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Spuk in Hill House: Netflix lehrt uns angenehm das Fürchten

War da ein Geräusch? Der Mann mit dem markanten Glatzkopf schreckt von seinem Notebook hoch. Der Tech-Blogger war gerade dabei, seine Filmkritik zur Netflix-Serie „Spuk in Hill House“ in Worte zu fassen. Gierig hatte er Folge für Folge verschlungen, denn die Story um das Horror-Haus hatte ihn schnell in seinen Bann gezogen, seit Netflix die zehn Folgen umfassende erste Staffel rechtzeitig vor Halloween ins Programm genommen hatte.

Spät war es geworden: Nach dem Beenden der zehn Folgen hatte er sich direkt an die Arbeit gemacht und beim Schreiben wieder einmal die Zeit vergessen. Erst dieses ungewohnte Klopf-Geräusch hatte ihn wieder auf die Uhr blicken lassen: 3.03 Uhr morgens! Das Klopfen schien aus der Wand zu kommen — sollte etwa doch schon wieder jemand in die Wohnung nebenan gezogen sein? Er hielt den Atem an, als er seinen Kopf gegen die Wand presste, aber es gab kein weiteres Klopfen mehr.

Dafür hörte er jetzt Schritte, aber zu seinem Entsetzen kamen die nicht aus der Nachbar-Wohnung, sondern aus seinen eigenen vier Wänden. Im Flur schien jemand leise auf und ab zu gehen. Der Blogger blickte angespannt zur geschlossenen Tür des Wohnzimmers. „Ich muss nachschauen gehen“, dachte der Mann und erhob sich langsam von seinem Schreibtisch. Während er sich langsam der Tür näherte, ließ er nicht für eine Sekunde die Türklinke aus den Augen.

Sein Herz schien eine Sekunde lang still zu stehen und er glaubte erst, dass ihm die Fantasie einen Streich spielte. Aber er hatte sich nicht getäuscht: Die Schritte waren verklungen und tatsächlich bewegte sich jetzt die Türklinke wie in Zeitlupe nach unten. Wer — oder was — auch immer sich in der Wohnung befand: Gleich würde es das Wohnzimmer betreten!

 

 

Okay, ich gebe es zu: Ein zweiter Stephen King bin ich noch nicht gerade und noch nicht einmal ein Jason Dark. Vielleicht sollte ich es also besser beim Konsumieren von Horror-Geschichten belassen. Die Zeiten dafür sind denkbar gut, denn längst hat auch Netflix dieses Genre für sich entdeckt und das nicht nur, weil Halloween vor der Tür steht.

Mit „Supernatural“ und „American Horror Story“ sind zwei erfolgreiche Serien aus dem Horror-Spektrum auf Netflix zu sehen, mit „Ghoul“ und „Sabrina“ gibt es auch frischen Nachschub. Aber wirkliches Gruseln lehrt uns jetzt ein ganz klassischer Horrorstoff aus der Abteilung „Haunted House“: Mit „Spuk in Hill House“ (Im Original: The Haunting of Hill House) von Mike Flanagan bekommen wir auf Netflix wieder einmal eine Grusel-Geschichte präsentiert, die auf dem gleichnamigen Roman von Shirley Jackson basiert.

The Haunting of Hill House (Foto: Netflix)

Während die bisherigen Verfilmungen — „Bis das Blut gefriert“ von 1963 und „Das Geisterschloss“ von 1999 — sich ziemlich exakt an die Buchvorlage halten, entwickelt Flanagan eine Story, die nur sehr lose auf dem Originalstoff aufbaut. Kritiker können ihm da unterstellen, dass er sich lediglich zu Werbezwecken des bekannten und erfolgversprechenden Namens bedient, um dann etwas ganz anderes abzuliefern, als der Name verspricht.

Wer aber Spaß am Horror-Metier hat, dem kann ich nur empfehlen, sich davon nicht abschrecken zu lassen und sich völlig frei und objektiv auf diese Geschichte einzulassen. Flanagan greift mit beiden Händen ganz großzügig in die „Haunted House“-Kiste und bringt die gewohnten Elemente unter, die auch schon in Filmen wie der „Poltergeist“-Reihe bestens funktioniert haben. Die Kinder des Familienvaters Hugh Crain berichten von Geistern, die nachts ihr Zimmer betreten, es gibt ungewöhnliches Klopfen, das anscheinend aus den Wänden stammt und all das setzt Flanagan sehr gekonnt in Szene.

Dazu muss man sagen, dass wir es hier nicht mit einem Splatter-Spektakel zu tun haben, welches einen Jump-Scare an den nächsten reiht oder die gruselige Stimmung mit dem übertriebenen Einsatz von Sound-Spielereien eher ruiniert. Stattdessen wird der Horror oft nur angedeutet, zeigt sich dabei manchmal nur ganz unauffällig am Rand der Szenerie. Das Gruseln lehrt man uns dennoch, was nicht zuletzt auch damit zu tun hat, dass die einzelnen Folgen einfach technisch sehr intelligent in Szene gesetzt werden.

Dazu gehört, dass wir sowohl beim Schnitt als auch bei den Kameraeinstellungen wirklich verwöhnt werden. Es gibt sehr interessante Kamerafahrten, die der Stimmung wirklich zuträglich sind und ein gutes Händchen für den Schnitt erkennen wir vor allem dann immer, wenn zwischen den Zeitebenen gesprungen wird.

Die Story von „Spuk in Hill House“ (keine Spoiler)

The Haunting of Hill House (Foto: Netflix)

Luke und Nell heißen die Zwillinge, die zusammen mit ihren Geschwistern Theo, Shirley und Steven und den Eltern Hugh und Olivia im Jahr 1992 in die alte Villa ziehen, die später als das bekannteste Geisterhaus der USA in die Geschichte eingehen soll. Die Eltern planen, das Hill House in Schuss zu bringen und dann gewinnbringend wieder verhökern zu können.

Es ist also nie geplant, dort für immer zu verweilen — aber das man so schnell wieder Reißaus nimmt, hatte sich die Familie vorher nicht gedacht. Was genau im Haus vorfällt, wie sich der Horror dort und auch später entfacht, möchte ich gar nicht aufschreiben, weil es euch um das Erlebnis bringen würde, selbst völlig unvorbereitet in die Serie einzutauchen.

Grundlegendes Element der Geschichte sind die ständigen Sprünge in der Zeit: Zwischen den Geschehnissen im Haus im Jahr 1992 und der Gegenwart 26 Jahre später wird hin und her gesprungen. Auf diese Weise sind wir mal Zeuge dessen, was damals im Horror-Haus passierte, mal erfahren wir stattdessen mehr darüber, was die damaligen Ereignisse aus den Protagonisten gemacht hat.

Genau so, wie zwischen den Zeitebenen gesprungen wird, springen wir auch inhaltlich hin und her: Mal ist es klassischer Horror, immer wieder aber eben auch ein sehr komplex inszeniertes Familiendrama. Wir treffen auf mitunter sehr kaputte und sich sehr voneinander unterscheidende Geschwister, die stark von den Ereignissen im Haus geprägt wurden.

The Haunting of Hill House (Foto: Netflix)

 

Mein Fazit zur Serie

Zu Beginn der ersten Folge ist da erst einmal der Gedanke, dass sich eventuell lediglich an den üblichen Horror-Klischees abgearbeitet wird. Das geht schon los mit dem Haus, dessen Anblick einem schon klar machen sollte, dass man hier lieber keine Nacht verbringt. Sehr schnell wird aber klar, dass Mike Flanagan hier keine Grusel-Massenware produziert, sondern in einem ziemlich ausgelutschten Genre mit frischen Ideen völlig neuen Wind reinbringt.

In den einzelnen Folgen werden die verschiedenen Protagonisten explizit vorgestellt und generell muss man der Crew bestätigen, dass man die verschiedenen Charaktere sehr fein ausgearbeitet hat und diese von den jeweils zwei Schauspielern — einmal als Kind im Jahr 1992, einmal später als erwachsene Person — bestens verkörpert werden.

Der Horror wird zunächst sehr dosiert eingesetzt, aber es steigert sich von Folge zu Folge, bis es fast unerträglich wird, alleine in der Bude zu sitzen und sich noch eine Folge mehr anzuschauen. Ich bin jedenfalls wieder dazu übergegangen, sicherheitshalber vorm Schlafen nochmal unterm Bett nachzuschauen, ob da jemand lauert. Okay — ganz so schlimm ist es noch nicht, aber Gestalten wie der merkwürdige Mann mit dem Hut haben mich jedenfalls nachhaltig beeindruckt.

Das Staffelfinale kann für mein Empfinden das hohe Niveau dann nicht ganz halten, was aber jetzt nicht dramatisch ins Gewicht fällt aus meiner Sicht. Die Geschichte aus der Buchvorlage ist im Grunde mit dieser Staffel zu Ende erzählt, aber ich würde mich nicht wundern, wenn sich Netflix dazu entscheidet, dennoch eine zweite Staffel in Auftrag zu geben. Ideen, wie man die Geschichte weiter erzählt, dürfte es viele geben, gerade beim Spiel mit unterschiedlichen Zeitebenen.

Auch bei „Tote Mädchen lügen nicht“ und „The End of the F*** World“ ließ sich Netflix davon nicht abhalten und spendierte den Serien eine neue Staffel, also wieso soll das hier nicht auch funktionieren? Ich würde jedenfalls wieder einschalten und wenn ihr euch noch nicht zum Schauen der ersten Staffel aufraffen konntet, möchte ich sie euch hiermit ans Herz legen. Vorausgesetzt, ihr steht auf Grusel-Stoff im Stile von Conjuring! Ein kleines bisschen Luft nach oben ist sicher noch, aber ich ziehe meinen Hut vor Mike Flanagan, der hier großartige Arbeit abgeliefert hat. Wenn man weiß, dass Flanagan mit „Doctor Sleep“ verantwortlich sein wird für die Umsetzung der Shining-Fortsetzung von Stephen King, ist es für Horror-Fans doch durchaus beruhigend, dass er dieses Genre so zielsicher beherrscht.

Ich hab jedenfalls die zehn Folgen sehr genossen. Nehmt euch wirklich Zeit für die Serie, also schaut sie nicht nur nebenher. Ihr müsst euch auf jede Folge konzentrieren, weil euch sonst zu viele Details entgehen könnten. Ich habe manche Folgen sogar direkt zwei mal gesehen. 26 Jahre nach den Ereignissen in Hill House hat der Horror die Familie Crain wieder eingeholt — und wenn es nach mir ginge, dann darf dieser Horror gerne in einer zweiten Staffel noch einmal zurückkehren.

Über den Autor

Ehemalige BASIC thinking Autoren

Dieses Posting wurde von einem Blogger geschrieben, der nicht mehr für BASIC thinking aktiv ist.