaum ein ruhiger Ort, an dem nicht die Kakophonie aus hupenden Autos, ratternden Baumaschinen oder quietschenden Eichhörnchen dröhnt. Die eingebauten Mikrofone der DSLR und des Camcorders sind von dieser Geräuschkulisse heillos überfordert. Deshalb stecken wir unseren Gesprächspartnern ein kleines, Batterie-gespeistes Lavalier-Mikrofon an den Hemdkragen. Eingeklinkt in den externen Audiorecorder Zoom H2n, der selbst über Richt- und Kugelmikrofone verfügt, können wir so einen recht vernünftigen Ton aufnehmen.
Wer einen Blog schreibt, der ist vom Internet so abhängig, wie Helmut Schmidt von dem Nikotin. Doch das Netz hier in Goa ist ein wahrer Flaschenhals im Produktionsprozess. 3G? Fehlanzeige. Und auch das W-Lan unseres Hauses funkt nur, wenn es nicht regnet. Die Alternative sind USB-Sticks mit 2G-Verbindung, die hier unter dem Begriff Dongle von vielen Straßenshops vertrieben werden. Allerdings zeigt sich hier mal wieder ein koloniales Erbe der Briten, das, wie eine Mitarbeiterin von Video Volunteers scherzte, Indien meisterhaft beherrscht: die Bürokratie.
Um diesen kleinen Stick zu bekommen, muss ein dreiseitiger Antrag ausgefüllt und vier Mal unterschrieben werden – exakt so wie im Reisepass. Es wird nach einer indischen Kontaktperson gefragt, die sogar angerufen wird. Der Name des Vaters wird notiert. Dazu werden Passfoto sowie Kopien von Pass und Visa verlangt. Und dann wird geprüft… Mein erster Antrag wurde abgelehnt, weil mein Gekrakel nicht für meine Unterschrift gehalten wurde. Also alles von vorn.
Intern tauschen wir unsere Daten über den kostenlosen Dienst Dropbox aus. Unsere Videos betten wir auf unserem Blog über die Videoplattform Vimeo ein, die unsere Videos konvertiert und so auf allen Geräten und Betriebssystemen laufen lässt. Das hat den Vorteil, dass wir die Videos nicht in verschiedenen Formaten auf den Server hochladen müssen und so unsere schmale Bandbreite schonen.
Das Interview mit Manish Kumar ist im Kasten und fast auf den Server von Vimeo hochgeladen – 90 Prozent sind bereits geschafft. Wieder fegt ein heftiger, nächtlicher Monsunregen über das Dach unseres Hauses. Und dann der Blackout: Die Lichter erlöschen, das W-Lan verstummt, die schweren, rostbraunen Flügel der Deckenventilatoren kreisen immer langsamer, bis sie völlig innehalten. Dunkelheit. Stille. Sussegado.
Drei Monate Recherche müssen allerdings auch finanziert werden. Und was eignet sich besser für ein Projekt abseits des Mainstreams als Crowdsourcing? Auf der Plattform krautreporter.de, die sich auf journalistische Projekte spezialisiert hat, haben wir deshalb auch unser Projekt rethinkindia an den Start geschickt.
Als Bonus hier eine umfangreiche Galerie mit Fotos von Frieder, die das Leben in Indien zeigt: