Tor ist eine lustige Sache, nicht unbedingt technisch. Der Anonymisierungsdienst wurde und wird einerseits zu einem großen Teil vom US-Verteidigungsministerium finanziert, andererseits versuchen US-Geheimdienste alles, die Anonymität des Netzwerks zu knacken. Und natürlich nicht nur US-Geheimdienste, auch den russischen Geheimdiensten ist Anonymität im Internet ein Dorn im Auge. Also lobt man in Russland eine Belohnung aus für denjenigen, der es schafft, Tor-Nutzer identifizierbar zu machen.
„Tor Stinks“ lautet der Titel einer NSA-Präsentation, in der die Geheimdienstler feststellen mussten, dass es niemals gelingen würde, dass alle Tor-Nutzer gleichzeitig identifiziert würden. Das war zumindest der Stand vor zwei Jahren, ob die NSA hier weiter gekommen ist wissen wir nicht (sie werden es zumindest versucht haben) und kleinere Erfolge gab es wohl schon. So konnten über eine 2012 geschlossene Firefox-Lücke Nutzer identifiziert werden.
Zumindest die russischen Geheimdienstler scheinen sich an Tor immer noch die Zähne auszubeissen, zumindest wurde jetzt ein Preisgeld ausgelobt von 3,9 Millionen russischen Rubel für denjenigen, dem es gelingt die Anonymisierung des Netzwerks zu knacken. Diese Belohnung kann man sich aber nur abholen wenn man russischer Staatsbürger ist – aus Sicherheitsgründen, logisch. Wir dürfen gespannt abwarten, ob sich jemand die umgerechnet rund 110.000 US-Dollar abholen wird.
In Russland ist Tor aus nachvollziehbaren Gründen recht beliebt. Die Regierung des „lupenreinen Demokraten“ Putin versucht seit Jahren alles, das Internet in Russland zu kontrollieren. Meinungsfreiheit, unabhängige Medien und Blogger sind unerwünscht. Wer bloggen will, der muss sich registrieren und wer die Regierung kritisiert muss mit hohen Strafen rechnen. Der vorläufig letzte Streich dabei ist ein Gesetz, dass es Internetfirmen vorschreibt Daten russischer Nutzer grundsätzlich an russischen Standorten zu speichern, so dass russische Behörden auf diese jederzeit zugreifen können. Ansonsten droht die Sperrung des jeweiligen Dienstes in Russland.
Wobei dieses Gesetz zeigt, dass jedes Gesetz zum Datenschutz zweischneidig ist: Während in der EU solche Regelungen in der Überlegung sind, um die Daten der eigenen Bürger vor ausländischen Geheimdiensten zu schützen, ist dieses Gesetz in Russland ganz offensichtlich dafür gemacht, dem eigenen Geheimdienst den Zugriff auf die Daten ihrer Bürger zu ermöglichen.
Daher ist es nicht verwunderlich, dass viele Menschen in Russland versuchen dieser Kontrolle durch z.B. Tor zu umgehen. Im Juni sollen es rund 200.000 Nutzer mit russischen IP-Adressen gewesen sein. Und natürlich will sich die russische Regierung das nicht gefallen lassen und dementsprechend versuchen die russischen Behörden alles, um die Nutzer von Tor zu identifizieren. Wobei das Ausloben dieser Belohnung schon ein bisschen nach Verzweiflung aussieht.
Und ganz nebenbei macht diese Aktion noch eins deutlich: Edward Snowden muss raus aus Russland. Es kann doch nicht sein, dass Regierungen von Staaten, die sich demokratisch nennen und in denen zumindest auf dem Papier die Meinungsfreiheit noch etwas gilt, es zulassen, dass der Mann sich in einem Land verstecken muss, in dem die (Meinungs)freiheit nichts zählt. Vielleicht schaffen es ja Grüne und Linke über das Bundesverfassungsgericht die Blockade von CDU/CSU/SPD gegen eine Befragung von Snowden in Deutschland zu brechen. Ein entsprechendes Ultimatum wurde gestellt: Sollten die Bundesregierung und die Mehrheit aus CDU/CSU/SPD im Ausschuss nicht bis zur nächsten Sitzung des NSA-Untersuchungsausschusses den Weg für eine Vernehmung Edward Snowdens in Deutschland frei machen, sei laut Linken und Grünen eine „Klärung der Frage vor dem Bundesverfassungsgericht unvermeidbar“.
Einige werden daraus natürlich auch den Schluss ziehen, dass die Überwachung durch NSA, GCHQ, BND und andere westliche Geheimdienste im Vergleich zur Internetüberwachung in Russland oder China doch vielleicht gar nicht so schlimm wäre. Schließlich stecken die USA nicht reihenweise regierungskritische Blogger in den Knast. Das könnte man so sehen, muss man aber nicht. Nur die direkten Folgen der Überwachung sind in weniger bis gar nicht demokratischen Ländern deutlicher sichtbar, aber nur weil die Wirkung der Überwachung bei uns und in anderen Demokratien subtiler ist, wird die Massenüberwachung deswegen nicht besser.
Beitragsfoto: Jonathan Davis, CC-Lizenz