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Rolls-Royce Ghost – die Zeitmaschine

geschrieben von Mark Kreuzer

Ist das teuerste Auto auch automatisch das beste? Wenn man eine Runde Autoquartett spielt, ist die Antwort auf diese Frage recht einfach. Denn meistens sind die teuren exotischen Autos auch die, mit den man die meisten Stiche schafft. Wenn man sich die reinen Daten des Rolls-Royce Ghost anschaut, so hat dieser sicher nicht die schlechtesten Chancen beim Quartett. Aber wie schlägt sich der Rolls-Royce Ghost in der Realität? Wir hatten die Möglichkeit, den Ghost zwei Wochen lang zu testen, um diese Frage zu beantworten.

Technische Daten Rolls-Royce Ghost

Fangen wir mit den Daten an, die beim Autoquartett am wichtigsten sind, obwohl sie bei genauer Betrachtung tatsächlich wenig über das Auto aussagen — wie wir im Laufe dieses Artikels auch noch feststellen werden.

Der Ghost ist ein großes Auto. Mit den Abmessungen von 5,4 x 1,95 x 1,5 m (L/B/H) und seinem Design erinnert er ein wenig an eine Motoryacht. Auch das Leergewicht von 2.500 kg macht klar, dass es sich um ein Auto aus einer anderen Klasse handelt. Angetrieben wird er von einem 6,6 Lite 12-Zylinder Motor mit 570 PS und einem Drehmoment von 820 Nm. Für den Sprint von 0-100 km/h braucht er nur 4,9 s. Und bei 250 km/h ist er elektrisch abgeriegelt.

Eine weitere Besonderheit ist die Anordnung der Türen. Bei dem Rolls-Royce Ghost sind die Türen im Heck hinten angeschlagen. Bei Rolls-Royce nennt man das Coach Doors. Diese Art des Designs sieht man heute nur noch sehr selten. Tatsächlich wurde diese Art Tür in Deutschland 1961 verboten. Als Begründung wurde damals angeführt, dass wenn die Tür bei der Fahrt geöffnet würde, der Luftwidderstand dafür sorgt, dass die Tür vollends aufschlägt. Was im schlimmsten Falls sogar dazu führen kann, dass der Passagier, der versucht, die Tür zu schließen, aus dem Auto rausfällt, weil er den Kraftaufwand unterschätzt. Dieser Umstand führte auch zu der umgangssprachlichen Bezeichnung von Selbstmördertür (engl. Suicide-Doors). Auflage für die heutige Betriebserlaubnis ist eine Sicherung, die verhindert, dass die Tür während der Fahrt geöffnet werden kann.

Der Vorteil der Türen ist, dass man sehr bequem aussteigen kann. Außerdem hat der Chauffeur es so leichter, seinen Passagieren schnell die Tür zu öffnen. Da mein Ghost leider ohne Chauffeur kam, hab ich mich darüber gefreut, dass ich meine Jacke und Rucksack sehr schnell hinten verstauen konnte. Ein weiteres mit den besonderen Türen verbundenes Highlight ist, dass man die Türen von Innen per Knopfdruck schließen kann.

Warum der Rolls-Royce Ghost eine Zeitmaschine ist

Die Zeit vergeht anders in einem Rolls-Royce, das bemerkt man, sobald man einsteigt und losfährt. Mehr als -einmal wurde ich beim Losfahren gefragt, ob das etwa ein Elektroauto wäre. Der Wagen ist so gut gedämmt, dass man regelrecht entkoppelt von der Umwelt ist.

Die Geräuschdämmung des Autos ist unglaublich gut. Wenn man mit dem Rolls-Royce fährt, hat man das Gefühl, jemand hätte die „Mute“-Taste für die Außenwelt gedrückt. Dies führt auch dazu, dass der Rolls-Royce Ghost einer der entspanntesten Wagen ist, die ich je gefahren bin

Ein Damm gegen die Informationsflut

Aber nicht nur die Umwelt wird ausgefiltert, sondern auch im Auto selbst werden eine Vielzahl von Informationen vom Fahrer und den Passagieren ferngehalten.

So gibt es keinen Drehzahlmesser im Rolls-Royce. Stattdessen bekommt man an dieser Stelle angezeigt, über wie viel Leistungsreserve der Motor noch verfügt. Aber so wirklich relevant ist diese Information auch nicht für den Fahrer. Es ist vielmehr ein zur Kenntnis nehmen, dass fast immer mehr als genug Leistung verfügbar ist. So ist auf der Autobahn eigentlich immer 80-90% Leistung verfügbar.

Genau so wenig, wie man um die aktuelle anliegende Drehzahl Bescheid weiß, weiß man, in welchem Gang sich die ZF-Acht-Gang-Automatik gerade befindet. Wenn man ehrlich ist, interessiert es einen als Fahrer auch eigentlich gar nicht, denn das Automatikgetriebe kümmert sich in allen Lagen um das richtige Sortieren der Gänge. Dies tut es dank GPS-Unterstützung auch so gut, dass es fast schon an Magie grenzt. Da es immer die Position des Fahrzeuges und damit auch verbunden den Streckenverlauf kennt, sorgt es automatisch dafür, dass der passende Gang eingelegt oder noch was länger gehalten wird.

Die Leichtigkeit, mit dem der Rolls-Royce sich in allen Situationen bewegt, bleibt einem nachhaltig in Erinnerung. Die Beschleunigung lässt einen manchmal daran zweifeln, ob für diesen Wagen die Gesetze der Physik gelten. Nie vermutet man, dass etwas so großes so schnell sein könnte. Aber die meiste Zeit genießt man das entspannte Dahinfahren und das Wissen, dass man könnte — wenn man wollte.

Als letztes Beispiel für das Weghalten von unwichtigen Informationen möchte ich jetzt noch die Klimaautomatik anführen. Anders als in fast jedem vergleichbaren Auto gibt es keine Einstellung der Temperatur über eine Gradzahl. Es gibt lediglich die rotblauen Drehräder. Ist einem zu kalt, dreht man so weit, dass man mehr Rot als Blau sieht. Gefällt einem die Temperatur nicht, stellt man noch mal nach. Ich wage zu behaupten, dass keiner von uns wirklich weiß ob 23,5° oder 25° die optimale Temperatur für einen persönlich ist, geschweige denn jemand die aktuell anliegende Temperatur erfühlen kann. Aber ob uns zu kalt, zu warm oder genau richtig ist, dass kann jeder schnell sagen.

Konnektivität im Rolls-Royce Ghost

Natürlich kann man sich als Fahrer und Passagier auch mit der Außenwelt verbinden, wenn man es wünscht. Über DAB-Radio und Fernsehen kann man mit der Welt in Verbindung bleiben. Gleiches geht auch über den optionalen W-LAN Hotspot. Abgesehen davon ist die Konnektivität aber leider ein wenig in der Zeit stehen geblieben.

Bei dem Infotainment-System merkt man die Zugehörigkeit zum BMW-Konzern. Das Infotainment-System ist ein gerebrandetes System der BMW-Navigation. Das Design mit der neuen Farb- und Tongebung passt dabei sehr gut zu dem Rolls-Royce. Aber hier wird es höchste Zeit für ein Update. Den bei BMW gibt es mittlerweile zwei neuere Generationen.

Ich bin mir recht sicher, dass dies bei der nächsten Modellpflege mit erledigt wird. Während meiner zwei Wochen mit dem Rolls-Royce Ghost hat sich das aber nicht weiter negativ bemerkbar gemacht. Tatsächlich ist es so, dass der Ghost der erste Wagen ist, bei dem ich zum Beispiel das Head-Up-Display konsequent ausgeschaltet habe. Den Blick über die Motorhaube und der umgangssprachlich Emily genannte Spirit of Extasy sollen in meinen Augen keine anderen Informationen stören.

Auf längeren Fahrten oder bei bekannten Strecken habe ich zum Beispiel auch immer wieder das Hauptdisplay in der Mitte per Knopfdruck hinter einer Abdeckung verschwinden lassen. Der gelungene Mix von 50-50 Analog-Digital hat mir in der Praxis so gut gefallen, dass ich einfach nicht noch mehr Displays sehen wollte. Ein für mich einmaliger Fall, normalerweise kann ich gar nicht genug Displays in einem Auto haben.

Rolls-Royce Bespoke Audio schärft die Sinne

Ihr habt doch sicherlich schon mal gehört, dass die anderen Sinne geschärft werden, wenn ein Sinn wegfälltl In gewisser Weise gilt das auch beim Fahren mit dem Rolls-Royce. Die Dämmung hält die Geräusche der Außenwelt von euch ab, das Fahrwerk mit dem langen Radstand sorgt für einen traumhaften Fahrkomfort, den andere Hersteller nur mit aufwendiger aktiver Regelung hinbekommen und unwichtige Informationen werden von euch ferngehalten. Das alles führt dazu, dass die Fahrt im Rolls-Royce immer was besonderes ist.

Das Gespräch mit dem Mitfahren wird viel intensiver, wobei das natürlich auch daran liegen kann, dass diese meist ähnlich fasziniert von dem Wagen sind wie man selbst. Aber auch beim Musik hören merkt man diese intensivere Wahrnehmung.

Laut Aussage von Rolls-Royce handelt es sich bei dem Bespoke Audio System um das umfangreichste je für ein Auto entwickeltes System. Auch wenn ich immer ein wenig kritisch bin wenn ich solche Formulierungen lese, muss ich dem Rolls-Royce Ghost mit dem Bespoke Audio zugestehen, dass der Klang im Auto großartig war.

Schon während der Entwicklung waren die Akustiker mit involviert und hatten dadurch die Möglichkeit, bei der Formgebung des Wagens auch die für den Klang wichtigen Aspekte mit zu beeinflussen. Insgesamt 18 individuell abgestimmte Lautsprecher sorgen für den Klang. Darunter zwei Basslautsprecher im Kofferraum-Bereich, sowie zwei „Exciter“-Lautsprecher, die im Dachbereich untergebracht wurden, bringen den Klang auf die „Ohrhöhe“ der Passagiere.

Wie bei einem solchen High-End-System nicht anders zu erwarten, wurde dabei auch auf die Optik der Lautsprecherabdeckungen geachtet. Für mich persönlich die schönsten, die ich je in einem Auto gesehen habe. Wenn ihr euch noch ausführlicher für das Audio System interessiert, kann ich euch den Artikel bei LowBeats empfehlen.

Bei dem Bespoke Audio gibt es zwar die Presets für Studio und Extended (Theatermodus), die die Räumlichkeit des Klangs verändern. Aber Höhen, Bässe und auch den Equalizer muss man von Hand justieren. Hier glaube ich, wäre es sinnvoll gewesen, noch ein paar mehr Voreinstellungen anzubieten, da man als Laie hier sonst wahrscheinlich schnell überfordert ist.

 

Ist ein Rolls-Royce Ghost ein Auto für den Alltag?

Den Rolls-Royce Ghost zwei Wochen Lang zu testen war schon etwas Besonderes. Ich war die erste Zeit ein wenig sprachlos und mir gar nicht sicher, worüber ich eigentlich schreiben sollte. Denn auch, wenn der Rolls-Royce Ghost bei einem Basispreis von 238.000€ (netto) und mit dem im Testwagen befindlichen Extras 310.125€ (netto) das wohl teuerste Auto war, das ich bisher je getestet habe, so ist es doch nur ein Auto.

Der Rolls-Royce Ghost wurde im Jahr 2009 vorgestellt und hat ein sanftes Facelift in 2015 zur „Series II“ bekommen. Das erklärt auch, warum das Infotainment-System auf dem beschrieben Stand ist, es gab einfach kein neueres zu der Zeit. Dem Wagen selbst und seinem Zweck tut dies keinerlei Abbruch.

Eingangs habe ich die Frage gestellt, ob das teuerste Auto auch automatisch das beste ist. Die Antwort auf die Frage mit Hinblick auf den Rolls-Royce Ghost ist, dass dies ganz stark davon abhängt, was man mit dem Wagen machen will und wofür man ihn braucht.

Die Möglichkeiten, einen Rolls-Royce zu konfigurieren und zu individualisieren, sind nahezu grenzenlos. Sowas geht natürlich nur bei einem in so einer exklusiven Serie gebauten Auto wie dem Rolls-Royce und das hat natürlich auch seinen Preis. Die Debatte, ob der Preis sinnvoll ist oder nicht, können wir sonst bei nahezu allem führen.

Es gibt Menschen, die die Individualität und die Klasse eines Rolls-Royce schätzen und wollen. Ich muss zugeben, ich kann es irgendwo verstehen, auch wenn ich noch weit von den nötigen Sphären entfernt bin, mir einen solchen Wagen leisten zu können.

Der Rolls-Royce ist in einigen Kategorien der beste Wagen, den ich bis jetzt je gefahren bin, aber ähnlich wie im Autoquartett gibt es nicht das eine Auto, das in allen Bereichen gewinnt. Der Rolls-Royce Ghost kommt dem aber schon mal nah. Ach ja und um noch aufzuklären, warum er in meinen Augen eine Zeitmaschine ist: Sobald man einsteigt vergeht die Zeit im inneren gefühlt langsamer als in der Außenwelt.

 

 

Fotos: Jonas Speck

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Mark Kreuzer