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Biohackers: Hurra, Deutschland kann auch mittelmäßige Netflix-Serien

Zwei Sachen vorweg: Ja, ich werde vermutlich spoilern und mit „vermutlich“ meine ich „ganz bestimmt“. Und zweitens: Die Einleitung lässt vermuten, dass ich „Biohackers“ für die mieseste Serie weit und breit halte — dem ist nicht so, man kann es sich ja durchaus anschauen. Aber wenn man besonders viel erwartet, kann man halt auch besonders enttäuscht werden. 

Also, lasst uns reden über Biohackers — jene neue deutsche Netflix-Serie, die seit gestern auf Netflix läuft. Schauen wir uns am besten zunächst mal die harten Fakten an. Staffel 1 kommt mit sechs Folgen, bei denen die Länge pro Episode mit 40 bis 46 Minuten angegeben wird. Allerdings kommt jede Folge mit einem übel langen Abspann, der fast neun Minuten geht — diese Zeit könnt ihr also getrost von der offiziellen Zeit abziehen. Bedeutet unterm Strich, dass ihr etwa dreieinhalb Stunden Material netto habt — sehr angenehm, um es mal an einem Abend durchzubingen.

Regie führte Christian Ditter, der seine Hände beispielsweise auch schon bei „Türkisch für Anfänger“ oder „Girlboss“ im Spiel hatte. Er selbst sagt über die Thematik seiner Serie:

[mg_blockquote cite=“Christian Ditter, Regie „Biohackers““]Ich finde es faszinierend, dass Sachen, die früher nur im Hochsicherheitslaboren fünf Stockwerke unter der Erde gemacht werden konnten, heute am Küchentisch gemacht werden können“, sagt Christian Ditter. „Und dass man die Sachen, die dafür benötigt werden, bei Ebay bestellen kann. Dann kann man mit DNA-Bausteinen neue Lebensformen erschaffen oder alte abändern – und damit bauen, als wäre es Lego.[/mg_blockquote]

Ironie des Schicksals ist es da wohl, als wirkt die Serie teilweise so, als habe er sich seine komplette Produktion ebenfalls bei Ebay bestellt: Schöne Landschaftsaufnahmen der Universitätsstadt, überzeichnete Charaktere mit typischen Studenten-Klischees, die böse Wissenschaftlerin, ebenso böse Gen-Experimente — alles dabei. Aber der Reihe nach:

Da ist die ebenso hübsche wie intelligente Mia (Luna Wedler). Ein toughes Mädchen, das weiß, was es will und ein dunkles Geheimnis mit sich herumzutragen scheint. Dann ist da die eiskalte Professorin Tanja Lorenz, die für die Forschung buchstäblich über Leichen geht und neben ihrer Arbeit  an der Uni Freiburg auch noch ein Forschungsinstitut für synthetische Biologie leitet und in einem Haus  wohnt, welches ebenso groß wie kalt ist.

Der Plot ist übrigens simpel und schnell erzählt: Mia hieß einst mal anders und hat ihre komplette Familie verloren — ihre Eltern bei einem Autounfall, ihren Zwillingsbruder unter mysteriösen Umständen an eine Krankheit. An der Uni Freiburg will die Erstsemesterin jetzt herausfinden, was es mit diesem Tod auf sich hatte, denn ihre künftige Professorin Lorenz scheint in den Fall verwickelt zu sein.

Ist alles so schön fluoreszierend hier

Diese Zwischen-Headline ist einerseits eine Reminiszenz an die großartige Nina Hagen und ihren Satz „Ist alles so schön bunt hier“, andererseits soll in der Serie wohl durch Fluoreszenz signalisiert werden: Aufgepasst, Freunde! Hier sind Wissenschaftler und Nerds am Werk. Wann immer es geht, leuchten irgendwo Pflanzen, Tiere oder verschmierte Gesichter.

Um im Bild der bei Ebay bestellten Serie zu bleiben: Wir haben hier nicht nur die tapfere Protagonistin und die kühle Professorin, sondern auch einen Haufen ambitionierter Studierende, von denen Mia die drei skurrilsten in der WG kennenlernt, die ab sofort auch ihre neue Heimat darstellt.

Da ist die ebenso hübsche wie oberflächliche und stets an Sex interessierte Lotta (Caro Cult). Sie bedient das Klischee der typischen Party-Studentin, bei der lediglich die Zahl der von ihr in der WG getragenen Kleidungsstücke noch ihre Ambitionen im Studium unterbietet. Außerdem lebt dort noch die sehr intelligente und von Jing Xiang verkörperte Chen-Lu. Sie hat richtig was in der Birne, wovon der Zuschauer aber nur so am Rande was mitbekommt, weil es ihr Spleen ist, unanständig schnell zu sprechen.

Witzig, dass sie davon spricht, dass sie mittels einer Chrome-Extension, mit der man Netflix 1,5 mal so schnell wie normal schauen kann, Netflix leer geschaut hat. Witzig deswegen, weil es die Funktion — zumindest für Android — mittlerweile tatsächlich gibt, mit der ihr Netflix etwas schneller oder auch langsamer laufen lassen könnt. Witzig aber auch, weil es das Einzige mal in der ganzen Staffel ist, dass sich die Macher der Serie ein bisschen selbstironisch auf die Schippe nehmen.

Komplettiert wird die krude WG durch den abgedrehten Ole (Sebastian Jakob Doppelbauer), der gerne an sich herumschnippelt und sich nach Lust und Laune Magnete und Chips implantiert. Nebenbei braut er sein eigenes Bier und erfindet zudem Pillen, mit denen er deutlich länger unter Wasser atmen kann (außer, man trinkt kurz vorher was, in dem Fall wirken die Pillen wie Drogen).

Drei Mitbewohner, drei mal unterschiedliche Studenten-Klischees. Allen gemein ist, dass die Charaktere komplett überzeichnet sind. Ich hab keine Ahnung, ob das die Handlung der als Thriller angelegten Serie auflockern soll, wirklich witzig wirkt es aber nur in den seltensten Fällen. Speziell Chen-Lus Schnellsprech-Attacken waren für mich so nervtötend, dass ich beinahe schließlich selbst in Höchstgeschwindigkeit meinen Fernseher aus dem Fenster werfen wollte.

Wichtig sind für die Serie auch noch die guten Freunde Jasper (Adrian Julius Tillmann) und Niklas (Thomas Prenn). Mia und Jasper werden schnell ein Paar, was zumindest von ihrer Seite aber mehr aus Berechnung geschieht, weil sie durch ihn schneller und näher an die Professorin herankommt. Später orientiert sie sich jedoch um — gute Wahl.

Insgesamt bleiben mir die Charaktere — mit Ausnahme der Mia/Emma — allesamt zu blass, was vor allem bei der Rolle der Jessica Schwarz eine absolute Enttäuschung ist. Ich schätze sie sehr, finde aber, dass die Macher der Serie einfach nicht genug Substanz in die Rolle gepackt haben, wobei man doch daraus so viel mehr hätte machen können. Im Vorfeld habe ich viel über die Serie gelesen und darüber, wie böse diese Professorin Lorenz doch sein soll — in der Serie kommt dieses Gefühl irgendwie fast nie auf.

Im ICE nach Basel und durch die Handlung

Immer wieder finden sich die Protagonisten in der Bahn wieder. Beispielsweise, wenn Mia und Niklas einen Abstecher ins nahe Basel machen. Es geht auch los mit einer solchen Zug-Szene und einem Blick in die Zukunft. Wir erfahren erst im Laufe der Staffel, was genau dort los ist und wieso plötzlich reihenweise Menschen umkippen, die eben noch gesund waren. Übrigens waren diese Szenen auch der Grund, wieso sich Netflix entschied, die Serie nicht, wie eigentlich geplant, im April starten zu lassen, inmitten des Lockdowns, sondern eben bis jetzt zu warten.

Rückblickend kann man übrigens sagen, dass man angesichts der ersten Dialoge schon hätte erkennen können, dass hier in der Serie irgendwas nicht richtig läuft. Wenn nämlich eine Mutter ohnmächtig wird und sich ihre junge Tochter mit den Worten „Mach sie gesund“ und der anschließenden Aufforderung „Versprich es!“ an Mia wendet, wirkt das schon wieder so gekünstelt, dass man eigentlich schon eine böse Vorahnung haben könnte, was die weiteren Dialoge angeht.

Die Zugfahrten transportieren aber nicht nur die Handlung und natürlich die Protagonisten, sie bieten auch immer Gelegenheit, mal wieder ein bisschen was von der zweifellos schönen Gegend zu zeigen. Hier punktet übrigens Biohackers für mich noch am stärksten, wenn es nämlich darum geht, ein bisschen Atmosphäre der Region einzufangen bzw. die Studentenstadt Freiburg möglichst authentisch abzubilden. Nicht nur, dass man sich tatsächliche Drehorte gesucht hat — für einen Nicht-Studierten wie mich wirkt das alles tatsächlich so, wie man sich das Studentendasein vorstellt bzw. wie ich es wahrgenommen habe, als ich mich damals auf den einschlägigen Parties herumgetrieben habe.

Beim schnellen ICE kam mir dann auch ein etwas naiver, aber meiner Meinung nach treffender Vergleich zur Erzählweise der Handlung in den Sinn. Biohackers wirkt von vorne bis hinten wie auf der Überholspur, aber eben nicht im positiven Sinne. Crispr, Genmanipulationen, Biohacking — all das ist so unglaublich spannend, dass man da wirklich eine ganz fette Nummer hätte raus machen können. Das Schlimme: Die Zutaten liegen allesamt bereit! Ein spannendes Thema, zudem mit Mia und Prof. Lorenz die perfekte Protagonistin und Antagonistin, beide von tollen Schauspielern verkörpert.

Aber es bleibt einfach keine Zeit. Keine Zeit, um eine Handlung ordentlich zu entwickeln oder einen Spannungsbogen aufzubauen. Das Gleiche bei den Charakteren: Wer die erste Folge gesehen hat, kennt sie alle komplett — die nächsten fünf Folgen werden in keinster Weise dazu genutzt, diese Charaktere auch nur ein bisschen zu verfeinern und irgendwo etwas mehr in die Tiefe zu gehen.

Schauspielerisch mag ich da dem Cast nicht mal Vorwürfe machen, vor allem der sehr talentierten Luna Wedler nicht, die die Mia tatsächlich klasse verkörpert. Aber auch ihr Talent ändert leider nichts daran, dass die Rolle der Mia streckenweise äußerst unrealistisch wirkt. Wenn sie fälschlicherweise als Terroristin betrachtet wird und eine Hundertschaft der Polizei hinter ihr her ist, entkommt sie natürlich spielerisch. Und wenn Jasper lebensbedrohlich vor ihr liegt, ist das Mädchen, welches seit einer knappen Woche studiert, natürlich Expertin genug, um ihm sein Leben zu retten.

Solche Ungereimtheiten häufen sich über die sechs Folgen leider und führen dazu, dass man die ganze Nummer dann irgendwann doch nicht mehr so komplett Ernst nimmt. Meiner Meinung nach hätte man übrigens anstelle von Biohacking auch ein ganz anderes Thema nehmen können und nahezu den gleichen Thriller inszenieren können. Die Versuche, die in der Uni oder in geheimen Labors über die Bühne gehen — oder gehen könnten, spielen für die Geschichte nahezu keine Rolle, abgesehen vielleicht von Jaspers Insekten-Experiment.

Erzählerisch gesehen sind wir auch wieder in der Ebay-Abteilung unterwegs, wo sich die Produzenten wieder alles zusammengekauft haben, was wir schon seit vielen Jahren kennen, beispielsweise dann, wenn man am Rechner heimlich einen Download startet, der sich ziemlich zäh gestaltet, aber dann natürlich exakt in letzter Sekunde doch noch fertig wird. Fast ständig scheint man zu ahnen, was gleich in der nächsten Szene passieren wird und erschreckend oft tritt dann auch tatsächlich genau das ein. Biohackers bleibt somit eine zu schnell, zu oberflächlich und zu vorhersehbar erzählte Geschichte — so würde ich wohl auch antworten, wenn mich jemand darum bittet, Biohackers mit einem Satz zu skizzieren.

Biohackers vs Anatomie

Während ich noch staune, dass ich so viel Text schreibe zu einer Serie, die mich in weiten Teilen enttäuscht hat, möchte ich euch unbedingt auf den Film Anatomie hinweisen. Direkt in der ersten Folge fühlte ich mich nämlich an den Film aus dem Jahr 2000 erinnert. Auch damals gab es mit Franka Potente eine toughe Studentin, auch damals gab es mit Heidelberg eine schöne Universitätsstadt, auch damals wurden heimlich Experimente gemacht — kein Wunder also, wenn man sich zwischendurch immer wieder an den alten Streifen erinnert fühlt. Ganz zufällig kann das übrigens nicht sein, tippe ich mal: Bei beiden Produktionen war mit Claussen+Putz nämlich das selbe Filmproduktions-Team im Einsatz. Witzigerweise spielt auch Benno Fürmann in beiden Produktionen mit, wenngleich bei Biohackers nur in einer sehr kleinen Rolle. Ich hab das Ganze hier mal für euch in einer Gegenüberstellung aufbereitet 😉

Mein persönliches Fazit

Mich enttäuscht es nach wie vor, dass ich nicht in höchsten Tönen davon schwärmen kann, dass Biohackers nahtlos an die Qualität von „Dark“ oder „How to sell Drugs online (fast)“ heranreicht. Damit wird jedenfalls nochmal unterstrichen, dass aus Deutschland auch eher mittelprächtige Netflix-Serien kommen können.

Ob es dennoch eine zweite Staffel geben wird? Vermutlich ja! Weil die Serie bereits nach einem Tag immerhin schon auf Platz 2 der deutschen Netflix-Charts steht und weil die sechste Folge mit einem tatsächlich überraschenden Cliffhanger endet — vermutlich die einzige wirklich überraschende Szene in der kompletten Staffel.

Wer weiß: Vielleicht bekommen die Macher ja irgendwie noch die Kurve und hauen eine zweite Staffel raus, die rückblickend die erste lediglich als eine Art Vorspiel wirken lässt, um die Charaktere und grob die Handlung einzuführen. Ich denke immer noch, dass man aus dem Thema unendlich viel machen kann und man auch einige der Charaktere ins Herz schließen könnte, wenn diese etwas komplexer und weniger überzeichnet angelegt würden.

Aber ganz ehrlich: So richtig viel Hoffnung habe ich da gerade nicht. Man kann sich das Ganze tatsächlich recht gut anschauen — weil die Handlung eben recht flott an einem vorbeifliegt und die ganze Staffel nun mal nicht besonders lang ausfällt. Wenn mich aber jemand heute nach einem Tipp fragen würde, würde ich wohl dazu tendieren, euch lieber Anatomie zu empfehlen.

Über den Autor

Ehemalige BASIC thinking Autoren

Dieses Posting wurde von einem Blogger geschrieben, der nicht mehr für BASIC thinking aktiv ist.